02.

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Als ich also am nächsten Morgen an meinem Spind stehe, um meine Schulsachen auszupacken, stellt sich plötzlich jemand neben mich. Ich schaue auf und begegne Kyrans stechend blauen Augen, als er sich gegen meinen Nachbarspind lehnt und die Leute im Gang beobachtet.

»Und?«, fragt er, ohne mich anzusehen. Seine Aufmerksamkeit liegt auf den Schülern, die an uns vorbeigehen. »Hast du darüber nachgedacht?«

Mir fällt mein Physikheft aus der Hand, vielleicht aus Panik, vielleicht aus Entsetzen. Ich habe nicht damit gerechnet ihn jetzt und hier aufzufinden und am allerwenigsten habe ich damit gerechnet, dass er mich ansprechen wird.

Kyran beugt sich nach unten, um es aufzuheben und hält es mir hin. Aber als ich danach greifen möchte, hält er es fest. Er sieht mir in die Augen und als er spricht, klingt seine Stimme fest, so, als dulde sie keine Widerrede. »Mein Angebot, Mia, hast du darüber nachgedacht?«

Ich reiße ihm mein Heft aus der Hand, nur um es Sekunden später in meinen überfüllten Rucksack zu stopfen. Seine Anwesenheit macht mich nervös. Das hat nichts mit seinem Aussehen oder dem selbstbewussten Auftreten zu tun, sondern einzig und allein damit, dass er mein Geheimnis kennt, meinen sehnlichsten Wunsch. Nicht einmal Tessa weiß, wie sehr ich mir einen Freund wünsche, dabei ist sie meine beste Freundin.

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, murmele ich, als ich mich nach vorne beuge, um meine Mathesachen herauszukramen. Ich sollte vielleicht einmal meinen Schrank ausräumen und ein wenig Ordnung in diesem Chaos schaffen, aber dazu fehlt mir die Zeit oder auch einfach nur die Lust.

Im nächsten Moment spüre ich Kyrans Körper an meinem. Er drückt seinen Bauch an meinen Rücken, beugt sich über mich und dann spüre ich auch schon seinen Atem an meinem Ohr. »Mia«, flüstert er ruhig. »Ich habe dir eine ganz einfache Frage gestellt, die du mit ja oder ja beantworten kannst, also hör auf dich dumm zu stellen, denn das bist du nicht.«

Er tritt einen Schritt zurück, sieht mich mit hochgezogenen Brauen an und fragt: »Also?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe, wütend. Wütend darüber, dass sein Angebot so verlockend klingt, dass es in mir die Hoffnung erweckt, etwas ändern zu können, mein Leben ändern zu können. Es wäre schön zu glauben, dass Kyran mir dabei helfen könnte, einen Freund zu finden und vielleicht, ganz vielleicht schafft er das auch. Immerhin scheint er in Sachen Liebe kein unerfahrenes Lamm zu sein.

»Alle Hausaufgaben?«, frage ich schließlich unsicher. Kyrans angestrengtes Gesicht entspannt sich, seine Mundwinkel heben sich zu einem erleichterten Lächeln, als ihm aufzufallen scheint, dass ich angebissen habe. »Nein, Chemie reicht. Und vielleicht noch Mathe. Physik wäre auch nicht schlecht.« Er grinst. »Aber das wäre dann alles.«

Ich verdrehe die Augen, aber so, dass er es nicht sieht, dann knalle ich meine Spindtür zu und sehe ihn an. »Wenn es sonst nichts ist.«

Er grinst breit. »Heißt das etwa ja?«

Ich nicke.

Kyran wirkt sichtlich erleichtert, fast als falle ihm eine gewisse Last von den Schultern. »Du bist spitze, Mia! Ich komme nach der Schule bei dir vorbei, okay? Bis später.«

Und dann ist er auch schon weg. Ich schaue ihm noch lange hinterher, als er den Gang entlang schlendert. Dieser Junge mit den braunen Haaren und den blauen Augen ist mir immer noch ein Rätsel. Er verschwindet jedes Mal genauso schnell, wie er gekommen ist. Und obwohl wir gestern Abend zum ersten Mal miteinander gesprochen haben, habe ich das Gefühl, ihn schon viel länger zu kennen.

Es dauert nicht einmal eine Minute, da springt Tessa aus einer Ecke heraus, in die sie sich anscheinend verkrochen hat. Ob sie uns wohl belauscht hat?

Sie wirft sich auf mich, mit großen blauen Augen starrt sie mich an. »Oh mein Gott! Was war das denn?«

»Er hat mich etwas wegen der Chemiehausarbeit gefragt«, lüge ich, dabei weiß ich nicht einmal, wieso ich meine beste Freundin anlüge. Ich weiß, dass es falsch ist und ich es nicht tun sollte, aber ich korrigiere mich nicht. Tessa wirft mir einen misstrauischen Blick zu, doch ich ignoriere ihn und steuere stattdessen auf den Physikraum zu.

A/N:

Oh Gott, ich muss mich richtig (fremd-)schämen, während ich das lese. Am liebsten hätte ich hinter jedem Absatz so einen richtig dummen Kommentar abgegeben. Was hab ich da damals für nen Scheiß geschrieben? 😂

KyranWhere stories live. Discover now