4 - Nachtschicht und andere Idiotien

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~El~
Samus Husterei hat sich allmählich gelegt, als wir zum Haus zurückkehren. Helen redet hektisch in einer mir unbekannten Sprache auf jemanden am anderen Ende der Telefonleitung ein und Riku liegt im Dämmerzustand auf dem alten Plüschsofa, das Gesicht unter Schmerzen verzogen. Sami und Raul hocken um den Küchentisch und Samu und ich stehen planlos mitten im Wohnzimmer „How's Reeku?" „Still hurts", kommt es vom Sofa. Ich setze mich zu dem braunhaarigen Gitarristen und begutachte das Bein, schließlich studiere ich nicht umsonst als Zweitfach Biologie. Sieht nicht so schlimm aus wie wir dachten. Ich taste sanft über Rikus Schienbein, bis er vor Schmerz aufjault. „Sorry, Riku. I planned on helping you in the first place." Ich wende mich an Samu. „Und wir sprechen uns noch, Freundchen!" Meine Aufmerksamkeit auf Rikus Bein gerichtet untersuche ich notdürftig die Verletzung. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Riku sich nichts gebrochen hat. „Nothing's broken, that's what I can say for sure", teile ich den anderen mit. Ein allgemeiner Seufzer der Erleichterung geht durch den Raum. „Helen, do you have a splint here? I need it for Riku's leg", rufe ich durch das Haus. Alle sitzen mehr oder weniger in der seltsamen Mischung aus Küche und Wohnzimmer, während Helen weiter im Haus herumwurschtelt. „Raul, eet ees upstairs een the atteec, would you get eet?" Woher kennt Helen die Jungs bloß so gut? Das frage ich mich schon, seit wir vom Flughafen los gefahren sind. Wahrscheinlich ist sie über dreihundertsechsundsechzig Ecken mit einem von denen verwandt oder so was in der Richtung. Während ich diese Überlegungen anstelle, ist Raul auf den Speicher gekraxelt und durchsucht mit beängstigenden Geräuschen den Dachboden nach der Schiene. Nach einer Viertelstunde kommt er wieder nach unten, eine vorsintflutlich anmutende Konstruktion aus Metall und Synthetikstoff unter dem Arm. Misstrauisch beäuge ich das Ding und teste es auf seine Stabilität. Scheint ganz brauchbar zu sein, jedenfalls für meine Zwecke. Langsam hebe ich Rikus Bein an - er jault dabei vor Schmerzen, ist vielleicht doch schlimmer als ich angenommen hatte - und schiebe die Schiene darunter. Sami hilft mir eben, diese zu fixieren, während Raul Rikus Hand hält. Der ist ja schlimmer als ein Mädchen. Ein Paar große Hände legt sich jetzt auf meine Schultern. „Boah, Samu! Lass den Scheiß, du nervst!", meckere ich ihn an, „Helen, when is the doctor gonna come?" „Maybe two hours or sometheeng, you know eet ees pretty far." Mist. Wenn Riku jetzt was ernstes hat - was ich nicht hoffe -, würde erstmal ein Helikopter hier raus geschickt werden müssen. Und draußen stehen so ziemlich alle Zeichen auf (Schnee)Sturm. Also sind unsere Chancen, dass heute überhaupt irgendwas funktionieren wird, praktisch gleich null. Kurzentschlossen packe ich Samu am Schlafittchen uns ziehe ihn hinter mir die Treppe rauf in mein Zimmer. „Wat sollte der Scheiß inner Scheune denn bidde?! Was hädden wir mit Riku denn machen sollen, wenn er sich ernstlich wat jetan hädde?" Ich brülle Samu mit meiner Berliner Schnauze an. Der schaut mich wie ein Auto an und wird immer kleiner. „Ich habe keine word von verstanden, what du haben gesagt. Du sprechen zu schnell zu viel Deutsch." Ich wiederhole meine Schimpftirade auf Englisch und sehe Samu zu, wie er noch zehn Zentimeter kleiner wird. „I am sorry but Riku asked me to promise not to tell anyone about it." „Verschaukeln kann ich mich alleine, jetzt spuck's schon aus!" Er grinst angesichts meiner Wortwahl und schüttelt dann den Kopf. „Honestly, I am speaking die Wahrheit." Damit lasse ich ihn dann einfach stehen und gehe zurück nach unten. Mittlerweile ist es schon nach zwei und Riku krümmt sich unter offensichtlich stärker werdenden Schmerzen auf dem Sofa. „It's useless, we need to get Riku into a hospital", stelle ich fest und frage Helen nach den Autoschlüsseln. „And tell the doctor he can go back home." Dann fällt mir ein, dass ich keinen Plan habe, wie ich in die nächste Stadt komme, geschweige denn, wie zurück hierher. „Well, I'll at least need someone to guide me back home, who's coming with me?" Die Frage bleibt unbeantwortet im Raum stehen. „Nobody? Also fine, then I'll have to go alone and take a map with me." Ein kleines Bisschen enttäuscht schlüpfe ich in meine Jacke und meine Schuhe und verlasse das Gebäude. Der Jeep steht hinten an der Koppel, sodass ich bequem wenden und vom Hof fahren kann. Vor der Haustür halte ich nochmal an und sage den Jungs, dass sie Riku ins Auto packen können. Riku liegt jetzt also auf der Rückbank und wird kräftig durchgeschüttelt, was ziemlich schmerzhaft für ihn ist. Mühsam finde ich den Weg in die Stadt und zum nächsten Krankenhaus. Nachdem ich Riku in die Obhut der Ärzte und Schwestern übergeben habe, hinterlasse ich noch meine Nummer, damit man uns Bescheid geben kann, wenn die Ergebnisse der Untersuchungen feststehen.

Unter Fluchen und Taschenlampenschein finde ich mehr schlecht als recht den Weg zurück und muss unterwegs mehr als einmal anhalten, weil ich einfach hundemüde bin. Schließlich ist es schon halb sechs und ich bin praktisch seit gestern um etwa dieselbe Zeit auf Achse. Helens Hof liegt im Dunkeln, als ich ankomme, sprich es brennt nirgends mehr Licht. Alle Vorhänge sind zugezogen und gerade geht über den Hügeln im Hinterland die Sonne auf. Den Jeep lasse ich vor der Haustür stehen und schleppe mich die Treppe hinauf in mein Zimmer. Dort finde ich Samu in meinem Bett vor. Ist der Idiot doch tatsächlich hier einfach eingeschlafen. Egal, dann leg ich mich halt einfach daneben. Auch wenn es mir in wacherem Zustand garantiert nicht in den Sinn gekommen wäre, mich zur Nervensäge Nummer 1, Samu Haber, ins Bett zu legen.

Finnian //Jukka Backlund [under editing]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt