In Abscondito *aktualisiert

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7.

„Das ist übel!"

Dickflüssiger Eiter floss unablässig über die ausgefransten, tomatenroten Wundränder.

„Das ist echt übel!", murmelte Alainn wieder und starrte weiterhin auf die gelbe Flüssigkeit, die den Raum mit dem Geruch nach Verwesung verpestete. In ihrer behandschuhten Hand hielt Alainn das leere Gläschen, indem das Gegengift geschwommen war. Panik drohte in ihr aufzukommen, als sie auf die leere Phiole und wieder zurück auf die eiternde Wunde sah. „Das ist übel!", murmelte sie erneut. Alec stöhnte. Unter seinen geschlossenen Lidern sah man die unruhigen Bewegungen seiner Augäpfel. Alainn kratzte sich am Kinn. Die Luft im Esszimmer der Namaras stank nach Desinfektionsmittel, Verwesung und dem herben Kräutergemisch alias das wirkungslose Gegengift. Lincoln beugte sich von seinem Platz am Fußende des Esstisches zu ihr rüber: „uä!", machte er, „sieht aus als habe man hundert eitrige Pickel aufeinmal ausgedrückt!" Kiran, der Alainn gegenüberstand und Alecs wachsweises und mit kalten Schweiß bedecktes Gesicht mit einem Waschlappen kühlte, sah seinen Cousin fassungslos an. „Was denn?",fragte Lincoln und hob verständnislos die Arme. „Danke für die Verbildlichung!", knurrte Alainn. Der Anflug von Panik hatte sich inzwischen in ihrem Körper ausgeweitet. Sie versteckte das leichte Zittern ihrer Hände hinter ihrem Rücken. Ihre Lippe war nur noch ein wundes Etwas mit abstehenden Hautfetzen.

„Ich will euch ja nicht beunruhigen, aber offensichtlich wirkt das Mittel nicht!" Alec warf seinen Kopf hin und her. Lautlos murmelte er unverständliche zusammenhangslose Wörter vor sich hin.

„Und was bedeutet das?", Kiran sah sie an, während das Mädchen noch immer auf die eiternde Wunde blickte. Sie zuckte mit den Schultern: „Dein Freund wird sterben!"

„Du machst Witze!"

„Sehe ich zu Späßen aufgelegt aus?", schnauzte sie ihn an. Ihre Augen funkelten zornig.

„Du musst doch etwas tun können!"

„Ich bin kein verdammter Gott!", brummte Alainn und wischte mit einem Wattebausch den überschüssigen Eiter ab. „Eines der stärksten Gegengifte überhaupt hat Alec nicht helfen können."

„Wir hätten erst gar nicht auf dich hören sollen! Warum haben wir dir auch nur vertraut!", knurrte Kiran wütend und fuhr sich verzweifelt übers Gesicht.

„Hey!", schrie Alainn ihn an, „ Ihr wolltet nicht ins Krankenhaus! Was wäre eure Alternative gewesen?" Zornig funkelten die beiden sich über den Esszimmertisch hinweg an. Alainn konnte in den Kieselsteinaugen erkennen, dass sie nicht wirklich eine andere Wahl gehabt hatten. Und dennoch war er wütend. Höchstwahrscheinlich nicht mal auf sie. Aber dennoch stand sie hier an dem Pranger. In ihrem eigenen Haus. Alainn starrte Alec an. Wieder stöhnte er. Das Fieber verbrannte ihn von innen. Einzelne Adern stachen aus seiner Haut hervor, pulsierten im Takt seines viel zu schnellen Pulses.

„Es gibt eine weitere Methode..", begann Alainn. Sie biss sich auf die Lippe, wollte sich sogleich zum Schweigen bringen. Willst du das wirklich riskieren, fragte die Stimme in ihrem inneren, ein großes Risiko, Kleine.

„Was für eine Methode?", wollte Kiran wissen. Sein Gesicht wirkte im Licht der Esszimmerlampe genauso fahl wie Alecs. Dunkle Schatten lagen unter seinen schwarzen Knopfaugen und seine Wangen- und Kieferknochen stachen wie herausragende Knochen hervor.

„Eine sehr riskante Methode, bei der man Feuer mit Feuer bekämpft.", Blut quoll aus ihrer Lippe hervor, als sie eine der Hautfetzen abriss. Kiran hob eine Augenbraue: „Was bedeutet das?"

Alainn atmete tief ein und aus und konnte sich dennoch nicht dazu überreden weiter zu sprechen. Willst du das wirklich riskieren?, murmelte die Stimme in ihrem Kopf, vielleicht hast du Glück und er überlebt. Aber wenn nicht ..., seine Schreie, seine Qualen, die Schmerzen ...

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt