43.

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Tessa lehnt sich seufzend gegen meinen Spind, was mich im ersten Moment ziemlich überrascht, denn normalerweise, kommt sie immer zu spät zum Unterricht. Es ist ungewohnt, sie noch vor Schulbeginn in den Fluren zu sehen. Sie ist die Art von Schüler, die meistens genau hinter dem Lehrer das Klassenzimmer betreten, kurz nachdem es zum zweiten Mal geklingelt hat.

»Jonathan«, sagt sie, ohne mich zu begrüßen. Sie betont seinen Namen extra langsam, um ihren Ekel und Hass, den sie mit einem Mal für diesen Jungen pflegt, zu unterstreichen, »hat sich als totales Arschloch entpuppt.«

Etwas verwundert schaue ich auf und hebe eine Braue. Das kam nun wirklich unerwartet. Denn eigentlich habe ich damit gerechnet, dass Nathan endlich der Richtige für sie ist oder ihre Beziehung wenigstens länger hält, als der Nagellack auf ihren Fingernägeln (und glaubt mir, der hält nie lange), aber das wohl nicht der Fall.

»Was ist passiert?«, frage ich, während ich meine Bücher für die ersten Stunden aus dem Spind krame.

Tessa hat sich ihre langen blonden Haare heute geglättet, was sie immer tut, nachdem sie einem Typen den Laufpass gegeben hat und - so wie sie es gerne ausdrückt - ein neues Leben beginnt. Also könnte ich mir vielleicht denken, was passiert ist, aber mir fehlen die Details, denn immerhin durfte ich Nathan kennen lernen und er wirkte um ehrlich zu sein ziemlich nett. Netter als alle anderen Jungs mit denen Tessa je was hatte. Denn meistens hat meine beste Freundin eher etwas für die - wie ich sie gerne nenne - bösen Jungs übrig. Ich weiß nicht wieso. Vielleicht steht sie drauf, verarscht und schlecht behandelt zu werden. Vielleicht liebt sie es einen Typen zu küssen, der wie ein Aschenbecher schmeckt und sie nie zurück ruft. Ich habe wirklich geglaubt, dass es dieses Mal was ganz ernstes ist, denn Nathan wirkte überhaupt nicht so.

Sie verdreht die Augen und wickelt sich dabei eine Haarsträhne um den Finger. »Frag lieber nicht.«

Doch kurz nachdem sie das sagt, starrt sie mit ihren blauen, großen Augen in meine. Inzwischen kenne ich sie lange genug, um zu wissen, dass sie zwar immer frag lieber nicht sagt, es aber nicht so meint. Sie starrt mir nämlich kurz nachdem sie diesen Satz sagt, immer in die Augen und irgendwann habe ich gelernt, dass ihre Augen mich anbrüllen: Frag mich trotzdem! Los!

»War er doch nicht dein Prinz?«, frage ich also schließlich. Denn so oder so wird sie es mir am Ende doch noch erzählen. Wem soll sie sich sonst anvertrauen? In unserem Leben gab es nie andere Freundinnen. Tessa und ich waren schon immer zu zweit, nie mehr. Und wir haben uns immer alles erzählt. Vermutlich erzählt Tessa mehr als ich, was einfach an ihrer direkten und offenen Art liegt, für die ich sie manchmal beneide.

Mir fällt der Kuss von neulich ein und ich berühre unwillkürlich meine Lippen. Davon weiß sie nichts. Sobald ich daran denke, wird mir schlecht und ich habe das Gefühl, Tessa sieht es mir an. Sie sieht mir an, dass ich ein Geheimnis habe. Doch sie sagt nichts. Ich presse die Lippen aufeinander. Vermutlich hätte ich es ihr sagen sollen, aber ich hatte einfach keine Zeit dazu.

»Naja«, seufzt sie und legt ihren Kopf in den Nacken. »Ich hätte mich nicht auf einen Jonathan einlassen sollen. Da war die Katastrophe doch schon vorprogrammiert gewesen.«

»Du kannst nicht immer einem Namen die Schuld geben«, sage ich, als Tessa wieder mit ihren blöden Namen-Ausreden kommt. Erst war es ein Junge der Robert heißt, nun ist es ein Junge der Jonathan heißt...was kommt als nächstes? Welcher Name schafft es noch auf die schwarze Liste?

»Wieso? Weil Namen Gefühle haben?«, frage sie und der sarkastische Unterton in ihrer Stimme ist mehr als deutlich.

»Vielleicht haben sie das ja wirklich.«

KyranWhere stories live. Discover now