Facere Iudicium*aktualisiert

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20.

Die Luft in der Bibliothek roch muffig und abgestanden, die Heizung bollerte laut gegen den Kessel und machte die Hitze fast unerträglich. Er saß halb versteckt von einem Bücherregal auf einem plüschig, roten Sessel und beobachtete sie. Das Mädchen kam, die Backen und Nase rot von der Kälte, die vor den Türen herrschte, herein. Aus ihrem Rucksack lugten Bücher, Hefte und Papier. Sie hatte den Reißverschluss des Rucksacks nur halb geschlossen und zeigte ohne Scham die Unordnung, die im besagten Verpackungsapparat vorhanden war. Demonstrativ hob er das Buch vor sein Gesicht, als sie an ihm vorbei auf die kleine, dicke Frau zu lief. Seine Augen schielten über die Buchseiten, folgten jeden ihrer Schritte. Hass flammte mit solcher Heftigkeit in ihm auf, dass er sich auf die Lippe beißen musste, um sich nicht auf sie zu stürzten. Namara, dachte er erfüllt von loderndem Zorn, Alainn Liobhan Namara. Unsicher verlagerte sie ihr Gewicht von einem auf das andere Bein. Sie ist nicht besonders groß, schoss es ihm durch den Kopf, aber sie sieht aus wie ihre Mutter. 

Der Hauch der kalten Luft umhüllte sie noch immer. Schneeflocken hingen in ihren roten Haaren, wie glitzernde Sterne, die langsam schmolzen und schwarzrote Flecken in ihrem Haar hinterließen. Ihre grünen Augen wanderten über die zwei offenen Etagen und blieben an den Schildern hängen, die die Bibliothek in verschiedene Themengebiete aufteilten. Eine dickliche Frau watschelte auf sie zu, das kurze Haar wippte lustig hin und her. Mit wässrigen Augen sah sie das Mädchen freundlich an:" Kann ich dir helfen, Liebes?" , fragte die Bibliothekarin freundlich. Ihr rundes Gesicht wies eine leichte Röte auf und ihre blassen Augen leuchteten aufgedreht. Er sah, wie sie bei dem Kosenamen, die Stirn in Falten legte, sodass die Stelle zwischen ihren Augenbrauen wie ein durchfurchter Acker aussah. Alainn straffte die Schultern, glättete die Falten auf ihrer Stirn und setzte ihr falschestes Lächeln auf. Es war strahlend schön und er hasste sie dafür. „Hören Sie zu...", sie beugte sich vertraulich zu der Bibliothekarin hinunter. Ihre grünen Augen gruben sich in die Augen der Frau. Die Farbe ihrer Iris gewann an Intensität. Wie oft hatte er dieses Phänomen schon gesehen? Er sah, wie sie ihre rechte Hand zu einer festen Faust geschlossen hielt. Wusste sie überhaupt, was da tat? „Hören Sie zu..", begann sie erneut. Ihre Stimme nahm einen dunklen, verführerischen Klang an:" Mein Anliegen ist etwas... Delikat und bedarf ein hohes Maß an Diskretion.", die Bibliothekarin nickte eifrig:" meine Freundin war vor ein paar Tagen hier und ich wüsste gerne, welche Bücher sie ausgeliehen oder vielleicht auch benutzt hat."

„Wie ist denn der Name deiner Freundin?", diensteifrig nickte die Frau. Die Rothaarige sah sich prüfend um. Er drängte sich noch enger in seine Ecke, die Ohren gespitzt wie ein Luchs. 

„Allison Grey!", flüsterte sie eindringlich. Die Bibliothekarin zuckte nicht einmal zusammen. Misstrauisch beäugte das Mädchen sie. Sie hatte tatsächlich keine Ahnung von ihren Kräften. 

„Aber natürlich, Liebes!", schwatzte die Frau drauf los. Sie lief heiter hinter ihren Schreibtisch und redete munter auf das Mädchen ein. Einen winzigen Moment verzogen sich ihre Augenbrauen zu einem gewittersturmartigen Gesichtsausdruck, der ein kurzes Stocken, indem wasserfallartigen Gequassel der Bibliothekarin zur Folge hatte. 

„Allison Grey war vor drei Tagen hier, Liebes", die Tasten auf der alten, leicht verstaubten Tastatur klickten wie eine Melodie zu ihrem Gefasel. Das Mädchen holte ein kleines, ledergebundenes Büchlein aus ihrem mit Wust beladenen Rucksack. „Können Sie sich erinnern, um wie viel Uhr sie hier war?" Mit einer energischen Bewegung tippte die Frau auf eine Taste:" Et Voila!", rief sie in ihrer fröhlichen, spritzigen Art und starrte abwartend auf den dicken Bildschirm des PCs. Dann hob sie den Kopf, ihre kurzen Haare wippten aufgeregt und ihre Wangen waren gerötet:" Allison Grey, lass mich mal überlegen Liebes!", wieder zog Alainn die Stirn in Falten:" ach, da steht es ja- um 9 hat sie hier ein Buch ausgeliehen und um kurz vor 10 schon wieder abgegeben. Merkwürdig nicht?", sie stieß ein helles Gackern aus:" Absolut!", murmelte die Rothaarige und beugte sich über die Theke:" und welches Buch hat Allison ausgeliehen?!" Wieder heftiges Tippen, dass auf wenig Fingerspitzen Gefühl seitens der Bibliothekarin schließen ließ.

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt