64.

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»Ich...du...Sie ist...tot?« Ich ringe nach den richtigen Worten, aber das hier trifft mich so unerwartet, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll...oder was ich denken soll.

Gibt es überhaupt richtige Worte für so einen Anlass? Ich kann schlecht sagen: Oh, deine Mutter ist tot? Wird schon wieder. Oder: Oh deine Mutter ist tot? Das tut mir leid. Wir reden hier von seiner Mutter. Wenn mir jemand zu so einem Anlass ein Tut mir leid hinklatschen würde, würde ich ihm am liebsten an die Gurgel springen. Andererseits weiß ich, wie schlimm es ist, die richtigen Worte zu finden.

Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn meine Mutter von heute auf morgen nicht mehr bei mir wäre. Klar, sie ist manchmal verdammt peinlich (sogar ziemlich oft) und wir streiten uns ab und an, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie der absolut wichtigste Mensch in meinem Leben ist. Wenn sie nicht mehr da wäre, dann würde ich mich vermutlich von jedem und allem abschotten und...nein, ich kann mir einfach nicht vorstellen, was ich tun würde. Ich will mir nicht vorstellen, was ich tun würde, denn ich will mir nicht vorstellen müssen, wie so eine Welt, ohne sie aussehen würde.

Ihm diese Frage zu stellen, fühlt sich so verdammt falsch an, so als würde ich ein verbotenes Terrain betreten und ich wünschte, ich könnte es einfach rückgängig machen, meine Worte auslöschen und mir etwas anderes überlegen, aber alles, was mir in diesem Augenblick in den Sinn kommt, hört sich so schrecklich an, dass ich beschließe, den Mund zu halten.

Genau dieselbe Frage habe ich ihm vor ein paar Monaten gestellt. Ist das nicht seltsam? Damals hat er ziemlich komisch auf meine Frage reagiert, während Jace mir nicht einmal in die Augen sehen konnte. Aber trotzdem erinnere ich mich daran, dass er behauptet hat, dass sie wiederkommen wird. Er hat mir erzählt, dass sie nicht tot sei. Etwas in seinem Blick damals wirkte verletzt und hoffnungsvoll zugleich. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen, dabei ist es verdammt lange her, so lange, dass es sich anfühlt, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.

Mit aufeinander gepressten Lippen sehe ich Kyran an, aber er starrt immer noch auf das Grab. Ich folge erneut seinem Blick, um die Initialen auf dem Grabstein zu lesen.

Das Foto von seiner Mutter neben dem Grab zu sehen, ist so grausam, dass ich es mir nicht mehr länger ansehen kann, auch wenn sie wunderschön ist und unglaublich glücklich auf dem Foto wirkt. Aber vielleicht liegt es auch genau daran, dass sie auf diesem Foto strahlt, während ihr Körper unter der Erde liegt.

Ich lese stumm Mary Annabelle Claes, geboren 14.12.1976, gestorben 28.08.2016.

»Das ist...das ist erst zwei Wochen her«, stelle ich vollkommen fassungslos fest und sehe ihn an. Er presst die Lippen aufeinander und dreht langsam den Kopf zu mir.

Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, wie so oft in den letzten paar Minuten, aber ich habe wirklich keine Ahnung, was man in einem solchen Moment zu tun hat und weil ich mich völlig unbeholfen und nutzlos fühle und weil ich in Kyrans feuchte Augen blicke und mich an die strahlende Frau auf dem Foto erinnere, fange ich an, zu weinen. Was ist nur los mit mir? Ich verfluche mich für meine verdammt sensible Seite, die andauernd zu weinen beginnt, vor allem in den letzten Monaten.

Kyran starrt mich völlig überrumpelt an. Ich drehe mich schnell weg, damit er meine Tränen nicht sehen kann, aber da ist es natürlich schon längst zu spät. Verdammt, Mia. Jetzt ist nicht der Moment, um zu weinen, jedenfalls nicht für mich. Eigentlich sollte ich diejenige sein, die Kyran tröstet und nicht selbst Trost braucht.

»Mia?«

Ich wische mir hastig über die Augen, bevor ich mich mit einem aufmunternden Lächeln zu ihm drehe. Er hat die Stirn gerunzelt, steht aber sonst genauso da, wie eben noch. Ich schniefe und gehe wieder auf ihn zu. »Du hättest da nicht alleine durch gemusst, Kyran. Ich hätte für dich da sein können. Ich wünschte, ich hätte für dich da sein können. Ich wünschte, du hättest dich mir früher geöffnet.«

KyranWhere stories live. Discover now