90 - Am liebsten würden sie mich hier festhalten.

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Während der nächsten Tage und Wochen ziehe ich eine Mauer um mein Herz und meine Gefühle gegenüber Jukka. Ich ignoriere seine Anrufe und Nachrichten, bin sogar kurz davor, ihn auf Instagran zu blockieren. Noch einmal halte ich eine derartige Verletzung meines Herzens nicht aus, selbst wenn mein Verstand das Gegenteil behauptet. Meine paar Sachen habe ich schon in den Koffer gepackt, zwei Taschen stehen halbvoll und offen rechts daneben hinter der Tür. Osmo und Samu wissen schon, dass ich in gut einer Woche gehen werde, aber nicht, wohin und Hanni werde ich es jetzt sagen. Ich friemele mein Handy aus der Hosentasche, langsam wird das wegen dem Bauch schwierig, und suche im Telefonbuch ihre Nummer raus. Ein Druck auf die Taste mit dem grünen Telefon und es gibt kein Zurück mehr. „Moi, Ellie, wie geht's dir?" „Moi, Hanni, es muss halt. Ich wollte dir eigentlich was sagen." Ich kann schon hören, wie sie die Augen verdreht und im nächsten Moment aufreißt. „Was ist los, ist was mit dem Kind?" „Nein, dem geht's gut. Ich habe mich entschieden, zu Jojo nach Hamburg zu ziehen. Dort wird es hoffentlich besser. Kein Jukka, jemand, der sich um mich sorgt und vor allem erheblich weniger Stress. Die Kündigung ist schon durch, ich werde Samstag fliegen." Totenstille, aber nicht lange. „Ich bin zwar nicht sonderlich erbaut davon, dass du schon wieder abhaust, aber wenn du dadurch wieder glücklich wirst, will ich dir nicht im Weg stehen. Eine Bitte habe ich aber an dich. Pass um Himmels Willen auf dich und das Kind auf, ich habe nicht den Wunsch, euch in naher Zukunft im Krankenhaus oder auf dem Friedhof zu besuchen. Versprichst du mir das?" „Ja, Schwesterherz. Ich ruf dich an, sobald ich da bin." „Viel Glück, pass auf dich auf." „Danke. Werde ich. Und du auch, wenn Tapio dir wehtut, steh ich in Nullkommanichts bei ihm auf der Matte, sag ihm das. Bis bald." „Bis bald." Ich drücke auf die Taste mit dem kleinen roten Telefon.

Der Tag des Abflugs rückt näher. Ich besuche noch einmal meine Klassen und verabschiede mich von ihnen. Was ich richtig putzig finde, ist, dass die Kinder sich echt die Mühe gemacht haben und Babysöckchen gestrickt haben. Ein Paar in blau, eins in Rosa. Richtig niedlich. Die Socken sind schon im Koffer verstaut und so langsam wandern alle meine restlichen Sachen in die beiden Taschen. Gott sei Dank haben beide Taschen Rollen, sonst würden weder Osmo noch Samu mich alleine fliegen lassen. Doch selbst das wird sie wahrscheinlich nicht davon abhalten, Samstag zum Airport zu kommen.

Meine Vermutung erweist sich auch als goldrichtig. Es ist Samstag morgen, ich habe den gelben Smart bei Jukka vor der Tür geparkt und den Schlüssel in seinen Briefkasten entsorgt. Das Taxi fährt vor und der Fahrer packt meine drei Gepäckstücke hinten in den Kofferraum. „Und, wo soll's hin gehen?" „Zum Flughafen, bitte." Er mustert mich skeptisch im Rückspiegel, wirft den Motor und das Taxameter an und fährt los. Wir müssen durch die Innenstadt und es ist wie immer brechend voll. Endlich am Flughafen angekommen lädt der Fahrer meinen Kram wieder aus, ich begleiche meine Rechnung und ziehe den ganzen Haufen Taschen hinter mir her. Allzu weit komme ich jedoch nicht. Vor mir steht eine Mauer aus Muskeln, blonden Haaren und blauen Augen. „Hei, Mäuschen." Osmo drückt Samu seine Krücken in die Hand und schließt mich in die Arme. Ich fühle mich in ihnen geborgen und sicher, doch ich weiß, dass ich nicht bleiben kann. Der Schmerz wäre immer noch zu groß. „Hei, Großer." Er schaut mir mit schief gelegtem Kopf in die Augen. Der leicht gequälte Ausdruck darin ist nicht zu übersehen. „Du weißt genau, dass ich nicht bleiben kann. Ich will endlich ein normales Leben. Aber lasst euch eins gesagt sein: Ich werde euch und Hanni erbärmlich vermissen. Wenn ich es hinbekomme, komm ich aufs Konzert und dann können wir nochmal reden." „Aber ich erwarte, dass du mindestens einmal pro Woche anrufst, sonst machen wir uns tierische Sorgen um dich." „Genau, und außerdem können wir dich so auf dem Laufenden halten, was Du weißt schon wen angeht." Samu schüttelt kurz den Kopf hin und her, um ein paar Fransen aus der Stirn zu bekommen. „Reden wir nicht davon. Ich müsste jetzt mal langsam los." Samu streckt beide Hände in Richtung meiner Taschen aus. „Die trägst du jetzt auf keinen Fall selber, Kleines." Gespielt genervt stöhne ich auf und nehme meinen Koffer am Griff. „Können wir dann?" Osmo hat Samu inzwischen auch die Krücken wieder abgenommen und schwingt hinter uns her. Und dann mache ich den fatalen Fehler, mich ein letztes Mal umzudrehen, bevor ich dieses Land für lange Zeit verlassen werde. Denn dort, am anderen Ende der Halle, steht jemand, von dem ich es am allerwenigsten erwartet habe.

Finnian //Jukka Backlund [under editing]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt