Necessitudines*aktualisiert

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33.

In ihren Augen lag der Tod. Dürstend und sehnsüchtig nach Gewalt lag er in ihnen und versetzte sie in Todesangst. Die Frau lachte kreischend, als das Mädchen vor ihr auf dem Boden mit schreckgeweiteten Augen und einem weit geöffneten Mund lautlos schrie.

„Na, meine Hübsche!", lachte sie und fuhr mit ihrer blassen Hand über das Gesicht des Mädchens. „Zieht!", gab sie den Befehl über ihre Schultern. Die Seile, die um ihre Gelenke geschlungen waren, zogen sie schmerzhaft in die Länge. Wieder schrie Brighid lautlos. Die Seile schnitten tief in ihre empfindliche Haut und hinterließen wunde, rote Stellen. „Ich will, dass ihre Körperteile genau auf die Sternspitzen zeigen!", forderte die rothaarige Frau. Ihre Stimme ließ keine Widerworte zu. Streng betrachtete sie die vier Frauen, die das dunkelhaarige Mädchen so über das Pentagramm drapierten, das ihre Hände, Füße und ihr Kopf je auf eine der Sternspitzen zeigten.

„Arri, Rianne!", rief Boudicca. Die zwei Rothaarigen, die mit den anderen Frauen um das Mädchen herumstanden, eilten auf sie zu. Die Augen demütig gesenkt und ihre gekrümmte Haltung drückte gleichsam die Furcht und den Respekt aus, den sie gegenüber ihrer Großmutter verspürten.

„Ja, Herrin?", wisperte Rianne, deren Stimme so leise war, dass sie sich kaum von dem Flüstern des Waldes abhob. Ihre mandelförmigen grünen Augen sahen nervös zu Boudicca, nur um sie schnell wieder zu senken.

„Zeichnet die Symbole! Und macht ja kein Fehler!", befahl die Frau. Sie trat zurück und stellte sich auf eine kleine Anhöhe. Überblickte den Platz. Die vielen Fabelwesen, die langsam aus den Tiefen des Waldes kamen, bildeten einen Kreis um das Mädchen. Beäugten sie mit gierigen Augen und warteten. Warten auf sie. So wie sie auch zu IHR kamen. Die Fackeln flackerten im Rauschen des Windes und warfen schwarze, ausgezerrte Schatten auf den Platz, die ihm Licht der Feuer tanzten. Mit spitzen Stöcken machten sich die beiden Mädchen daran, einen Kessel, ein Speer, ein Schwert und ein Stein in die Lücken des Pentagramms zu zeichnen. Dann begann das Schauspiel.

„Freunde!", rief Boudicca und alle drehten sich zu ihr um ,„Verbündete! Heute sind wir zusammen gekommen, um das dritte Opfer an unsere Götter zu übergeben!" Die Stimmung hob sich. Zischelndes Flüstern erklomm und wogte wie das Feuer hoch in die Luft. Aus den schwarzen Lücken der Bäume tauchten weitere Gestalten auf und formierten sich zu einer kleinen Armee, die ihr gespannt lauschten. Boudicca ließ den Blick über die Anwesenden wandern. Genoss ihre Aufmerksamkeit. Ihre Demut und ihre Angst. „Wir wollen unseren Dienst an der Welt tun und endlich die Herrschaft der Menschen beenden!" Zustimmendes Gemurmel. Die Atmosphäre knisterte.

„Haben sie uns nicht Jahrhunderte lang unterdrückt?", Vereinzelte zustimmende Rufe.

„Haben sie uns nicht geschlachtet wie Tiere?". Ihre klare, dunkle Stimme hallte elektrisierend über den Platz. Die Stimmung heizte sich auf. Gesichter voller Wut, Herzen voller Hass. Sie lächelte triumphierend. „Haben wir nicht lange genug im Verborgenem gelebt? Haben wir nicht lange genug Rücksicht auf eine Rasse gelegt, die so schwach ist?" Einige der Bergtrolle brüllte. Die Ghule rieben ihre Klauen. Succubes leckten sich über die blutroten Lippen.

„Ist es nicht endlich an der Zeit unser wahres Wesen an zu erkennen? Seid ihr es nicht auch Leid euch an ihre Regeln zu halten?" Die Menge brüllte. Schwerter klirrten aneinander. Werwölfe heulten. Die Lamien zischelten. Boudicca hob die Arme und der Krawall endete abrupt. Alle Aufmerksamkeit lag bei ihr. Alle Macht gehörten ihr. Sie lächelte. „Nun meine Freunde, die Zeit ist gekommen, um endlich einen weiteren Schritt zu gehen." Sie verließ ihren Aussichtspunkt und lief durch die Menge, die sich sofort teilte, auf das Mädchen zu. Sie trat vorsichtig in das Pentagramm um ja keine Linie in dem weichen Boden zu verwischen. Genießerisch streichelte sie über die weiche Haut des Mädchens. Die Incubusse zischelten gierig. Boudicca lachte. „Wollen wir unserer Freundin mal den Knebel abnehmen?" Belustigtes Lachen machte die Runde. Mit einer Handbewegung löste sie den magischen Knebel, der das Mädchen verstummen lassen hatten. Brighids Augen waren angstvoll geweitet und die ersten Tränen tropften aus ihnen. Sie liefen über ihre Schläfen und versickerten in der Erde. Die Menge kochte. „Arme Brighid...", gespielt mitfühlend, fing Boudicca eine der Tränen auf und betrachte den Tropfen gelangweilt, wie er ihren Finger hinunter lief. „Du leistest einen großen Dienst im Namen der magischen Gesellschaft!", flüsterte sie Brighid ins Ohr. Dann fixierte sie wieder das Gesicht der Hexe und wartete. Wartete auf die Rebellion, die Wut, den letzten erbitterten Todeskampf, doch: Nichts. Brighid blieb ruhig.

Es ärgerte sie. Ärgerte sie, dass die kleine Hexe nicht schrie oder bettelte. Oh, wie sie das Betteln liebte, so machte es nun wirklich kaum Spaß.

„Wollen wir unserer kleinen Freundin Alainn eine Nachricht schicken?", schrie sie der Menge zu. Wieder brüllte sie. Sie begannen zu stampfen. Ein rhythmisches Stampfen, dass wie Trommelschläge durch den Wald hallte. Boudicca hob das Druidenmesser in die Luft, sodass sich das Mondlicht in der Klinge spiegeln konnte.

„Überbringst du unser kleinen Freundin die Nachricht, kleine Hexe?", fragte Boudicca das Mädchen. Das Mädchen bleckte die Zähne:„Fahr zu Hölle!" Feuer schoss aus ihren Handgelenken und kappte so die Seile. Sogleich fing auch der Kreis des Pentagramms Feuer. Die erste Reihe drängte furchtsam zurück. Gerade wollte Brighid sich aufrappeln und weglaufen. Doch Boudicca war schneller. Mit starken Armen drückte sie das Mädchen mit unglaublicher Schnelligkeit wieder zu Boden und rammte das Druidenmesser genau in das Herz der Hexe. Rasselnd atmete das Mädchen ein.

„Ich sollte dir wohl danken, kleine Hexe. Ohne dein Feuer wäre dein Tod vollkommen sinnlos gewesen!" Die Ansammlung war für einen kurzen Moment in eine unbestimmte Unruhe gefallen, doch nun heulte sie auf in wilder Ekstase. Der Stern des Pentagramms stand in Flammen. Und während Brighid starb, begannen die züngelnden Flammen nach dem Stoff ihrer Kleidung zu schnappen. Liebkosten die Baumwolle und die Haut des Mädchens. Sie schrie. Ein allerletztes Mal.

Brighid Tellerman war siebzehn einhalb Jahre alt, als das Feuer ihrer eigenen magischen Kraft, sie verschlang. 

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt