Amara Memorias*aktualisiert

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17.

Mit wehenden Haaren und schnellen Schritten lief Alainn den Gang hinunter. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Ihr Gesicht fühlte sich unnatürlich heiß an und hässliche rote Flecken hatten sich auf Gesicht und Hals gebildet. Ohne auf den Weg zu achten, riss sie die nächstbeste Tür auf und schlüpfte in das Zimmer. Sie lehnte sich schwer atmend gegen die Tür. Dieser Tag war einfach zu viel von allen. Zu viel Tod. Zu viel Furcht. Zu viele Geheimnisse. Und zu wenig Kontrolle. Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht." Normalerweise fliehen die Menschen vor meiner Gesellschaft und nicht vor der meines Cousins!". Alainn zuckte zusammen. Erschrocken sah sie auf. Runzelte dann die Stirn, als sie im Halbdunkeln des Raumes ihn erblickte. Sie machte einige Schritte über den weichen Teppich auf ihn zu. 

„Bist du betrunken?", Kiran fläzte sich auf der Ledercouch des Herrenzimmers herum. Auf dem Rosenholztischchen stand eine Flasche, in der eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwamm. Locker umschlossen Kirans Finger ein Kristallglas, in dem eben diese Tinktur vorhanden war. Er sah schrecklich aus. Dunkle Augenringe zeichneten seine Wangenknochen wie eine scharfe Kante und sein schwarzes Haar stand wild von seinem Kopf ab. In seinen Obsidianaugen funkelte es gefährlich, geradezu angriffslustig.

 „Und wenn schon?", knurrte er und kippte den Rest der Flüssigkeit hinunter. Er verzog angewidert das Gesicht und schüttelte sich. Dennoch goss er sich nach:" ich habe heute meine beste Freundin verloren, weil ich dumm genug war auf die Meinung anderer zu hören!", Alainn, die bis dato mit gerunzelter Stirn vor ihm gestanden hatte und ihn mit kritischen Blicken durchbohrte, seufzte. Sie lies sich auf das freie Ende der Couch fallen. Knarrend sackte das Polster unter ihrem Gewicht ein. Dann beugte sie sich vor, nahm Kiran das Glas aus der Hand und stürzte den gesamten Inhalt hinunter. Sie schüttelte sich vor Ekel, doch eine angenehme Wärme machte sich in ihren Eingeweiden breit. Kiran lachte ein freudloses Lachen:" Die Eisprinzessin zeigt Gefühle!", höhnte er. Alainn schnaubte und füllte nach. 

„Ist das dein Ernst?", fragte sie, während sie Kiran das Glas reichte:" ein besserer Name fällt dir nicht ein?", wieder lachte Kiran. 

„Ich bin kein Poet. Also kann ich nicht mit mehr Orginalität aufwarten!", er deutete eine spöttische Verbeugung in seiner halb liegenden Position auf dem Sofa an, die Alainn ein kleines Lächeln entlockte. 

„Schon wieder!", Kiran zeigte schwankend auf ihren Mund:" Wo ist die Wut und die Selbstgerechte Haltung?"

„Ich bin müde! Meine Mum ist verschwunden und im Wald..", sie stockte. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, als sie an die roten Augen dachte. Kiran nickte. „Die Augen!" Es entstand eine Stille, in der beide ihren Gedanken nach hingen. Das einzige, was die Stille durchbrach, war das Herunterwürgen des Brandys. 

„Also, wer war es?", Alainn hob den Kopf und sah Kiran verständnislos an. „Na derjenige, dem du deine Eisprinzessin- Haltung verdankst?", Kirans Augen leuchtete wie geschliffener Onyx, als er sie ansah. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf Alainns Armen. „Das geht dich ein Scheiß an!", sie funkelte ihn an

. „Sehr schlagfertig muss ich sagen!", höhnte er und reichte Alainn das Glas:" Der Typ muss dich ja regelrecht vernichtet haben!", Alainn lächelte ihrerseits nun höhnisch. Die Kälte verschwand aus ihren Gliedern und die wohlige Wärme in ihrem Inneren entspannte sie zunehmend:"Ihr Typen glaubt doch tatsächlich immer, dass es um euch geht!", sie lachte spöttisch. Süßlich schwer lag ihr Duft in der Luft, vernebelte langsam seine Sinne 

„Dann war es kein Typ?" Alainn ignorierte den lasziven Unterton in Kirans Stimme und das neckische Zwinkern:" kein Typ!", sie schüttelte den Kopf und trank erneut."Ein Mädchen, also?", Kiran zwinkerte ihr neckisch zu und das betörende Funkel setzte wieder ein. 

„Nein!", Alainn verdrehte die Augen. 

„Wer dann?", er sah sie an. Sein geschliffener Onyx traf auf ihr Sonnen besprenkeltes Moos. „Wovor hast du Angst?", fragte Kiran. Seine Stimme war leise und warm. 

„Ich habe keine Angst!" Er lachte leise:" Doch natürlich! Aber das ist nicht schlimm. Wir haben alle vor irgendetwas Angst!"

„Wovor hast du Angst?". Sein Arm ruhte locker auf der Lehne der Couch, sein Körper lag relaxt auf den weichen Polstern, während sein Blick auf den Teppich gerichtet war. 

„Ich habe Angst, die Menschen zu verlieren, die mir alles bedeuten!" Er sah sie erwartungsvoll an. 

„Du bist wirklich kein Poet, sonst hättest du eine orginellere Angst zu bieten." Alainn grinste, aber es war nur ein Versuch die ernste Stimmung auf zu lockern. Kiran ging darauf nicht ein. Er sah sie weiterhin mit seinem durchdringenden Blick an:" Es ist nicht schlimm, wenn du dich nicht getraust, deine Angst auszusprechen!", er winkte ab. Erhob sich aus seiner halb liegenden Position, rutschte auf sie zu. Alainn kaute auf ihrer Unterlippe herum. Er beugte sich zu ihr vor. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. Roch den Zimt und die Tannennadeln, deren Geruch ihn umgaben und sie immer an Weihnachten und Geborgenheit erinnerten. Kirans Zunge fühlte sich schwer vom Alkohol an. Alles um ihn herum, wurde leicht unscharf, nur Alainns Gesicht wirkte schärfer, den je. Ihre blasse Porzellanhaut.

 Die großen, grünen Augen, die ihn immer an Goldbesprenkeltes Moos in den tiefen des Wolfsbacher Waldes denken ließen. Ihre vollen Lippen, die sie unaufhörlich mit ihren Zähnen malträtierte bis ein dünnes Rinnsal Blut hinunter lief. Er kam ihr noch ein Stückchen näher und hob die Hand. Er sah, wie sich ihre Augen erschrocken weiteten und sie den Atem anhielt, während sie seiner Hand mit den Augen folgte, die sich auf ihre Lippe zu bewegte. Sanft strich er über das Blut, das aus ihrer Lippe quoll. Wischte den Tropfen ab. Er sah ihr Erstarren, als sein Daumen ihre Haut berührte. Kiran konnte in ihren Augen sehen, wie sie innerlich vor ihm zurückzuckte. Sie wirkte, wie ein aufgeschrecktes Reh, dass man in der Dunkelheit versehentlich mit einem Lichtstrahl getroffen hatte. Verletzlich und ängstlich. „Ich sage dir, wovor du Angst hast!", flüsterte er. Sie roch süß. Lindenblüte mit einem Schuss 

Honig und dazwischen der metallische Duft nach Blut. Eine merkwürdige Kombination, dachte Kiran, aber passend. 

„Du hast Angst verletzt zu werden. Tut mir leid, dass auch du keine originelle Angst hast. Du bist eben auch nur eine Normalsterbliche!" er lächelte sanft und zog sich zurück. Alainns Herz raste. Sie blinzelte:" Du weißt nichts über mich!", wisperte sie. Sie klang nicht trotzig. Ihre Stimmlage erinnerte eher an vollkommene Entwaffnung.

 „Du hast Recht! Aber ich sehe viel!", trotz des Alkohols betrachtete er sie mit seinem scharfen, analytischen Blick. Seine Augen huschten über die Linie ihrer Nase, den Schwung ihrer Lippen und die leuchtende Blässe ihrer Haut. Er streckte eine Hand aus. Alainn hielt wieder den Atem an. Kiran griff mit seinen großen Händen und den langen, schwieligen Fingern nach einer ihrer Strähnen und betrachtete sie:" Ich sehe viel, Alainn Namara", murmelte er:" Und dennoch", er runzelte die Stirn:" bist du in vielerlei Hinsicht ein Mysterium!", Kiran lehnte sich zurück. Alainn atmete aus. Die Stimmung, die minutenlang zwischen ihnen geherrscht hatte, war vorbei. 

„Ich habe nachgedacht...", begann Kiran. Er klang fast fröhlich:" Du hast Recht. Die Erwachsenen werden uns nie etwas erzählen und ich bin es Allison schuldig heraus zu finden, wer ihr das angetan hat!" Alainn nickte. Noch immer fühlte sie sich leicht benommen von dem plötzlichen Stimmungswechsel:" Gut!", ihre Stimme war rau und unsicher. 

Sie räusperte sich:" Wir müssen heraus finden, wann genau sie verschwunden ist und wo sie an diesem Tag war. Wenn wir ihren Tag rekonstruieren können, finden wir vielleicht Hinweise, wo die Mörder sie aufgegriffen haben!"

„Mörder?", fragte Kiran, aber dann schien ihm etwas in den Sinn zu kommen:" Es waren mehr als zwei paar rote Augen!"

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt