Quaerere* aktualisiert

2.1K 197 142
                                    


6.

„Was machen wir hier noch mal genau?", fragte Lincoln, während er mit einer Brombeerranke kämpfte, die sich an seiner Jacke festklammerte. Jedes Mal wenn er mit spitzen Fingern die Dornenranken entfernte, klammerte sich ein weiterer Trieb an ihn. Frustriert riss er daran. 

„Wir suchen Allison!", brummte Kiran genervt. Er war bereits einige Schritte vor seinem Cousin und beachtete Lincolns Kampf mit den Dornen und Alecs und Chris glucksendes Lachen nicht. Wo war Allison? Und wieso fragte dieses Mädchen ein Tag, nachdem sie verschwand nach ihr?

„Ganz ehrlich Kiran! WIESO?", Lincoln hatte sich endlich aus der Gewalt der Pflanze befreit und boxte Alec und Chris wütend in die Schulter, die ihm fragten, wie es sich anfühlte als Überlebender der Killerpflanze. „Ich meine, Allison hüpft wahrscheinlich gerade über eine Blumenwiese, murmelt ein paar ayurvedische Beschwörungsformeln und hat einfach die Zeit vergessen!" Kiran griff nach dem Saum von Lincolns Jacke, der durch den Angriff der Killerpflanze ramponiert aus sah. Er hatte große, starke Hände mit filigranen Fingern und rauen Innenflächen vom Schmiergelpapier. Er schüttelte ihn. 

„Rede nicht so über sie!", sein Knurren hallte durch den Wald. Zweige knackten irgendwo. Feuchtes Laub raschelte. Der Geruch von würzigen Kiefernadeln und Erde strömte wie ein aromatisches Parfüm durch die Luft des Waldes, vermischte sich mit Moder und Feuchtigkeit. Der Wald von Wolfsbach war undurchdringlich und düster gewesen, seit Kiran denken konnte. Hier auf reines, gleißendes Sonnenlicht zu stoßen war so selten wie ein Brunnen in der Wüste. Die Tiere oder besser gesagt die Wesen, die im Wald lebten, waren wie ihr Habitat. Düster und gefährlich. „KIRAN!", Alec legte seinem Freund eine Hand auf die Schultern. Seufzend ließ Kiran seinen Cousin los:" Tut mir leid, aber ich weiß einfach, dass etwas nicht stimmt!"

„Allison verschwindet doch öfter für ein paar Tage!", mischte sich Chris ein. „Schon!", lenkte der Schwarzhaarige ein:" Aber ihr Auftritt in der Schule vor ein paar Tagen war..."

„Vollkommen durchgeknallt?", Lincoln schnalzte mit der Zunge und ignorierte den wütenden Blick, den Kiran ihm zuwarf. „Lass sie uns einfach suchen!"

„Kiran, das hier ist Sperrgebiet!", Chris sah sich hektisch um. Hinter ihnen raschelte es:" Nicht mal für uns ist dieser Wald momentan sicher und das weißt du!"

Wieder knisterte Laub. „Du hast doch nicht etwa Angst?", zog Alec ihn auf und grinste. Er zwinkerte Kiran brüderlich zu:" ich hab jedenfalls nichts gegen ein bisschen Nervenkitzel!", er spannte die Muskeln in seinen Armen an, spielte mit ihnen und brüllte. „Angeber!", knurrte Chris und zog eine Schnute. Vögel flatterten aufgeschreckt durch das Brüllen aus den Kronen der Bäume über ihnen. Rabenkrächzen erfüllte die Luft. Bunte Blätter rieselten auf sie herab. „Sieh nur, was deine dumme Angeberei uns gebracht hat!"

„Sind doch nur ein paar Vögel!", murrte Alec. „Du weißt genauso gut wie wir, wie aggressiv die Wesen seit kurzem sind. Du weiß nicht, was du sonst noch aufgeschreckt hast!"

"Lotteriespielen soll doch auch Spaß machen!", Kirans dunkle Augen glänzten vor Abenteuerlust. Wieder raschelte es. Zweige knackten. Der Wind sang ein schauriges Lied, als er durch die Stämme Slalom lief. „Na dann los!", seufzte Chris.

***

Milchig trübe Augen fixierten sie. Der Ghul zog die Lippen nach oben und entblößte eine Reihe spitzer Zähne. Ein Fauchen entfuhr seiner Kehle. Mit seiner Klauenhand kratzte er durch die Luft. Eine drohende Geste. Alainn wusste, sie hätte sich Sorgen über ihre Anziehungskraft von Ärger machen müssen. Stattdessen schürzte sie ihre Lippen und genoss. Sie rief ihre Wut. Der Zorn, der seit Tagen in ihren Eingeweiden rumorte und unterschwellig in ihr schwelte wie der Funken eines Feuers, das nur auf Zündstoff wartete, um sich in ein Flammenmeer zu verwandeln. In dem Moment als der Ghul angriff, schwappte das Schwarz über ihre Pupille. Breitete sich wie ein umgestoßenes Glas Cola aus. Ihre Muster traten aus der Tiefe ihrer Haut an die Oberfläche. Ghule waren fiese kleine Biester. Und immer hungrig auf Fleisch. Seine Eselsfüße scharrten über den laubbedeckten Waldboden. 

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt