04.

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Gegen vier Uhr klingelt es an der Tür. Ich habe die ganze Sache mit Kyran schon vergessen, als ich im Garten über meinen Hausaufgaben sitze, da ruft meine Mutter aus der Küche: »Mia, könntest du an die Tür gehen? Ich bin gerade beschäftigt.«

Ich seufze, springe dennoch von meinem Platz auf und laufe einmal durch das ganze Haus. Als ich die Tür öffne, lehnt ein grimmiger Kyran am Türrahmen. Er steckt sich sein Handy, mit dem er gerade noch herum gespielt hat, in die Hosentasche und sieht mich wütend an. »Eine Sekunde länger und ich wäre über den Gartenzaun gesprungen.«

»Eine Sekunde länger und du hättest eine Anzeige kassiert«, antworte ich, aber er reagiert gar nicht darauf. Stattdessen schiebt er mich zur Seite und geht an mir vorbei. Mein Blick fällt auf das schwarze T-Shirt, das er trägt. Ich lese die rote Aufschrift auf dem Rücken. Rise Against.

Er schaut sich das Haus an, so als wäre er nicht zu Besuch hier, sondern zu einem Besichtigungstermin. Ich schließe die Tür und folge ihm augenrollend durch den Flur. Manchmal frage ich mich, ob meine Entscheidung auch die richtige gewesen ist, denn so langsam bezweifle ich es.

»Schatz, wer war an der Tür?«, ruft meine Mutter aus der Küche. Kyran dreht sich zu mir um und grinst frech. 

»Kyran«, antworte ich.

Eine Sekunde später steht meine Mutter im Flur. Ihre Augen sind ganz groß und ihr Mund steht offen, während sie zwischen Kyran und mir hin und her schaut. Hey, wenn ich sie wäre, würde ich meinen Augen wohl auch nicht glauben. Diese ganze Situation ist total abgedreht, viel zu abgedreht, um es zu glauben. Sie scheint genauso wenig wie ich zu glauben, dass Kyran tatsächlich in unserem Haus, in unserem Flur steht.

»Guten Tag, Mrs. Bahrs«, sagt er schließlich und bricht damit die Stille, die zwischen uns geherrscht hat. Er streckt ihr seine Hand entgegen, so als wäre nichts dabei, als würden sie sich zum ersten Mal gegenüberstehen. »Ich bin von nebenan, Kyran Claes.«

Meine Mutter starrt ihn noch gefühlte tausend Jahre an, bevor sie sich hastig die Hände an der Schürze abwischt und seine Hand schüttelt. »Hallo, Kyran. Wie schön, dass du hier bist. Nenn mich einfach Doris.« Dann starrt sie mich an. Sie lässt Kyrans Hand wieder frei und lacht gezwungen. Ihr Blick drückt pure Verwirrung aus. Ich würde ihr gerne die Wahrheit sagen, aber das kann ich nicht. »Nimm es mir nicht übel, Kyran, ich bin nur etwas überrascht, dich hier zu sehen. Seid ihr... Seid ihr vielleicht-«

»Oh Gott, Mom!«, rufe ich dazwischen, bevor sie die nächsten Worte laut aussprechen kann. Alleine der Gedanke daran ist total daneben. »Nein, sind wir nicht!«

Kyran lacht, anscheinend hat er sich endlich dazu durchgerungen, mir zu helfen, denn er sagt: »Wir sind nur Chemiepartner. Ich bin vorbeigekommen, um an dem Projekt weiter zu arbeiten.«

»Achso.« Meine Mutter sieht etwas enttäuscht aus, so als hätte sie sich erhofft, dass da etwas zwischen Kyran und mir laufen würde. Doch dann lächelt sie wieder. »Mia, geh doch mit ihm in den Garten. Ich habe heute Morgen ein paar Plätzchen gebacken. Du magst doch Plätzchen oder?«

»Na klar«, lacht Kyran, während er mir folgt. Wir gehen noch einmal durch das Haus und setzen uns schließlich hin. Kyrans Blick fällt auf meine Hausaufgaben und er hebt verblüfft die Brauen. »Wow, du bist aber fleißig. Warte, ich habe was für dich. Hier.«

Ich schaue auf. Kyran legt seinen Ordner auf meinen Tisch und lässt sich grinsend neben mich auf den Stuhl fallen. »Was wir in Chemie aufhaben, weißt du ja. Und hier steht, was ich in Physik und Mathe machen muss.« Er zeigt auf einen Zettel, auf dem er mit unleserlicher Schrift Zahlen und irgendwelche Wörter geschrieben hat, von denen ich nur erraten kann, was sie bedeuten. Ich werfe ihm einen zornigen Blick zu, aber er hebt nur abwehrend die Hände und lacht dabei. »Betrachte das als eine Art Anzahlung.«

Ich verdrehe die Augen, mache mich aber dennoch daran, seine Hausaufgaben zu lösen. Angefangen mit Chemie. Da wir im selben Kurs sind, muss ich einfach nur meine Lösung vergleichen und abschreiben. Ab und zu werfe ich einen Blick auf den Jungen, der neben mir sitzt. Kyran hat sich Kopfhörer aufgesetzt, bewegt den Kopf zu der lauten Musik, die aus ihnen dröhnt. Ich wüsste gerne, was er da hört, aber ich kann weder die Melodie noch die Stimme zu einer mir bekannten Band oder einem bekannten Sänger einordnen, also versuche ich die Musik auszublenden und mich auf seine Physikhausarbeit zu konzentrieren.

Irgendwann kommt meine Mutter heraus. Sie balanciert ein Tablett, überfüllt mit Keksen und zwei Gläsern Cola auf den Händen und stellt es vor uns auf dem Tisch ab. Kyran reißt sich schnell die Kopfhörer von den Ohren und tut so, als grübele er neben mir über den Arbeitsblättern. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen, aber meiner Mutter scheint nichts aufzufallen. Sie summt glücklich vor sich hin, während sie wieder ins Haus geht und uns alleine zurücklässt.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt