51 - Nacht unter Sternen.

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In meinen Ohren dröhnt die Stimme aus dem Lautsprecher. Langsam mache ich die Augen auf. Ich sitze noch im Flieger, noch ist es nicht zu spät. Mit der Horrorvision aus meinem Traum vor Augen suche ich mir ein Taxi und fahre zu dem Studio. Und genau wie in dem Traum hockt Jukka oben auf der Dachkante. „Ju?" Er stellt irgendetwas zur Seite und sieht mich mit durchdringendem Blick an. „You came... Even though you're supposed to be somewhere else... It has a meaning..." Er ist definitiv betrunken. „I'll come upstairs, you stay where you are." Ich lasse den Koffer stehen und laufe zu der Glastür, die in das cremefarbene Gebäude führt. Abgeschlossen. „Mach jetzt keinen Scheiß, Jukka! Ich brauch dich noch am Stück und zwar lebendig!" Ich entdecke eine Kletterhilfe für Rosen, an der die Pflanzen jämmerlich verkümmert sind und ziehe mich daran hoch. Zwischen dem ersten und zweiten Stock endet das Gerüst und ich hangele mich am Regenrohr weiter nach oben. Als ich die Dachkante erreiche, stoße ich meinen Kopf an Jukkas. Er hält mir eine Hand hin und versucht, mich hochzuziehen. Endlich stehe ich neben ihm oben auf dem Dach und werfe einen vorsichtigen Blick nach unten. Für zwei Etagen ist das aber verflixt hoch! „Why?" Dieses eine Wort beinhaltet so viele Fragen nach so vielen unterschiedlichen Warums und doch finden wir keine Antwort. Wir sitzen einfach stumm am Rand des Daches, trinken die Flasche zusammen aus und lassen die Seele wie die Beine baumeln. Jukka erzählt von früher, noch vor Taru, er fängt ganz von vorne an. Erzählt von einem Mädchen, seiner ersten Liebe. Er ist fünfzehn gewesen, als sie bei einem Autounfall gestorben ist. Tagelang hat er sich abgekapselt und immer weiter zurückgezogen, bis er schließlich mit der Klinge an den Handgelenken im Bad gestanden hat. Seine Schwester hat ihn gefunden, bewusstlos und voller Blut in der Badewanne. Damals hat er es auch nur knapp überlebt, weil sie ihn gefunden hat. Und heute? Heute sitze ich um ein Uhr nachts neben ihm auf dem Dach des Studios und lausche seinen Worten. Es ist wirklich arschkalt, ich habe immer noch mein Kleid an und friere wie ein Schneider. „Cold?", fragt Jukka in die entstandene Pause hinein und legt den Arm um mich. „Mhm..." „Come to me..." Er hebt die Ecken der Decke, auf der wir anscheinend die ganze Zeit schon sitzen, auf und wickelt uns darin ein. „Better?" „Yes, Sir!" Ich versuche, zu salutieren, verheddere mich aber hoffnungslos in der Decke. Wir müssen beide lauthals lachen. „Just like the very first time... The circle has almost closed...", philosophiere ich vor mich hin. „Mhm." Wir werden immer schweigsamer, die Zungen schwer vom Alkohol. Irgendwann liegen wir einfach nur noch auf dem Rücken und betrachten den klaren Sternenhimmel. „Do you want to stay with me, here in Finland?" „Well, all my friends are back in Berlin and Hamburg, my family, at least those of them who I can still call family, are in Bremen and all I have in Finland is you and the guys..." „Listen, we're almost half of the year in Germany because of tours, TV shows and radio shows. You could visit them anytime you like and hei, you would never have to see Ramón again." Das soll dann wohl das Totschlagargument sein. „Can I think about it when we're sober again? I hate making decisions when I'm drunk." „Of course. As long as you don't say that you hate me again, you can think about it as long as you want."

Sturzbetrunken nachts auf einem Studiodach liegen und haufenweise philosophisches Zeug quatschen... Ich glaube, das habe ich einfach gebraucht, um den Kopf klar zu bekommen. Über uns wird der Himmel schon langsam wieder heller und am Horizont schimmert es schon rötlich. Die Sterne verblassen und Jukka und ich schlafen aneinandergekuschelt ein.

Finnian //Jukka Backlund [under editing]Where stories live. Discover now