Nolite timere* aktualisiert

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10.

Düsternis klebte zwischen den Bäumen, je tiefer sie in das Buschwerk eindrangen. Die drei Gestalten blieben stehen. Die Baumskelette und ihre dunklen, verknoteten Gerippe zeichneten das Bild einer Krankheit, die sich ihrer bemächtigte. Ihre Äste und Zweige waren verwinkelt, und so reichlich verzweigt, dass kaum ein Lichtstrahl hinunter auf den Boden fiel.

Keine Pflanze konnte an diesem düsteren Ort überleben, nur jene die kein Licht zum Leben brauchten, sondern Finsternis. Denn nur das, lauerte in diesen Abschnitt des Waldes. Finsternis und Bösartigkeit.

"Ihr werdet sie zu der Banshee führen.", befahl die Frau:" ich will, dass sie sie sehen! Ich will, dass sie wissen, dass ES beginnt.", ein Dolch wanderte über die Fingerknöchel der Frau. Sie saß in einem Stuhl aus toten Ästen und Zweigen, die sich ineinander gen Himmel wanden. Es roch nach Moder und Verwesung. 

Die nasse Erde klebte an den Sohlen der Schuhe:" Ich will das alle wissen, dass die Zeit gekommen ist, eine Seite zu wählen.", ihre Stimme klang gelangweilt, beinah uninteressiert. Aber das leuchtende Rot glitzerte bei jedem Wort, dass über ihre Lippen kam. Leise kicherte sie, während ihre Gedanken, um die verschiedensten Szenarios kreisten. Raben krächzten, stimmten als Chor ein. Es knisterte. Zweige knackten unter dem Gewicht von Lebewesen. 

„Geht jetzt!", befahl die Frau. Begann ihre Fingernägel mit der Klinge zu säubern:" Führt sie zu ihr ohne das sie euch entdecken. Gegen einen unsichtbaren Feind zu kämpfen, sät so viel mehr Angst!" Das Rascheln wurde stärker. Dann traten sie alle zwischen den Bäumen hervor. Rote Augen glommen siegesgewiss in der Dunkelheit.

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Der Zorn machte ihn schnell. Er ließ sie alle hinter sich. Lincoln. Chris. Alec. Feiglinge, schrie die Stimme in seinem Kopf. Das Trommeln seiner Sohlen auf dem Boden stachelte ihn weiter an. Sein Herz raste. Seine Lungen streikten. Doch die Wut trieb ihm an. Kiran zwang seine schmerzenden Muskeln sich zu bewegen. Feiglinge, schrie die Stimme jedes Mal, wenn seine Füße vom Boden abhoben. Er hatte schon vor Tagen Allison suchen wollen, aber sie hatten sich geweigert. SIE hatten ihn beruhigt. Wegen IHNEN hatte er ihr nicht geglaubt. Wegen ihrer Angst. Ein lieblicher Duft stieg ihm in die Nase. Kiran drehte den Kopf. Alainn. Sie grinste ihn schelmisch an. Ihr rotes Haar sprang im Pferdeschwanz wippend um ihren Hinterkopf. Die Herbstsonne steckte das Haar in Flammen. In ihren Augen glitzerte es. Goldsprenkel durchfurchten ihre Iris. Es war ihm vorher noch nie aufgefallen. Kiran zwang sich wegzusehen. 

„Du bist schnell!", knurrte er. „Du auch!", stoßweise stieß sie ihren Atem aus den geöffneten Lippen. Atmete durch die Nase ein. Ihr Brustkorb hob sich. Bemüht langsam entwich ihr Atem aus ihrem Mund. Einatmen durch die Nase. Ausatmen durch den Mund. Sie war eine geübte Läuferin. Ihr altes, verwaschenes T-Shirt klebte an ihrem Oberkörper. Sie biss sich auf die Lippe. Ihre malträtierte Lippe tat Kiran leid. Nagelkauen wäre wohl eine weniger schmerzhafte Angewohnheit, als dauerhaft seine Lippe zu zerbeißen. Auf der anderen Seite, schoss es ihm durch den Kopf, sähe Nägelkauen auch nicht annähernd so süß aus. Gemächlich schob sie sich vor ihn. Sie holte mit dem Ellenbogen aus. Laut donnerten ihre Schuhe neben ihn auf den Pfad. Kiran konnte schon ihren Pferdeschwanz neben sich Wippen sehen, als sich zwei Worte in sein Bewusstsein schoben: HEUTE. NICHT! Scheiß auf die Haltung eines guten Verlierers. Diesen Kampf würde er gewinnen. Seine Muskeln heulten auf. Bettelten um Erlösung. Um Gnade. Doch er blieb hart. Holte auf. Seine Fußballen trafen zuerst auf den festgetrampelten Lehmboden auf. Sein Fuß senkte sich. Dann stieß er sich wieder ab. Alainn musterte ihn von der Seite, als er aufschloss. Und noch schneller wurde. Seine Arme schwangen kraftvoll nach vorne. In ihren Augen blitze der Wettbewerbsgeist auf. Sie sahen sich an. Und wurden schneller. Die Hände zu Fäusten geballt sprinteten sie los. Neben ihn knarrte es. Jedes Mal wenn der andere schneller wurde, den Partner zurücklassen wollte, schloss der Andere wieder auf. Es war ein Spiel. Ein Spiel, dass ihre Muskeln zum Brennen und ächzend brachte. Ein Spiel, dass ihren Lungen das Gefühl gab, gleich zu kollabieren. Ein Spiel, dass jeden Gedankengang verdrängte und die vollkommene Konzentration auf das Hier und jetzt lenkte. Ihr Keuchen hallte durch den Wald. Laub raschelte. Blätter stoben auf. Aus den Augenwinkeln sah Alainn eine schwarze Silhouette durch den Hain der Bäume rennen. Nebel waberte zwischen den Bäumen hindurch, deckte den Boden mit seinen grauen Schwaden zu. Verschluckte die Schatten in Alainns Augenwinkel. Es wurde Dunkler. Die Bäume schienen näher zu rücken. Blätterkronen wurden dichter, sperrten die Sonne aus. Alainns Nackenhaare stellten sich auf. Meter vor ihnen, direkt neben dem Pfad ragte eine massige Eiche in die Höhe. Es knarrte. Sie wankte. Alainn blinzelte. Du siehst Gespenster, sagte sie sich. Neben ihr raschelte es wieder. Sie rannten auf die Eiche zu. Drei Meter bis zu den Wurzeln. Kiran beugte seinen Kopf in den Wind. Wurde schneller. Alainn zog nach. Zwei Meter. Sie sahen sie an. Alainn lachte. Endorphine strömten durch ihren Körper. Tief atmete sie die Luft des Waldes ein. Würzig. Erdig. Leicht modrig. Ein Meter. Modrig? Wieder knackte es. Ein Donnern hallte durch den Wald. Splitterndes Holz.

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt