Kapitel 26

214 14 0
                                    

Lucas biss sich auf die Unterlippe, starrte auf den Namen und wusste nicht ob er sprechen sollte oder was er sagen sollte. Perce setzte sich vor dem Grab einfach ins Gras und Lucas sah sich unsicher um, ehe er sich neben ihn setzte.

»Hey June«, sagte Perce sehr leise und strich dann über den Grabstein, als könnte sie das fühlen. Seine Stimme klang plötzlich so verletzlich, so untypisch für Perce und es brach Lucas das Herz.

Eine Weile blieb es still, Perce starrte nur auf den Stein, schien aber mit den Gedanken in einer ganz anderen Welt zu sein und Lucas saß zitternd neben ihm, weil ihm eiskalt war und der Rasen nass war und er würde sich wahrscheinlich erkälten, aber das war jetzt sowas von egal. Er sah immer wieder zu Perce hoch, aber nichts änderte sich in seinem Gesichtsausdruck. Lucas ergriff die Möglichkeit, dass Perce seine Hände nicht mehr in den Taschen hatte und nahm vorsichtig seine Hand, verschränkte seine Finger mit seinen und drückte sie fest, aber Perce reagierte kaum darauf.

Er nahm tief Luft, bevor er vorsichtig und leise fragte: »Erzählst du mir was von ihr?«, und sah Perce weiter an. Kurz dachte er schon, dass Perce ihn einfach ignorieren würde, aber dann lächelte er. »Sie war meine Zwillingsschwester«, sagte er stolz. »Und sie war genauso cool wie ich.«

»Das glaube ich sofort«, sagte Lucas und lächelte ein wenig mit.

»Wir waren immer zusammen«, fuhr Perce fort und warf einen Blick in den bewölkten Himmel. »Haben alles zusammen gemacht. Wir waren unzertrennlich. Sie war wie ... meine zweite Hälfte. Ich ... manchmal glaube ich immer noch nicht, dass sie wirklich weg ist und nicht mehr wieder kommt. Oder denke, dass ich träume.«

Lucas hielt Perce' Hand noch fester als er eine Pause machte und nur weiter auf den Stein starrte. Diesmal reagierte er endlich darauf und drückte seine Hand kurz zurück, ehe er wieder locker ließ und leise weiter sprach. »Ich check's einfach nicht. Wie kann es sein, dass ich noch lebe, wenn sie schon tot ist? Das macht keinen Sinn. Wenn wir doch zusammen geboren sind, sollten wir doch auch zusammen ... leben und dann irgendwann sterben. Vielleicht ... taucht sie doch noch eines Tages auf, steht einfach vor der Tür und lacht und weckt mich endlich aus diesem Alptraum auf.«

Lucas schloss die Augen und schluckte den Kloß in seinem Hals runter. Er musste daran denken, wie er immer darauf gehofft und gewartet hatte, dass Rosco plötzlich vor seiner Tür stand und alles wieder wie früher sein würde. Aber anders als bei Lucas wird seine Schwester nie wieder zurückkommen.

»Ich weiß, dass das nur Wunschdenken ist. Sie kommt nie wieder zurück«, sagte Perce dann, als könnte er Lucas' Gedanken lesen. »Damals hab ich immer mit ihr gestritten, weil sie so war. Ich hab mir einfach nur Sorgen gemacht. Ich wollte nicht, dass sie Drogen nimmt und so viel trinkt und dass sie ... sich ritzt. Aber anstatt sie zu fragen, was los ist, warum sie sich das antut und normal mit ihr zu reden, hab ich sie immer nur angeschrien. Schon verrückt, dass ich jetzt in der gleichen Situation bin. Meine Eltern schreien mich auch die ganze Zeit nur an, wenn sie sehen, was ich mir antue. Ich versteh sie ja, sie haben Angst dass ich genauso ende, aber das bringt mich auch nur dazu mich weiter zu verstecken.«

»Perce, also ... ich weiß nicht ... kann ich nicht irgendwas tun, damit es dir besser geht? Dir irgendwie helfen?«, fragte Lucas.

Perce antwortete lange nicht, starrte nur auf ihre verschränkten Hände, schien verloren in seinen Erinnerungen zu sein.

»Kann dir irgendjemand helfen, wenn schon nicht ich?«, murmelte Lucas nach einer ganzen Weile leise, doch Perce schüttelte den Kopf. »Wer soll mir denn helfen? Irgendein Therapeut? Die haben doch keine Ahnung, labern irgendwas ohne zu wissen wovon sie reden, glauben, nur weil sie studiert haben, haben sie Ahnung von einem Menschen und könnten in sein tiefstes Inneres sehen. Ist doch lächerlich.«

LuanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt