43

220 12 19
                                    


43.

Alle Gespräche stoppten, als Alainn und Zara auf den Balkon traten. Alainn fühlte hunderte Blicke auf ihrem Gesicht ruhen, während sie selber wie erstarrt das Geländer umklammerte und in den hohen Raum starrte.

»Willkommen bei den Undergroundlern«, flüsterte Zara, während sie ihr zu lächelte.

»Wie viele Undergroundler gibt es?«

Zara zuckte die Schulter. »Mehr als die Königin für möglich hält.« Ein triumphierendes Grinsen bildete sich auf ihrem Gesicht und sie winkte Alainn zu, damit sie ihr folgte.

»Komm!«

Alainn stieg langsam die Treppe herunter und staunte über die hohen Wände, die vielen Gänge und Aufstiege, die ein festes Geflecht bildeten und in diese große Halle führten. Dieser Saal gehörte zu einer ganzen, vergessenen Stadt, die unter Wolfsbach, in den Berg eingearbeitet war.

»Wer hat diese unterirdischen Räume gebaut?«

Zara zuckte mit den Achseln. »Ich vermute Zwerge.«

»Zwerge?« Mit offenen Mund hielt Alainn an und legte ihren Kopf in den Nacken, um die Decke des Baus anzusehen. Dunkle Steinsäulen hielten die hohe Decke, die sich gen Erdoberfläche streckte. Riesige Kronleuchter hingen von der Decke.

»Das sind Albensteine in den Kronleuchtern«, murmelte Alainn. Wie in einer Traumwelt, dachte sie, als ihre Blicke über die Wesen schweiften. Wesen, die nicht in ihrer menschlichen Gestalt herumliefen, sondern so, wie sie waren.

»Diese unterirdische Stadt ist in den Zeiten, der Hexenverbrennung gebaut worden. Hier haben sich die Wesen vor der Inquistion versteckt.«

»Und jetzt nutzen die Undergroundler sie?« Zara lächelte.

»So ist es.«

Erschrocken fuhr Alainn herum. Neben ihr stand ein Mann. Trotz seines Alters war der Mann muskulös und agil. Seine Bewegungen waren flink und seine gelben Augen leuchteten freundlich, als er sie von oben bis unten musterte. Er war oberkörperfrei und trug eine Hose, die mit einem breiten Gürtel, in der Mitte des Bauches begann und an den Waden eng anlag. Dazu trug der Mann hohe, schwarze Stiefel. Er wirkte wie all die anderen Wesen, wie jemand aus einer anderen Welt. Er hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und deutete eine kleine Verbeugung vor Alainn an. Es war der Mann, den Alainn in der Gerichtsverhandlung gesehen hatte. Was tat er hier?

»Es ist mir eine Ehre Caenna Namaras Tochter kennen zu lernen.« Er streckte ihr eine seiner massigen Pranken entgegen. »Ich bin Amphitrion. Ratsmitglied der Rebellen hier unten. Draußen kennt man mich als den Oberheeresführer der Königin.«

Zaghaft ergriff Alainn seine Hand.

»Stehen ihre Positionen nicht im Widerspruch mit einander?«, fragte sie dann vorsichtig.

In den gelben Augen des Mannes funkelte es amüsiert.

»Spione sind immer willkommen. Zara ist eine der Größten unter uns. Auf sie fiel noch nie der Verdacht der Spionage. Sie spielt ihre Rolle wie eine Meisterin.« Er nickte der Prinzessin zu, die ihn anlächelte. Alainn dachte, an ihre erste Begegnung mit Zara. Amphitrion hatte recht, Zara spielte ihre Rolle perfekt. Vielleicht ein bisschen zu perfekt, wenn Alainn an die Peitschenhiebe dachte und die herrischen Befehle der Prinzessin. Sie betrachtete das Mädchen von der Seite und fragte sich, ob jemand jemals über ihre Loyalität nachgedacht hatte. Zara hinterging schließlich nicht nur ihre Königin, sondern auch ihre Mutter. Und was würde mit dem Thron geschehen, wenn Morgraine tot war? War Zara hier, um schneller an den Thron zu kommen oder weil sie ihre Mutter wirklich stoppen wollte? Oder schloss das eine, dass andere gar nicht aus?

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt