07.

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»Hast du eigentlich eine Freundin oder so?«, frage ich am nächsten Tag, als Kyran gerade die Chemiehausaufgaben von mir abschreibt, während ich über seinen Physikaufgaben sitze. Eigentlich mag ich Naturwissenschaften, aber Physik ist nicht gerade mein Lieblingsfach. Naja, denke ich. Besser als Biologie.

Es hat mich ziemlich viel Überwindung gekostet, ihn das zu fragen und ich weiß nicht, woher ich diesen Mut genommen habe, aber als die Frage zwischen uns schwebt, bereue ich es auf einmal. Kyran schaut von seinem Heft auf und grinst breit. Das Grinsen entblößt seine weißen Zähne. »Wieso? Willst du die Konkurrenz abchecken?«

Meine Mutter hat einen Kuchen gebacken und ihn vor uns auf den Tisch gestellt. Ich bin froh, dass das Wetter gut genug ist, um im Garten sitzen zu können, denn der Gedanke daran, Kyran in mein Zimmer zu lassen, widerstrebt mir. Die Erinnerung an seinen ersten Besuch reicht mir.

»Nein, ich würde mich einfach nicht wohl dabei fühlen, so etwas zu tun, wenn du eine Freundin hättest«, antworte ich und nehme mir ein Stück von dem leckeren Schokokuchen. Ich möchte alles, nur nicht in sein Gesicht blicken.

»Du bist ein gutes Mädchen, Mia«, sagt er leise und streicht mir liebevoll über den Kopf. Zuerst will ich ihn böse anfunkeln, doch dann fällt mir auf, dass Kyrans Grinsen verschwunden ist, stattdessen lächelt er. Sein Lächeln wirkt warm und herzlich und plötzlich betrachte ich seine Worte mit anderen Augen. Sie wirken wie ein Kompliment, so als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich mich unwohl dabei fühlen würde, wenn er eine Freundin hätte. Meine Wut verpufft augenblicklich. »Wenn ich eine Freundin hätte, würde ich das hier niemals tun.«

»Echt nicht?«, frage ich und sehe ihn überrascht an. Kyran löst den Blick von dem Fleck, den er bis eben angestarrt hat und sieht mir lachend in die Augen. »Was denn? Hättest du mir so etwas wirklich zugetraut?«

»Um ehrlich zu sein... irgendwie bin ich davon ausgegangen«, murmele ich. Vielleicht war es nicht in Ordnung, davon auszugehen, dass er die Sorte von Junge ist, die mit Mädchen spielen und von Bett zu Bett hüpfen. Ich weiß selbst nicht, wie ich zu dieser Theorie komme, aber plötzlich fühle ich mich schlecht. Vermutlich hätte ich ihn nicht einfach so in eine Schublade stecken sollen, ohne überhaupt etwas über ihn zu wissen, denn Kyran scheint ganz anders zu sein, als erwartet. Ich erwische mich dabei, wie mich diese Erkenntnis beruhigt, dabei weiß ich nicht einmal wieso.

»Hör mal, Mia, du solltest aufhören Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen.« Er sieht mir in die Augen und obwohl er lächelt, schwingt etwas anderes in seiner Stimme mit. Er ist verletzt. »Ich mag vielleicht ein Gesicht haben, das nur so vor Schönheit sprüht und von meinem Körper will ich erst gar nicht anfangen...«, sagt er und ich schaffe es nicht, ernst zu bleiben und lache leise, doch Kyran lässt sich davon nicht ablenken und redet einfach weiter: »...aber das heißt noch lange nicht, dass ich ein Arschloch bin, das die Mädchen wie Dreck behandelt.«

Ich schaue überrascht auf, aber er sieht mich nicht an, starrt stattdessen auf einen weit entfernten Punkt, bis er schließlich wieder mich ansieht. Sein Blick wirkt weder amüsiert noch abfällig, er sieht mir ernst in die Augen. »Da drinne schlägt ein Herz«, sagt er, nimmt meine Hand und drückt sie an seine Brust, so als wolle er mir beweisen, dass es tatsächlich schlägt. »Ich glaube, am Ende wünscht sich jeder, ehrlich lieben zu können und geliebt zu werden.«

Und obwohl mich seine Worte berühren, schaffe ich es nicht, ihm zu antworten. Er starrt auf die Hecke, die unseren Garten von dem der Claes' abtrennt. Ich folge seinem Blick und mein Herz hüpft wild auf und ab, während ich über seine Worte nachdenke. Worte, die mich unglaublich bewegen.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt