110 - On the road.

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~Mi~

Den gesamten Tag bin ich zu nichts zu gebrauchen und laufe einfach nur planlos durch die Gegend, bis Ben mich auf die Uhrzeit hinweist. „Scheiße, ich muss los, bis heute Abend!" Ich schlüpfe in meine Converse, zubinden ist grade zwecklos, reiße die Tür auf und renne ins Treppenhaus. Die Tür knallt hinter mir ins Schloss und ich heize die Treppe runter. Und wie es das Schicksal will, lege ich mich mit voller Wucht auf die Nase. Innerlich verfluche ich Ben dafür, dass es in dem Haus nur Steintreppen gibt, denn meine Nase tut weh und ich spüre, wie mein Auge zuschwillt. Mit der Zunge fahre ich vorsichtig über meine Lippen und muss feststellen, dass meine Unterlippe aufgeplatzt ist. Heute geht aber auch alles schief. Ich ziehe ein Taschentuch aus der Hosentasche und presse es auf meine blutende Lippe. Dann versuche ich, aufzustehen. Scheiße, tut das weh! Ich kann fast nicht auftreten, humpele aber trotzdem aus dem Haus und zur Domplatte. Die Leute schauen mich seltsam von der Seite an, doch das ist mir grade herzlich egal. Mit meinem noch funktionstüchtigen Auge suche ich nach Heike. Anscheinend hat sie mich schneller gefunden, denn sie kommt mit bereits besorgtem Blick auf mich zu. „Alles in Ordnung?" „Geht schon. Meine Schnürsenkel haben mich lediglich die Treppe hinab katapultiert. Tut gar nicht weh." Mir ist schon klar, dass ich mich wie ein dummer Schuljunge anhöre, als ich die letzten Worte ausspreche. „Sie sehen wunderbar aus, wenn ich das sagen darf." Sie wird rot. „Sie aber auch, trotz der Schwellung." Ich winke ab und schaue mich um. „Wohin gehen wir jetzt?" Von meinem abrupten Themenwechsel irritiert schaut sie mich an. „Wir gehen jetzt als allererstes in die Apotheke und besorgen eine abschwellende Salbe und was zum Kühlen. Und dann bringe ich Sie nach Hause," sagt sie mit Nachdruck. Ich schüttele vehement den Kopf als Zeichen meines Widerstandes. Großer Fehler. Sofort fängt der Schmerz in der Schwellung an meinem Auge an zu pochen. Ich fasse mit der Hand an meine Stirn. „Sehen Sie, wir sollten jetzt nicht hier umherlaufen. Sie brauchen Ruhe." Wieder äußere ich Protest. „Lassen Sie, das legt sich sicher wieder." Ich mache einen Schritt nach vorne und verziehe schmerzvoll das Gesicht, was wiederum auch höllisch wehtut. „Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass Sie Schmerzen haben, Michael. Soll ich Sie nach Hause bringen?" „Das müssen Sie nicht. Ich bin schließlich auch alleine hergekommen." Mit hochrotem Kopf packt sie mich letztendlich am Oberarm und zieht mich in die Richtung, aus der ich eben gekommen bin. An der ersten Kreuzung muss ich sie notgedrungen abbremsen, da sie sonst die falsche Straße hinunter laufen würde. „Da lang." Ich deute nach rechts und schon werde ich weitergezogen. Ich bleibe an der Kante eines Pflastersteins hängen und lande prompt auf der Nase. Sofort bleibt meine Begleitung stehen und hilft mir auf. „Alles in Ordnung? Entschuldigung, was für eine unangemessene Frage. Ist irgendetwas schlimmer als vorher wäre wohl angebrachter." „Geht schon. Die nächste Straße links und dann noch zweimal rechts, dann sind wir da." Ich halte mir kurz den Kopf, weil sich mal wieder dieser pochende Schmerz zurückgemeldet hat. Dann lasse ich die Arme sinken und setze zum nächsten Schritt an. Behutsam legt sich ein Arm unter meine Achsel und stützt mich. Ich drehe meinen Kopf und lächele Heike an. Dann gehen wir langsam weiter, die Füße im selben Rhythmus voreinander setzend. Die Sonne beginnt schon zu glühen, als wir vor der Tür zu dem Haus stehen, in dem Ben seine Wohnung hat.

~Ju~

Solveigh saugt sich an Ellies Brust fest, während Ellie sie stillt. Irgendwo bin ich ein kleines bisschen eifersüchtig, weil ich Ellie einfach wieder berühren möchte, wie ich es früher durfte. „-Jukka?" Ihre helle Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Ja?" Sie schüttelt den Kopf. „Kannst du Solveigh kurz nehmen?" Ich strecke die Arme aus und Ellie legt mir unsere kleine Prinzessin in die Arme. Ich bin sofort wieder wie weggetreten, als ich in ihre blauen Augen schaue. Zärtlich streiche ich über ihren kleinen Kopf, auf dem sich schon ein feiner Haarflaum abzeichnet. Sie gluckst und zeigt mir ihren zahnlosen Kiefer. Sie ist einfach nur niedlich und süß. „Jukka?" Ich blicke auf. Ellie steht am Schrank und packt ihre Sachen zusammen. „Ja?" „Du musst gleich zur Untersuchung. Soll ich auf dich warten?" Ich überlege. „Das wird sicher nicht allzu lange dauern. Wie wäre es, wenn wir danach dann zu meiner Wohnung fahren? Dann brauchst du nicht direkt nach Hamburg zu fahren. Johannes ist ja wahrscheinlich wegen der Tour schon weitergereist." Solveigh dreht sich auf meinem Arm herum. „Bleib schön liegen, kleine Maus," lächele ich, setze sie auf meinen Schoß und halte sie fest. „Ja, das stimmt, Jo ist schon wieder unterwegs. Das einzig Dumme ist, dass ich so gut wie nicht vorbereitet bin. Alle Sachen für die Kleine sind in Hamburg." Ich denke nach. „Dann fahren wir für die Nacht erstmal zur mir und morgen früh dann nach Hamburg. Wäre das so in Ordnung für dich?" Ellie packt weiter Kleidungsstücke in ihre schwarze Tasche. „Wenn du es aushälst, dass die Kleine dich die ganze Nacht wach hält und du dann noch fahren kannst. Das wird mit Sicherheit nicht viel besser." „Ihr seid meine Mädchen, Ellie. Für euch würde ich so ziemlich alles tun."

Finnian //Jukka Backlund [under editing]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt