25.

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»Hey«, sage ich grinsend, als Kyran am nächsten Tag vor meiner Haustür steht. Ich will mich gerade umdrehen, um wieder ins Haus zu gehen, weil ich denke, dass er zu mir möchte, da hält Kyran mich fest. Etwas überrascht schaue ich auf seine Hand, die meinen Arm umschlingt.

»Was ist denn mit dir los?«, frage ich lachend, als er weiterhin meinen Arm festhält, aber nichts sagt. Leicht irritiert beobachte ich ihn, aber er wirkt weder wütend noch so als bedrücke ihn etwas. Ich schüttele den Kopf und versuche seinen Griff zu lösen, aber er ist zu fest. Schließlich ergebe ich mich seufzend. »Kyran, was ist los mit dir? Bist du krank? Willst du, dass ich dir einen Tee koche? Schwarztee wie immer?«

Ich will mich wieder umdrehen, aber Kyran hält mich zurück. Schon ein wenig genervt hebe ich eine Braue und mustere ihn fragend. Er hebt grinsend die Hand, um mir eine dunkle Strähne aus dem Gesicht zu streichen. »Mia, mir geht es gut. Ich wollte heute nicht zu dir, sondern mit dir in die Stadt.«

Etwas verblüfft sehe ich ihn an. »In die Stadt? Was willst du denn da? Und was ist mit unseren Hausaufgaben? Mr. Glines-«

»Die können wir auch später noch machen. Oder morgen in der Pause.« Er lächelt mich an, beugt sich zu mir vor und sagt:»Das hier kann aber nicht warten. Du brauchst nämlich unbedingt neue Kleidung.«

Ich sehe etwas verwundert an mich herunter. Was hat er denn gegen meine Kleidung?

»Du kannst nicht mit zerrissenen Jeans herumlaufen, Mia«, lacht er und zieht mich aus dem Haus heraus, bevor ich protestieren könnte, zieht er die Tür hinter mir zu. »Von dem T-Shirt will ich gar nicht erst anfangen.«

»Was ist denn an meinem T-Shirt falsch?«, frage ich und schaue an mir herunter. Ein kleiner, überdimensionaler Hase starrt mich mit seinen großen Kulleraugen an. Okay, okay, vielleicht ist das Motiv nicht ganz erwachsen, aber als ich es gekauft habe, fand ich es süß, wenn ich es in diesem Moment sehe, schäme ich mich in Grund und Boden. »Schon okay«, murmele ich, bevor er etwas auf meine Frage erwidern kann, während ich mir meine Jacke um den Oberkörper ziehe, um das T-Shirt zu überdecken. »Aber was ist mit den Jeans? Ich dachte zerrissen sei in.«

»Man sollte nicht immer dem Trend folgen«, meint er und verzieht fast schon angewidert das Gesicht, streckt dann die Hand aus, um meine Jacke wieder zu öffnen. »Hey, du brauchst dich nicht zu schämen, für diesen Hamster auf deinem T-Shirt.«

»Hase«, korrigiere ich ihn. »Das ist ein Hase.«

Er macht eine wegwerfende Geste. »Hamster, Hase - wie auch immer.« Wir bleiben an der Bushaltestelle stehen. Mir ist nicht aufgefallen, dass wir den ganzen Weg von meinem Haus zur Bushaltestelle Händchen gehalten haben. Es fällt mir erst auf, als Kyran schließlich meine Hand loslässt und ich hoffe bloß, dass die Nachbarn und vor allem meine Mutter uns nicht gesehen haben. Und dann fällt mir ein, dass ich vergessen habe, meiner Mutter Bescheid zu geben. Sie wird sich vermutlich wundern, wo ich hingegangen bin. Ich werde ihr gleich eine SMS schreiben, sobald ich im Bus sitze.

Kyran packt mich an den Schultern, während er mich an sich zieht, um mir in die Augen zu sehen. »Mir ist egal, was du in der Schule oder zu Hause trägst. Die Kleidung, die wir dir heute kaufen, wird für eine Party sein.«

»Oh«, sage ich etwas überrascht und schrecke leicht zurück, als Kyran mir immer näher kommt. Seine Augen bohren sich in meine, als er sich immer weiter zu mir vorbeugt. »Wir...wir gehen auf eine Party?«

»Du gehst auf eine Party«, sagt er und lässt mich langsam los. Er seufzt und geht sich durch die Haare. »Ich komme zwar mit, aber nicht als dein Begleiter.«

Ich sehe ihn verständnislos an.

»Mensch Mia«, seufzt er. »Ich besorge dir ein Date und komme mit, ohne, dass dein Date eine Ahnung davon hat.« Er grinst bei dieser Vorstellung. »Ich spiele den Spion. Undercover-Kyran.«

Ich lache, als er mich mit großen, begeisterten Augen ansieht und mich dabei an einen kleinen Jungen erinnert. Aber manchmal da darf er es auch sein. Ein kleiner Junge, meine ich. Manchmal darf er ein kleiner Junge sein.

»Und wann ist diese Party?«, frage ich, nachdem der Bus gekommen und wir eingestiegen sind. Kyran zuckt bloß mit den Schultern, als er zur Seite tritt, um mich am Fenster sitzen zu lassen. »Keine Ahnung. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, immerhin musst du noch einiges lernen, bevor man dich auf den männlichen Teil der Gesellschaft los lassen kann.« Er setzt sich neben mich und grinst breit. Bevor ich was dagegen tun könnte, legt er auch schon den Arm um mich und zieht mich an sich heran. Sein Gesicht ist meinem so nahe wie noch nie zuvor. Dieser Moment erinnert mich an damals, als Kyran versucht hat mich zu küssen und ich ihn davon abgehalten habe. Es ist genauso wie an diesem Tag, nur eine Sache ist anders. Ich habe keine Angst, habe nicht das Bedürfnis ihn von mir zu stoßen. Es ist beinahe so, als wünsche ich mir, dass er mich küsst und diese Tatsache macht mir Angst.

»Du musst doch noch lernen, wie man richtig küsst«, flüstert er grinsend, während er auf mich herabsieht. Ein anzügliches Grinsen spielt um seine Lippen, als er den Blick senkt und auf meinen Mund heftet. Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren.

Er löst den Blick nur kurz von meinen Lippen, um mir in die Augen zu sehen. Das sanfte Lächeln, das ihm im Gesicht klebt, zeigt ganz offen, dass ihm die Situation zu gefallen scheint. Langsam schiebt er seinen Finger unter mein Kinn, um mein Gesicht anzuheben und sich weiter vorzubeugen. Ich weiß, dass wir nicht alleine im Bus sind und ich weiß auch, dass uns der Busfahrer durch seinen Innenspiegel beobachten kann, aber das ist mir alles egal, als Kyran sich immer weiter zu mir vorbeugt. Ich fange an die Sekunden zu zählen, als ich langsam die Augen schließe, weil alles was ich sehe, zu verschwimmen scheint. Es ist, als warte ich Jahre, doch dann spüre ich seine Lippen an meinem Ohr und reiße erschrocken die Augen auf. Was zum Teufel?

Er legt seinen Kopf auf meine Schulter, vergräbt sein Gesicht an meiner Brust, während er mit den Fingern über meinen Rücken streicht. Seine Berührungen wirken immer so leicht, so als bemerke er gar nicht, was er da tut, als wäre ihm nicht einmal bewusst, dass er seine Finger bewegt, dabei lösen sie so viel in mir aus. Ich wünsche mir manchmal, ich wüsste wie es in ihm aussieht, wünschte, ich könnte in seine Augen sehen und seine Gefühle lesen, seine Gedanken hören und wissen, was er sich wünscht. Warum kann ich ihn nicht einfach fragen? Warum kann ich ihn nicht fragen, was er in mir sieht? Bewegen wir uns immer noch auf dem selben Eisblock, auf dem wir uns begegnet sind oder hat sich etwas verändert seit dieser Nacht? Meine Gefühle haben sich verändert, da bin ich mir sicher. Ich bin nicht dasselbe Mädchen, dem Kyran damals begegnet ist. Bin nicht mehr das Mädchen im Mickey Mouse BH, nicht das Mädchen, das ihm diese lächerliche Liste an den Kopf geworfen hat. Ich bin mehr, bin größer und das alles habe ich einzig und alleine ihm zu verdanken.

»Nicht jetzt«, flüstert Kyran mir ins Ohr, seine Stimme klingt hauchzart, so zart, dass ich befürchte, dass sie jeden Augenblick zerreissen könnte. »Und ganz bestimmt nicht hier.«

Ich möchte etwas sagen, möchte all meinen Mut zusammenkratzen und die nächsten Worte laut aussprechen, doch ich zögere zu lange.

Kyran krallt seine Finger in meine Schulter. Es tut nicht weh, ich spüre keinen physischen Schmerz, stattdessen spüre ich einen anderen Schmerz. Einen viel intensiveren und kraftvolleren Schmerz. Ich spüre Kyrans Verzweiflung, als er sich an mich lehnt, mich nicht ansieht »Diesen Kuss werde ich mir aufheben.«

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt