Never Feel Safe

my_mysterious_dreams

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In Max' Leben läuft gerade nichts so, wie es sollte: Ihre Familie zieht von der Stadt aufs Land, sie hat bis... Еще

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog

Kapitel 24

28 2 1
my_mysterious_dreams

Dass Floh hier war, war also eine Tatsache. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen beflügelte meinen Verstand und ich krückte so schnell es ging hinter Christian her. Zwei Leidgardisten gingen vor und zwei hinter uns. Wir stiegen die Treppen der großen Halle hinab und gingen dann in schmalen Wendeltreppen weiter ins Erdinnere. Mir war schon ganz schwindelig, als endlich eine Tür in Sicht kam, welche sich anscheinend nur mit einem Schlüssel von Christians Schlüsselbund öffnen ließ, denn die Leibgardisten traten zurück. Ungeduldig wartete ich, bis der Anführer hinter uns wieder abgeschlossen hatte. Der Gang wurde nur von einer einzelnen Funzel erhellt. Die Luft war feucht und Schimmel bedeckte vereinzelt die Wände. War das hier eine Art Verließ? Hoffentlich ging es Floh gut. Wieso hielt man ihn hier unten? Wenn sie ihm auch nur ein Haar gekrümmt hatten..!

Wir folgten dem Gang ein paar Meter, bis die ersten Zellentüren erschienen, doch die meisten standen offen. Nur vereinzelte waren verschlossen und unwillkürlich fragte ich mich, welche armen Seelen dort eingesperrt waren. Vor der allerletzten Tür blieben wir schließlich stehen und wieder kam der Schlüsselbund Christians zum Einsatz. Voll Erwartung hielt ich die Luft an, doch wir betraten lediglich einen kleinen Vorraum. Der Anführer murmelte zweien der Leibgardisten etwas zu, woraufhin diese kurz verschwanden. Ich sah nicht, wohin sie gingen, denn jetzt wurde die eigentliche Zellentür geöffnet. Ich wollte mich an Christian vorbeiquetschen, um so schnell wie möglich zu Floh zu gelangen, doch die verbliebenen zwei vermummten Männer hielten mich davon ab. Sie entwendeten mir mit gekonnten Bewegungen die Krücken und stellten diese beiseite. Bevor ich schnippisch fragen konnte, wie ich jetzt vorwärts kommen sollte, packte mich einer der beiden und trug mich kurzerhand in den Raum.

Sobald ich Floh erblickte, erstarrte ich. Seine Hände steckten in rostigen Handschellen, welche an der Decke befestigt waren und die Füße waren ähnlich am Boden gefesselt. Sein Oberkörper war nackt; er trug nur die Hose, welche er beim Kampf im Krankenhaus angehabt hatte. Schlaff hing er in den Ketten, den Kopf mutlos gesenkt. Panisch warf ich einen Blick auf seine von Schrammen und blauen Flecken übersäten Brust - sie hob und senkte sich langsam, aber regelmäßig. Er atmete noch, Gott sei Dank. Flohs ganzer Körper war schmutzverkrustet und überall sickerte Blut und Eiter aus zahlreichen Wunden. Hatte man ihn gefoltert? Eine Seite seines Bartes schien angesengt und ihm fehlte ein Büschel Haare. Was hatten sie ihm getan?!

"Floh!", rief ich verzweifelt. Ich wollte, dass er mich ansah. Dass er erkannte, dass ich hergekommen war, um ihn irgendwie zu retten.

Regung kam in ihn und er blickte verwirrt auf. Seine Augen waren leer und glanzlos; blickten irr umher. Ich zappelte, damit mich der Mann losließ, doch er hielt mich zu fest. Flohs Augen fixierten mich; starrten mich an, als sei ich irgendeine Halluzination. Ich zappelte noch mehr herum und schaffte es, mich einigermaßen zu befreien. Sobald mein gesunder Fuß den Boden berührte, stürzte ich vor, hüpfte auf einem Bein auf ihn zu, stolperte, krachte mehr oder weniger in ihn rein und packte seinen Kopf mit beiden Händen. Musterte verzweifelt seine Augen und suchte nach dem alten Glanz.

"Floh, ich bin es, Max! Ich bin es wirklich!"

Er antwortete nicht. Starrte nur mit seinen gruseligen, leeren Augen. Aus reinem Instinkt heraus schnellte ich vor und presste meine Lippen auf seine.

Da wurde ich zurückgezerrt. Starke Arme umschlossen meine Taille und pflückten mich regelrecht von Floh ab. Ich schrie. Floh sah mich an - sah mich wirklich an - und Erkenntnis zeigte sich in seinen Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde leuchteten sie auf, doch genauso schnell wie es gekommen war, war es wieder verschwunden. Dann ließ er wieder den Kopf hängen.

Was war nur mit ihm los? Was war im widerfahren, dass er so dermaßen desorientiert war?

Ich schlug und trat um mich, doch die Männer fesselten mich trotzdem mit Kabelbindern an den Stuhl, der mittlerweile herbeigeschafft worden war. Kreischend wehrte ich mich so gut es ging, bis sie mir einen Stofffetzen in den Mund steckten und ich beinahe erstickte. Dann bezogen die vier Männer hinter meinem Stuhl Aufstellung.

Christian klatschte in die Hände. Er schien amüsiert zu sein. Hatte alles beobachtet und sich wahrscheinlich seine ganz eigene Meinung über Floh und mich gebildet. Dann schritt er zu Floh und hob sein Gesicht am Kinn an, sodass er ihm in die Augen schauen musste. Sein Blick ging komplett durch Christian hindurch.

"Florian. Erkennst du mich? Wahrscheinlich nicht. Dummer Bengel. Aber deine kleine Freundin ist hier, schau." Christian bog Flohs Kopf in meine Richtung, doch Floh blickte emotionslos an mir vorbei. Verzweiflung stieg in mir auf. Wieso erkannte er mich nicht?

"Vielleicht bringt sie dich ja zum Reden." Damit zog Christian sich ein paar Schritte zurück. Flohs Kopf sackte wieder schlaff hinunter. Wann hatte er zuletzt etwas zu essen bekommen?

"Versuchen wir es vorher noch einmal so", begann Christian. "Gibst du zu, acht meiner Männer getötet zu haben?"

Was? Floh hatte angeblich acht Menschen getötet?!

Keine Regung seitens Floh.

Christian schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Na, dann eben auf die harte Tour." Er blickte bedauernd zu mir. "Aus dir hätte wirklich eine Schönheit werden können. Na egal, fangt an."

Wie? Womit anfangen?

Einer der Männer stellte sich zwischen Floh und mich und ließ seine Fingerknöchel knacken. Wollten sie Floh vor meinen Augen foltern?! Scheiße! Ich versuchte mir blitzartig einzureden, dass er stark war und Schmerzen aushalten konnte. Er würde das schaffen!

In dem Moment kam der erste Schlag. Brennender Schmerz versengte meine Wange. Ich keuchte. Die wollten nicht ihn foltern, sondern mich!

Der nächste Hieb traf meinen Bauch. Der Schrei wurde von dem Stofffetzen in meinem Mund erstickt. Würgend kippte ich nach vorne; wurde nur von den Fesseln gehalten.

Keine Regung seitens Floh.

Jemand trat mich in die Seite und sofort versengte lodernder Schmerz meine sowieso schon geschundenen Rippen. Etwas spitzes pikte meine Lunge, jedenfalls fühlte es sich so an. Panisch beschleunigte sich meine Atmung.

Verdammt, wieso schwieg Floh so eisern?

Ein schneller Kinnharken folgte einer schallenden Backpfeife. Hustend und keuchend versuchte ich, den Stofffetzen auszuspucken. Konnte nicht atmen. Und diese Schmerzen...

Floh hing noch genauso wie vorher in seinen Ketten. Konnte ich ihm deshalb einen Vorwurf machen? Eigentlich nicht. Ihm ging es schlechter als mir.

Noch ein Schlag in den Bauch. Könnte ich doch nur vernünftig atmen... Ich musste jetzt stark sein. Für Floh. Adrenalin pumpte durch meine Adern.

Ein Tritt in die andere Seite. Röchelnd wurde ich zur Seite geschleudert und der ganze Stuhl kippte um. Hart schlug mein Kopf auf dem Steinboden auf und ich sah Sterne. Nur Sekunden darauf wurde ich samt Stuhl wieder hingestellt. Meine Lungen schrien nach Luft.

"Stopp!", sagte Christian plötzlich, als der Vermummte schon zu einem weiteren Schlag ausgeholt hatte. In letzter Sekunde konnte er seinen Arm noch bremsen.

"Nehmt ihr den Knebel aus dem Mund, das arme Kind kann ja kaum atmen."

Der Mann rupfte das Stoffknäul aus meinem Mund und warf es zu Boden. Japsend schnappte ich nach Luft. Dann würgte ich, hustete, spuckte... Plötzlich Blut auf dem Boden vor mir. Wie kam das dahin? War das etwa von mir? Panik breitete sich in mir aus. Wie lange würden die so weitermachen?

"Nun", setzte Cristian an, "wie wäre es vielleicht mit einer kleinen Gefühlsregung?", fragte er an Floh gewandt.

Dieser schwieg.

"Nein? Nichts? Nicht einmal ein Zeichen des Wiedererkennens?"

Mental versuchte ich, Floh zu erreichen. Weshalb gab er nicht einfach zu, diese Menschen getötet zu haben?

"Och, schade aber auch. Fang mit dem Messer an", diktierte Christian dem Vermummten.

Scheiße! Wollten die mich auch noch aufschlitzen?!

Der Mann zückte ein großes Messer. "Wo soll ich ansetzen?"

Christian rieb sich das Kinn und schien ernsthaft nachdenklich. "Tja, wir brauchen sie noch, also können wir sie nicht so schwer verletzen, dass sie bleibende Schäden davonträgt. Fang erst einmal bei der Kehle an."

Emotionslos kam der Typ zu mir, packte meine Haare mit einer Hand und bog daran meinen Kopf zurück, sodass mein ganzer Hals ungeschützt war.

Ein heiserer Schrei entwich mir. Was wollten die? Wieso taten sie mir das an?

Kühl spürte ich die Klinge auf der Haut. Langsam und präzise schnitt sie eine gerade Linie quer über meine Kehle. Sengender Schmerz breitete sich dort aus und ich konnte nicht verhindern, dass ich wimmerte.

Schnitt für Schnitt arbeitete der Typ sich meinen Hals hinab und verwandelte meine Haut in Streifen. Warm lief mir das Blut in den Ausschnitt. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Mir wurde immer wieder schwarz vor Augen wegen des Schmerzes und ein unkontrolliertes Zittern breitete sich über meinen gesamten Körper aus.

"Halt, das reicht", schritt Christian irgendwann grummelnd ein, und ich war ihm fast schon dankbar.

"Jetzt bleibt nur noch ein Ausweg", zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, weil Tränen des Schmerzes und der Angst meine Sicht verschleierten.

"Wenn du sie je geliebt hast", meinte Christian zu Floh und pikte ihm mit dem Zeigefinger in die Brust, "dann gibst du jetzt einfach zu, dass du meine Männer getötet hast, bevor deine kleine Freundin vor deinen Augen vergewaltigt wird."

Ein Ruck ging durch Floh. Ein Ruck ging durch mich. Vergewaltigen...?

Und doch sah Floh nicht auf.

Christian seufzte und gab mit der Hand einen erschöpften Wink.

Der Typ vor mir wischte das blutbesudelte Messer an meinem Pulli ab, steckte es weg und begann, meinen Rock hochzuschieben. Ein widerliches Grinsen hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet. Ich kreischte und schrie; versuchte, irgendwie den Stuhl zum umkippen zu kriegen oder wegzurücken, rüttelte an den Fesseln und warf mich hin und her.

Nichts half. Der Mann öffnete seine Hose und zerriss meinen Slip mit einem einzigen Ruck. Dann kam er auf mich zu...

"Halt!"

Alle erstarrten.

"Wenn Sie ihr auch nur einen Millimeter näher kommen, dann bringe ich Sie um!"

Flohs Stimme war rau, kratzig und rasiermesserscharf.

Unsicher warf der Mann einen Blick zu Christian. Dieser gebot ihm mit einer knappen Geste Einhalt und der Mann wich etwas zurück.

"Und du wirst aussagen?", fragte Christian an Floh gewandt.

"Ja", grummelte der heiser. "Ihre Schweine von Handlangern hab ich umgebracht. Alle acht."

Ich konnte ein ersticktes Keuchen nicht verhindern. Mein Floh hatte acht Menschen...?

"Und die anderen sieben schwer verletzt?"

Floh knurrte. Ich konnte ihn nicht sehen, da der Typ noch immer direkt vor mir stand.

"Hast du oder hast du nicht?"

"Hab ich."

"Und bei Fluchtversuchen weitere meiner Männer niedergeschlagen?"

"Auch das."

Christian spitzte die Lippen. "Und was sagst du dazu?"

"Diese Bastarde haben es nicht anders verdient."

Blitzschnell war Christian bei mir und presste mir eine Knarre an die Schläfe. Jetzt konnte ich Floh sehen. Mit wildem Blick lehnte er sich gegen die Ketten und hatte die Zähne gefletscht. Er sah aus wie ein wildes Tier.

"Du glaubst nicht, dass ich abdrücke?", fragte Christian mit scharfer Stimme.

Panisch versuchte ich, Flohs Blick auf mich zu lenken. Nur ein einziger Blick, der bestätigen würde, dass er noch da drin war, dass es den früheren Floh noch gab...

"Sie werden sie nicht umbringen", meinte Floh kalt.

"Werde ich nicht?" Christian lachte irr. "So wichtig ist sie auch nicht. Jeder ist ersetzbar."

Floh schwieg nur.

Ich schloss die Augen. Das war es also. Mein Ende. In einem muffigen Verließ, erschossen von irgendeinem Größenwahnsinnigen, verraten von dem Menschen, dem ich am meisten vertraut hatte. Ein Jahr in der Apokalypse überlebt. Für Adam und Svenja tat es mir unglaublich Leid, dass sie ihre Mutter -

Peng.

Der tödliche Schuss.

Nichts.

Nichts passierte.

War ich tot?

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Alle standen wir vorher im Raum. Floh starrte mich panisch an. Starb ich?

Blitzschnell analysierte ich meinen Körper auf furchtbare, neu eingetretene Schmerzen. Nichts. Nur das, was schon vorher da gewesen war.

Was war passiert?

Plötzlich Schreie. Kampfgeräusche hinter mir. Was war da los?

Perplex wandte ich den Kopf so weit, wie es die schmerzenden Schnitte an meinem Hals zuließen. Christian lag am Boden, seine Augen starrten ausdrucklos gegen die Decke und ein großer, nasser Fleck breitete sich auf seiner Brust aus. Wer hatte ihn erschossen?

Hinter mir kämpften die Leibgardisten miteinander.

Das war meine Chance.

Ich holte Schwung und kippte mit dem Stuhl seitwärts um, genau auf Christians toten Körper. Mit der unteren, halb eingequetschten Hand tastete ich seinen Gürtel ab, bis sich meine Finger endlich um den Messergriff schlossen. Meine Hand krampfte, als ich das Messer aus der Scheide zog und unbeholfen versuchte, damit die Fesseln auf zu säbeln. Vor lauter Panik schnitt ich mir das ganze Handgelenk auf, bis ich beginnen konnte, die Kabelbinder zu zersägen. Das alles dauerte mir schon viel zu lange, ich verlor wertvolle Zeit -

Endlich war der Kabelbinder durch. Schnell befreite ich meinen Arm und zerschnitt die restlichen Fesseln. Unbeholfen stieß ich den Stuhl weg und pflückte Christians Pistole aus seiner leblosen Hand. Geladen und entsichert.

Dann erst analysierte ich die Lage.

Einer der Vermummten kämpfte gegen einen anderen; die zwei verbliebenen lagen reglos am Boden. Ob tot oder bloß ohnmächtig, ließ sich nicht sagen. Da ich nicht wusste, welcher der noch Stehenden nun auf meiner Seite war, schnappte ich mir Christians Schlüsselbund und robbte über den Boden Richtung Floh.

"Du weißt nicht zufällig, welcher -"

"Der kleine rostige mit der Verzierung oben dran", fiel er mir ins Wort.

Schnell suchte ich den passenden Schlüssel und öffnete seine Fußfesseln. Als ich versuchte, aufzustehen, verlor ich beinahe Pistole und Messer, schaffte es dann aber doch, mich auf dem gesunden Bein zu halten. Ich musste mich sehr strecken, um an seine Handfesseln zu kommen, doch schließlich war er frei. Bei der ganzen Befreiungsaktion hatte ich ihn nicht einmal angesehen.

"Komm, wir verschwinden", meinte ich, während er sich die aufgescheuerten Handgelenke rieb. Unsicher hüpfte ich auf einem Bein Richtung Tür, als plötzlich einer der noch stehenden Vermummten den anderen zu Boden schlug. Sofort richtete ich die Pistole auf den letzten Mann.

Der hob blitzartig die Hände. "Nicht abdrücken!"

Diese Stimme...

Der Typ zog langsam den Gesichtsschutz runter. Und zum Vorschein kam...

"Noah!", riefen Floh und ich wie aus einem Mund.

"Hab mich rein geschmuggelt", grinste Noah und ließ die Hände sinken, nachdem ich die Pistole gesenkt hatte.

Staunend beobachtete ich, wie er die ohnmächtigen Männer durchsuchte und ihnen sämtliche Waffen abnahm.

"Dann nichts wie weg hier", grummelte Floh und hinkte an mir vorbei aus dem Raum.

Netterweise griff Noah mir im wahrsten Sinne des Wortes unter die Arme und half mir, bis ich die Krücken wiederhatte.

"Weißt du...ich hätte nicht zugelassen, dass der Typ dich echt vergewaltigt", stammelte Noah verlegen. "Aber ich musste auf den richtigen Moment warten..."

Ich lächelte freudlos. "Nicht schlimm."

"Doch, eigentlich schon. Ich hätte schon viel früher eingreifen müssen."

"Geht schon", murmelte ich, während ich aus dem Raum krückte. Dabei die Pistole zu halten, war nicht einfach, doch ich würde sie nicht freiwillig aus der Hand legen, ehe uns nicht ein paar Kilometer von diesem Anwesen trennten. Das Messer hatte ich dennoch an Noah weitergereicht, da ich mich nicht ausversehen aufschlitzen wollte.

Langsam liefen wir den Flur hinunter. Floh hatte neben der ersten verschlossenen Tür angehalten.

"Sollen wir die anderen auch befreien? Wer immer da drin ist, steht gegen Christians Leute. Vielleicht helfen die uns."

Noah grinste. "So nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund?"

Floh verzog keine Miene. "Genau."

Noch immer hatte er mich nicht einmal gescheit angesehen. Ich runzelte die Stirn und reichte ihm Christians Schlüsselbund. Auch hierbei würdigte er mich keines Blickes. War er wütend auf mich? Oder schämte er sich, weil er nicht eher zugegeben hatte, diese Leute getötet zu haben? Oder schämte er sich, eben weil er diese Leute getötet hatte?

Wortlos schloss Floh die Zelle auf und ging hinein. Drinnen war es fast stockdunkel; nur eine einzelne Fackel erhellte den Raum.

"Was wollt ihr denn noch?", krächzte eine leise Stimme aus dem Dunkel hervor. "Ich hab euch schon alles erzählt, was ich weiß!"

Floh schien zu zögern. "Herr Pfaff?"

Kurze Stille.

"Florian?", fragte die Stimme. "Was-"

"Noah hat sich eingeschlichen und soeben diesen scheiß Hurensohn Christian umgebracht."

Das schien als Erklärung zu reichen. "Und jetzt bist du hier, um dieses ganze gottverlassene Loch auf den Kopf zu stellen?", lächelte Herr Pfaff, während er zur Tür geschlurft kam. Seine Kleidung war kaputt und verdreckt, sein Haar stand wirr ab und er hatte überall ein paar blutige Schrammen, doch keinesfalls so viele wie Floh.

"Heilige Maria! Was haben sie denn mit dir angestellt?", rief der Arzt aus, als er Floh genauer ansah. "Das muss sofort behandelt werden!"

"Erst einmal müssen wir hier weg", knurrte Floh. "Kommen Sie."

Herr Pfaff neigte den Kopf und trat zu uns auf den Flur. Er nickte Noah kurz zu und erstarrte dann, als er mich sah.

"Maximilia?", fragte er ungläubig. "Wieso seid ihr beiden so fürchterlich zugerichtet?"

Ich verzog den Mund zu einer schiefen Grimasse. "Weil wir nicht so leicht einknicken wie Sie."

Herr Pfaff zuckte zusammen, nickte, schluckte einmal, zweimal und nickte abschließend noch einmal. Dann schwieg er.

"Wunderbar!" Noah klatschte in die Hände. "Vorschlag: Ihr beiden", er deutete auf Floh und Herrn Pfaff, "befreit die restlichen Leute. Max und ich holen die Kinder. Wir treffen uns am Stallgebäude."

Floh nickte, während Noah ihm und Herrn Pfaff jeweils eine Pistole reichte, welche er den Leibgardisten eben erst abgenommen hatte.

"Wir brauchen die Schlüssel", warf ich ein.

Noah grinste schelmisch. "Denkst du, ich bin völlig unvorbereitet?" Er zog einen identischen Schlüsselbund aus seiner Tasche und klimperte damit.

Auch ich lächelte leicht. "Na dann nichts wie los."

Ohne ein weiteres Wort trennten wir uns. Noah rückte wieder seinen schwarzen Gesichtsschutz zurecht, sodass man ihn nicht von den restlichen Wachen unterscheiden konnte. So sah es so aus, als würde er lediglich eine Gefangene durchs Gebäude führen. Ich sicherte meine Pistole und steckte sie mir hinten in den Rockbund, sodass der weite Pulli den Griff der Waffe verdeckte.

Schweigend liefen wir die vielen Teppen wieder hoch, durch die große Halle und weitere Treppen hoch, bis Noah endlich in einen der Gänge abbog. Die ganze Zeit wechselten wir kein Wort und ich bemühte mich, einen ängstlichen Eindruck auf die wenigen Leute, die an uns vorbeikamen, zu machen. Was leichter war als gedacht, da noch immer Blut aus zahlreichen Wunden sickerte. Hals und Rippen schmerzten höllisch, das Bein brachte mich halb um den Verstand und ich spürte schon jetzt, wie sich einige Blutergüsse auf Gesicht und Oberkörper ausbreiteten. Sogar aus der kleinen Wunde am Handgelenk floss noch immer Blut, welches den Griff der Krücke glitschig werden ließ.

Schließlich blieb Noah vor einer der Türen stehen und schloss gemächlich auf. Mein Herz raste. Sofort waren alle Schmerzen vergessen. Ging es den Babys gut?

Unsicher blieb ich auf dem Flur stehen, obwohl alles in mir danach schrie, sofort in den Raum zu platzen. Doch Noah bedeutete mir mit einer Handbewegung, dort zu bleiben, wo ich war.

"Das ist die Ablöse", knurrte er. "Du kannst gehen."

Leichte Schritte näherten sich der Tür und eine junge Frau, welche ich auf knapp dreißig schätzte, floh geradezu aus dem Raum. Sie würdigte mich keines Blickes, sondern lief so schnell wie möglich, jedoch ohne zu rennen, den Flur hinab und verschwand im Treppenhaus.

"Du hast fünf Minuten", raunte Noah mir zu. "Dann wird jemand bemerken, dass etwas nicht stimmt. Ich warte vor der Tür."

Ich nickte und schlüpfte in den Raum. Er war klein und quadratisch, besaß ein einzelnes Fenster, die Wände waren weiß getüncht und die Einrichtung bestand aus zwei Wiegen, einem Bett, einer Wickelkommode und einem Tisch mit Stuhl.

Bevor ich zu den Wiegen hasten konnte, stürzte etwas Kleines auf mich zu.

"Max!", rief Luca und klammerte sich an meinen Beinen fest. Der Druck auf dem verletzten Bein verursachte sofort stechenden Schmerz und ich atmete zischend ein. Doch Luca klammerte sich noch fester an mich.

"Sachte, sachte", murmelte ich und trotz des Schmerzes lächelte ich. Die Erleichterung, dass es Luca gut ging, war zu groß im Vergleich zu den Schmerzen.

Langsam löste er sich von mir und ich sah, dass er weinte.

"Ich dachte, du wärst tot."

Langsam schluckte ich, dann beugte ich mich so gut es ging zu ihm herunter. So einen Satz von einem Kind zu hören, war furchtbar. Luca hätte in diesem Alter noch nicht so viel Schlimmes erleben sollen.

"Oh, ich sterbe nicht so schnell", lächelte ich. "Mir geht es gut. Ich bin nicht tot. Alles ist in Ordnung." Ich legte die Krücken weg und schloss ihn fest in die Arme. Verzweifelt klammerte er sich an mich und schluchzend vergrub er den Kopf an meiner Schulter.

"Es wird alles wieder gut. Noah hilft uns. Floh und Herr Pfaff befreien gerade die anderen. In einer Viertelstunde sind wir hier weg."

Tapfer löste er sich von mir und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.

Lächelnd strich ich ihm über den Kopf. "Kannst du mir die Krücken geben?"

Er nickte und reichte sie mir. Vorsichtig richtete ich mich auf.

"Was ist mit deinem Bein? Und wieso hast du überall Blut an dir?", fragte er mit großen Augen.

"Es ist alles ein bisschen kaputt, aber das wird wieder."

Langsam humpelte ich zu den Wiegen. Adams und Svenjas Gesichter zu erblicken, ließ den riesigen Stein endlich von meinem Herzen fallen. Beide schliefen friedlich, doch als ich Adam sanft über den Kopf strich, wachte er auf. Er gluckste freudig, als er mich sah.

"Luca? Bitte bring mir den Stuhl, leider kann ich nicht stehen."

Sofort schob er den einfachen Stuhl zu mir rüber. Ich dankte ihm, nahm Adam sanft aus der Wiege und ließ mich auf den Stuhl plumpsen. Er strahlte mich an und ich lächelte zurück.

"Mama ist wieder da", raunte ich ihm zu. "Alles wird gut."


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