Lupus ad mortum* aktualisiert

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1.

Kalter Angstschweiß bedeckte ihre Haut wie ein schmieriger Film. Ähnlich den eisigen Fingern der Kälte verschnürte Furcht ihre Kehle, vermischte sich in ihrem Magen mit der Magensäure zu einem schweren Klumpen. Explosionsartig zerbarst der Rollschutt unter dem Druck ihrer Absätze. Das Krachen prallte von den schmucklosen Betonwänden ab und schallte als Echo durch die labyrinthartigen Nebenstraßen des Industriegeländes. Sie fuhr zusammen. Entsetzt über den Geräuschpegel. 

Eisige Schauer liefen über ihren Körper, während der Wind durch die Ritzen ihrer Jacke tief in ihre Knochen fuhr und das Mädchen mit seinen frostigen Klauen lähmte. Der schwache Schein der Straßenlaternen warf gespenstige Schatten auf die Betonwände. Formten Monster mit Krallen und spitzen Zähne, die ihr durch die verlassene Dunkelheit folgten.

„Alles nur Einbildung!", wiederholte Ksenia ihr Mantra, während sie die klamme Hand auf ihr pochendes Herz zur Beruhigung legte. Entfernt hörte sie noch immer den Bass der Party durch die Nacht dröhnen. Verärgert dachte Ksenia an ihr Auto, das in einer kleinen Seitenstraße am Rande des Industriegebietes parkte. Meilenweit von der Party entfernt. Hinter ihr knackte es. Ruckartig drehte sie sich um. Die braunen Haare flogen wie ein schwingender Reifrock um ihren Kopf. Angestrengt starrte sie in die Gasse. Nichts. Nur bewegte Schatten, die sie mit ihren Fratzen auslachten. Ihre Kehle zog sich zusammen und das Atmen fiel ihr schwer.

 „Alles. Nur. Einbildung!", nuschelte sie, schloss die Augen und wiederholte die Worte ein weiteres Mal. Rasselnd zog sie die Luft ein. Wieder ein Knacken. Wie Schuhe, unter denen das Geröll zerplatzte. Angstvoll geweitete Augen, die in die Schwärze starrten. In der Ferne vibrierte der Bass. Unnatürlich schnelles Schlagen ihres Herzens. Rauschendes Blut in ihren Ohren. Um sie herum: Stille. Totenstille. Schatten stürzten auf sie ein. 

Ksenia schrie. 

Dann rannte sie. Sprintete über die Straße. Stolperte mit den High Heels über Geröll. Verlor die Balance, ruderte verzweifelt mit den Armen. Ihr keuchender Atem manifestierte sich in weiße Rauchschwaden, die durch die Luft waberten. Ihre Beine brannten. Schattenkrallen griffen nach ihr. Panisch schrie sie auf. Tap. Tap. Es verfolgte sie. Es klang wie Krallen, die auf den Boden aufschlugen. Wind kam auf. Lose Blätter raschelten. Tränen stiegen in ihr auf. Der Knoten in ihrem Hals spannte, drückte auf ihre Stimmbänder. Erst als Ksenia den alten Chevrolet am Straßenrand parken sah, verlangsamte sie ihre Schritte. Atmete tief ein. Mit zittrigen Fingern wühlte sie in ihrer Tasche herum, bis sie das kühle Metall ihrer Schlüssel erfühlte und diese herauszog. Triumphierend hob sie den Blick von den Schlüsseln. Ihr Herz setzte aus. Setzte aus wie ihr Atem. Klirrend fiel der Schlüsselbund auf den Asphalt.

 Gelbe Augen starrten sie durch die Schatten an. Sie öffnete den Mund. Der beißende Gestank nach nassem Hund brannte sich in ihre Nase. Reihen voll spitzer Zähne grinsten ihr entgegen. Dann richtete sich das Monster auf. Leises Wimmern wich über die geöffneten Lippen. Die Silhouette des Mondes schälte sich aus dem Kleid der Wolken. Ksenia öffnete den Mund. Ihre Lungen füllten sich mit Luft und durchdrangen die Nacht mit einem panischen Schrei. Der Werwolf leckte sich hungrig über die tierischen Lippen. Dann legte er den Kopf in den Nacken und heulte. 

Ksenia erstarrte. 

Wurde zu einer gelähmten Eisskulptur. Wie unter Wasser nahm sie das Hecheln des Werwolfs wahr, wie er ihren Geruch einsog und sie mit seinen gelben Augen fixierte. Seine Beinmuskeln spannten sich unter dem verfilzten Fell an. Scharfe Krallen bohrten sich in ihre empfindliche Haut. Ihr Kopf krachte auf den Asphalt. Warme Flüssigkeit benetze ihre Haare, breitete sich in einer großen Pfütze unter ihr aus. Er stand über ihr. In der gelben, katzenartigen Iris spiegelte sich das Blut. Dann wurde ihr Sichtfeld schwarz.

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt