112 - Die Date-Katastrophe.

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~El~

Auf einmal wird es auf dem Gang hektisch. Ärzte rennen hin und her und rufen sich unverständliches Fachchinesisch zu. Und mittendrin ein Name: Eb. Ich lasse das T-Shirt, das ich grade in der Hand halte, auf den Boden fallen und stürze auf den Flur. Ich versuche, einer Schwester eine Auskunft zu entlocken, doch keiner kann oder will mir etwas sagen. Verflixt und zugenäht! Mir ist nach wie vor schleierhaft, warum die gynäkologische Station direkt neben der Notaufnahme eingerichtet worden ist. Besorgt gehe ich zurück auf mein Zimmer und sehe nach Solveigh. Von dem Lärm ist sie aufgewacht und weint. Sanft hebe ich sie aus dem Bett und wiege sie hin und her. „Shhh, alles gut, Mäuschen, die Mama ist ja da. Ganz ruhig, meine Kleine." Ich versuche, mich darauf zu besinnen, was Jukka gemacht hat, wenn Solveigh geweint hat. Erst summe ich nur, dann singe ich leise vor mich hin. All die finnischen Kinderlieder, die mir gerade in den Sinn kommen. Und tatsächlich wird sie auf meinen Armen ruhiger und steckt den Daumen in den Mund. Ich muss trotz meines aufgewühlten Zustandes lächeln. Solveigh holt mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit einer vorsichtigen Bewegung lege ich sie wieder in ihr Bettchen und gehe wieder auf den Flur. Der weiße Korridor ist wie leer gefegt, keine Menschenseele ist zu sehen. Durch dir gespenstische Stille klappert irgendwo Metall und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ziehe ich mich wieder zurück und hebe das Shirt vom Boden auf. Im gleichen Moment öffnet sich die Tür und Jukka betritt den Raum. „Hei..." Das Lächeln erstirbt auf seinen Lippen. „Ist alles in Ordnung?" Seine Hand legt sich leicht auf meine Schulter, aber das Gewicht scheint mich mit tonnenschwerer Kraft nach unten zu ziehen. Mein Mund ist mit einem Mal wie ausgedörrt und ich habe Mühe zu sprechen. „Michael ist hier," bringe ich krächzend hervor. Ungläubig schaut Jukka mich an. „Ist es sehr schlimm?" „Ich weiß es nicht. Vorhin war hier ziemlich viel Radau und in dem ganzen Hin und Her ist mehrfach der Name Eb gefallen." „Vielleicht war es auch jemand anderes, mach dir keine Sorgen. Michael ist alt genug, um auf sich selber aufzupassen." Ich schaue ihn mit halb geschlossenen Lidern an und ziehe die Brauen leicht zusammen. „Du bist eigentlich auch alt genug, Jukka. Das hat dich aber trotzdem nicht davon abgehalten, dich ins Koma zu saufen." „Hei, ich weiß, das war nicht das beste Argument. Aber du verstehst schon, was ich meinte, oder?" Anstelle einer Antwort lehne ich mich mit der Schulter gegen seine Brust und lasse den Kopf auf seine Schulter sinken. Jukkas dünne Arme schieben sich unter meinen eigenen hindurch und er faltet seine Hände über meinem Hüftknochen, ehe sein Kopf auf meinem zum Liegen kommt. Wir bleiben so stehen, ich mit dem zerknautschten T-Shirt in der Hand, an ihn gelehnt und er dir Arme um mich gelegt. Irgendwann quietscht das Türscharnier und eine Schwester kommt herein. „Frau Räisänen?" Ich richte mich auf und lenke meine Aufmerksamkeit auf die Frau. „Ja, bitte?" „Ein Patient möchte Sie sprechen, Herr Michael Eb." Da ist die Bestätigung der Annahme, die ein mittelschweres Ziehen in meiner Brust auslöst. „Ich komme. Jukka, passt du auf die Kleine auf?" Er löst seine Arme von meinem Körper. „Mach ich." Dann folge ich der Schwester durch die antiseptisch riechenden Flure bis zu einem Behandlungsraum. Ben hockt auf einem dieser schrecklich unbequemen, an die Wand montierten Plastikstühle und wartet. Durch ein schmales, in die Tür eingelassenes Milchglasfenster erkenne ich eine Gestalt, die auf der Liege sitzt. Die Schwester zieht die Schiebetür auf und gibt so den Blick auf Michael frei, der, von dem Geräusch leicht erschrocken, den Kopf hebt. Als er mich erkennt, lächelt er. „Hey..." „Hey, was machst du denn für Sachen?" Er schaut auf seinen linken Fuß. „Die Schnürsenkel und die Treppe haben sich gegen mich verbündet. Nicht weiter schlimm." Der behandelnde Arzt steht vor einem Röntgenbild. „Schauen Sie einmal hier," er deutet auf eine Stelle am Sprunggelenk, „Hier ist ein feiner Riss im Knochen, wenn der Fuß weiter belastet wird, kann der Riss sich erweitern und der Knochen brechen." Michi schaut entsetzt. Der Arzt spricht seelenruhig weiter. „Wenn Sie den Fuß schonen und ruhig halten, sind Sie in ein paar Wochen wieder fit. Auf jeden Fall werden wir das Gelenk ruhig stellen, damit so wenig Belastung wie möglich ausgeübt werden kann." Michael nickt. Seine Bestürzung ist ihm deutlich anzusehen.

~Ju~

Als Liss zurückkommt, hat sie einen von Michaels Kollegen bei sich, dessen Namen ich nicht kenne. Die beiden unterhalten sich leise auf Deutsch und ich verstehe gerade so viel, dass sie ihn mit Ben anredet. Dann wendet sie sich an mich. „Jukka, hast du alles eingepackt? Wir bringen Michi gleich noch nach Hause, er darf im Moment nicht laufen beziehungsweise nur auf Krücken." Verdattert schaue ich sie an. Dann habe ich mich wieder gefangen und nicke. „Geht klar. Wie kommt... Ben?", er nickt, „nach Hause?" Unser ständiger Sprachwechsel verwirrt ihn offensichtlich. „Ich nehme mir ein Taxi." Er spricht langsam, anscheinend hat er schon bemerkt, dass ich einige Schwierigkeiten mit der Sprache habe. „Okay. Solveigh ist auch fertig." Liss hält mich am Arm zurück. „Michi bekommt grade das Bein ruhiggestellt, wir haben noch ein paar Minuten." Dann hebt sie unsere Tochter aus dem Gitterbettchen und ich nehme unsere beiden Taschen an die Hand. Ben hält uns die Tür auf und wir gehen Michael abholen. Sein linkes Bein steckt in einer seltsamen Plastikschiene und seine Jeans ist bis zum Knie hochgekrempelt. Auf Krücken gestützt lehnt er an der Tür zur Cafeteria und lächelt uns matt entgegen. „Können wir dann?", fragt er.

Finnian //Jukka Backlund [under editing]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt