15.

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»Stell dich so hin«, sagt Kyran, die Hände auf meinen Schultern abgelegt, um mich und meinen Oberkörper zu dirigieren. »Nein, du musst die Brust mehr herausstrecken. Der Kopf muss hoch, Mia. Das Ganze muss selbstbewusster wirken.« Er seufzt, tritt einen Schritt zurück und geht sich durch das dunkle Haar. Kyran mag vielleicht so wirken, als würde er drängen, dabei ist er ziemlich geduldig mit mir. Er nimmt sich unglaublich viel Zeit für mich.

Als er dieses Mal aufblickt, fällt mir auf, dass er müde aussieht. Die Ringe unter seinen Augen sind tief und dunkel und seine Augen sind leicht rot, so als hätte er zu wenig Schlaf gehabt. Ich will ihn fragen, was los ist, doch er redet einfach weiter:»Okay, hör mir zu. Du wirst jetzt die Brust herausstrecken«, sagt er, die Stimme dieses Mal fester, als die Male zuvor. Er legt eine Hand auf meine Schulter und die andere auf meinen Rücken, dann drückt er meine Schulter zurück und den Rücken so, dass ich ziemlich gerade da stehe. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, als er mit seinen Händen über meinen Körper fährt, bis er oben bei meinem Gesicht angekommen ist. Kyrans Gesicht ist meinem so nahe, dass ich mich nur ein wenig vorbeugen müsste, um ihn küssen zu können. »So ist gut«, meint er schließlich, als er mein Kinn anhebt und meinen Kopf in die für ihn richtige Stellung bewegt. »Du siehst schon ganz anders aus.«

»Echt?«, frage ich, ein kleines bisschen aufgedreht und glücklich, weil ich endlich einen Schritt nach vorne gekommen bin. Die letzten Wochen mit Kyran scheinen mir bis jetzt nicht viel gebracht zu haben. Jedenfalls fällt mir kein Unterschied auf. Alleine diese Stellung einzunehmen, hat mich gefühlte Jahre gekostet. Kyran lächelt zufrieden, bevor er sich über die müden Augen reibt. »Ja, du wirkst viel selbstwusster und Mia, du darfst ruhig selbstbewusst sein. Du solltest nur den Grad zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz erkennen.«

»Ich bin aber nicht selbstbewusst«, sage ich und lasse meine Haltung fallen, die ich bis eben noch versucht habe einzuhalten. Um ehrlich zu sein, sehe ich so langsam aber sicher keinen Erfolg in diesen ganzen Übungsstunden. Vielleicht sollte ich es einfach sein lassen. Jetzt stehe ich da wieder mit hängenden Schultern und überhaupt nicht mehr selbstsicher. »Und ich kann auch nicht so tun, als ob.«

Kyran tritt wieder näher an mich heran. Ich hebe den Kopf, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Er lächelt aber nicht, seine Augen scheinen zu glühen, fast wie helle Blitze bohren sie sich in mein Gesicht. So wie er jetzt aussieht, habe ich ihn noch nie gesehen. Er wirkt zerknirscht und niedergeschlagen, aber gleichzeitig wütend. Kyran kaut auf seiner Unterlippe herum, starrt mir dabei aber unentwegt in die Augen. »Wieso nicht? Hälst du dich für nicht hübsch genug?«

Ich senke die Lider, schaffe es nicht länger seinem starren Blick standzuhalten. Es ist nicht die Wut in seinen Augen, die mich unruhig macht, sondern, dass da etwas anderes mitschwengt. Er wirkt so, als würde ihn die Tatsache, dass ich so denke, verletzen. Ich will ihn aber nicht verletzen und ich will auch nicht mit ansehen, dass er verletzt ist. Denn irgendwie verletzt es mich ebenfalls.

Er streckt die Hand aus, hebt mein Gesicht an. Meine Augen haben keine andere Möglichkeit, als auf ihn zu fallen. Sein Blick hat sich verändert, es ist, als wäre die Wut verpufft. Die Stimmung zwischen uns schlägt so schnell um, dass ich selbst nicht mehr ganz hinterher zu kommen scheine. »Was ist, wenn ich dir sage, dass du schön bist?«

Ich lache, angesichts dieser lächerlichen Behauptung. Manchmal sind Kyrans Lügen so offensichtlich, dass ich sie gar nicht erst ernst nehmen kann. »Dann glaube ich dir nicht.«

»Tut mir leid, dass sagen zu müssen, Mia, aber ich hätte dich für schlauer gehalten.« Er seufzt, reibt sich über die Augen und sieht mich schließlich wieder an. Strähnen fallen ihm ins Gesicht, aber er macht sich nicht die Mühe, sie zurückzustreichen oder sich die Haare zu schneiden.

Ich starre ihn an. »Was?«

»Zu glauben, dass ich lüge, ist ziemlich dumm«, sagt er und ganz plötzlich, ohne, dass ich es hätte kommen sehen können, beugt er sich plötzlich zu mir vor. Er lächelt. »Manchmal da muss man nicht immer die Dinge an sich schlecht reden, die man nicht mag, denn keiner von uns ist perfekt. Und ja, damit meine ich auch mich. Ich weiß, das ist schwer zu glauben, aber auch ich bin nicht perfekt.« Er grinst frech, doch dann werden seine Gesichtszüge wieder weicher. »Gibt es irgendetwas an dir, dass dir gefällt?«

Ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß es ehrlich nicht. Bis jetzt habe ich nie darüber nachgedacht, um ehrlich zu sein.

»Dann helfe ich dir mal.« Kyran lächelt. Er starrt mir tief in die Augen, während er mit seinem Daumen sanft mein Gesicht entlang fährt. »Du hast wunderschöne dunkelbraune Augen, Mia. Sie haben die selbe Farbe wie Schokolade, aber wenn du wütend wirst, werden sie so dunkel, dass ich manchmal glaube, dass sie schon fast schwarz sind.«

»So etwas ist dir aufgefallen?«, frage ich sichtlich irritiert. Kyran grinst breit, als sei er stolz auf sich selbst, dann nickt er. »Aber mir ist noch viel mehr aufgefallen, Mia«, flüstert er, fast als habe er Angst, dass uns jemand belauschen könnte. Er fährt mit seinen weichen Fingern mein Gesicht herauf, meine Wangen hinauf, bis er kurz unter meinen Augen stehenbleibt und liebevoll mit dem Daumen über die Haut streicht. »Du hast hier ein Muttermal und immer wenn du lachst, verschwindet es.« Er lehnt sich leicht zurück, so als wolle er mich von Weitem betrachten, dann seufzt er:»Jeder Mensch ist auf seine Art und Weise wunderschön, manchmal muss man nur auf die kleinen Dinge achten und lernen sie zu schätzen.«

»Du bist bescheuert«, lache ich nach ein paar Sekunden Stille. Es ist nicht unbedingt das, was ich hatte sagen wollen, aber ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen. Kyrans Nähe und seine Worte haben mich unglaublich nervös gemacht.

Er lässt mein Gesicht abrupt los, aber er tritt nicht zurück. Er bleibt genauso nah vor mir stehen, dass ich glaube, seinen Herzschlag zu hören. Poch, poch, poch. »Ich werde dich morgen daran erinnern. Und übermorgen und einfach jeden verdammten Tag, bis du einen Freund findest, der das übernimmt. Und ich schwöre dir Mia, wenn er das nicht tut, dann ist er es nicht wert, von dir geliebt zu werden.«

»Das hätte ich gar nicht von dir erwartet. Du wirkst ganz anders«, sage ich und lächle. Kyran schaut mich verdutzt an, er hebt eine Braue, sagt er nichts. »Dass du so...romantisch und bodenständig bist.«

Kyran schüttelt den Kopf, er wirkt wieder wütend. »Das bin ich nicht.« Er schnaubt, ehrlich verärgert über meine Aussage. »Was ist, wenn ich behaupte, dass alle anderen Menschen einfach nur viel zu oberflächlich denken? Ich bin hier nicht das Phänomen, sondern der Rest der Menschheit.«

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt