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26.

Es war nicht die Tatsache, dass Lucrezia Wilson die Wahrheit gesagt hatte, die Alainn Namara überraschte, es war vielmehr der Umstand, dass sie neben einer Leiche aufwachte. Sie erhob sich von dem schneenassen Laub und versuchte den Dreck von ihren Lederkleidern abzuschütteln. Unsicher, was geschehen oder was sie tun sollte, bleib Alainn neben der Leiche stehen. Ihre Gedanken waren schwer wie Blei und hinter ihren Schläfen pochte es unablässig. Unendlich langsam kamen die Erinnerungen. Die Bilder. Verwirrter als zuvor sah das Mädchen sich um. Wo war ihre Mutter oder Freya? Wo das Feuer? Sie sah nur Bäume, nasses, teilweiße schneebedecktes Laub und einen kleinen Tümpel und die Leiche. Mit den schwarzen Stiefeln stupste Alainn sie an. Auf den ersten Blick sah die Leiche wie ein Mann aus. Ein nackter Mann- Aber dann sah Alainn die Einbuchtung in seinem Schädel, den schnabelförmigen Mund und die Schuppen auf seiner Haut. „Kappa!", sagt sie und spuckte aus. 

„ALAINN!", sie hob den Kopf. Caenna und Freya kamen auf sie zu gerannt. Alainn drehte die Leiche. Ein Dolch steckte in der Brust des Wesens. Sie zog daran. Im fahlen Schein des Mondlichts erkannte Alainn, dass es ihr Dolch war. 

„Oh Gott!", murmelte sie. Sie hielt ihre dreckverschmierten Hände ins Mondlicht. Blut. Dunkelrotes, schon fast getrocknetes Blut „MOM!", Alainns Stimme schnellte eine Oktave höher. Dann war ihre Mutter da, umarmte sie. Schlang ihre Arme um sie und strich über ihr Haar:" ich habe es getötet! So wie damals ins New York. MOM...", Freya hob einige Schritte weiter etwas vom Boden auf:" Zurecht getötet!", sagte sie und hielt einen menschlichen Wadenknochen samt Fuß hoch, an dem noch ein rosafarbener Sportschuh hing. Alainn würgte. „Du wirst dich doch nicht etwa übergeben?", Missbilligung lag in Freyas Stimme:" Du hast das Richtige getan!"

„Ich töte keine Unschuldigen!"

„Und das war er auch nicht!", Freya wackelte mit dem Knochen und Alainn spürte, wie die Galle sich erneut einen Weg nach oben bahnte. „Was ist eigentlich passiert? Und wieso kann ich mich nicht erinnern?",

„Meine Erinnerungen haben etwas in dir ausgelöst. Du hast einen Schub bekommen. Einen Kräfteschub. Die Erinnungen hieran werden zurück kommen!", Alainn wusste nicht, ob sie das wirklich wollte. „Und was genau heißt das?"

„Du wirst stärker!", knurrte Freya. Ihre Tante jagte ihr Angst ein. Sie wirkte ungerührt der Leiche und auch Alainns Gefühlen gegenüber. Ganz so als kenne sie Schuldgefühle oder Mitleid nicht. Freya schien sogar Alainns Mitleid zu missbilligen:" Also, kleine Namara, willst du jetzt hier weiter herum heulen, weil du einen stinkigen, Menschenfleisch essenden Kappa getötet hast oder reißt du dich zusammen und hilfst dabei, die Bösewichte zu fangen!"

„Freya!", warnend sah Caenna ihren Zwilling an. Alainn richtete sich auf und löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter. " Letzteres!", sagte sie fest. Die Leiche ging mit einer Handbewegung in Flammen auf. Alainns Brandmal sang eine dunkle Melodie in ihr. Ein wenig wie das Grollen eines Wolfes. Die Augen des Mädchens leuchteten:" Gut, kleine Namara!", grinste Freya. Sichtlich erfreut über ihre schnelle Entscheidung:" Die Frau mit den roten Augen aus Moms Erinnerung, sie steckt hinter allem, richtig?"

„Boudicca. Deine Urgroßmutter!", erklärte Freya:" Sie will die Menschehit vernichten und die Wesen aus ihrer vermeintlichen Sklaverei befreien!"

„Wie charmant!", witzelte Alainn, dann dachte sie, wieder an die Verzweiflung in der Stimme der Frau und ihre Rufe: Mes Enfants. Meine Kinder. „Die Menschen haben ihre Töchter getötet! Kann man ihre Wut nicht verstehen?"

„Eleone und Una. Unsere Tante und unsere Mutter. Sie starben im Feuer, ein grausamer Tod, und dennoch, siehst du deine Mutter und mich die Menschen vernichten zu wollen?" Alainn schüttelte den Kopf:" Boudicca hat sich vor langer Zeit für den Hass entschieden. Das Problem sind ihre Anhänger. Deine Cousinen zweiten Grades sind auch darunter!"

„Meine Cousinen? Ich habe Cousinen?", vorwurfsvoll wand sich Alainn an ihre Mutter. „Ich wollte dich schützen!", sagte sie kleinlaut. „Die Fabelwesen, die in den Wald verschwinden- sie gehören zu ihr, richtig?", Alainn ignorierte die Wut in ihrem Inneren. Aber sie summte in ihr, wie die Magie. Ganz so, als sei sie ein Teil von ihr. „Kluges Mädchen!", lobte Freya sie. Ein Funken stolz erglomm in Alainn, ebenso wie das Bedürfnis Freya zu gefallen. Sie war fasziniert von ihr. Eine wahre Korrigan. Wild und unbändig- ein wichtiges Mitglied der Art. Ihr fiel etwas anderes ein:" Die Männer in den Umhängen, dass war die Inquisition. Sie sind hier, weil Boudicca die Tore öffnen will, was gegen den Vertrag wäre und somit einen erneuten Krieg auslösen wurde, nicht wahr?", Freya wechselte bedeutungsvolle Blicke mit Caenna:" Wie hast du das herausgefunden, Alainn?", Caenna klang nicht begeistert, ganz im Gegenteil zu Freya, die sie anerkennend musterte. „Allison. Sie hat Hinweise hinterlassen!"

„Allison Grey?", Freya hob die Augenbraue:" das tote Mädchen?", Alainn nickte: Sie hat mich gewarnt und eine Spur hinterlassen. Kiran und ich haben die letzten Tage damit zu gebracht mehr über sie heraus zu finden. Wir glauben, dass die Mörder- also Boudicca- in den Höhlen auf der anderen Seite des Berges sein müssen. Da die Höhlen verschlungen, miteinander verbunden und einfach in einer viel zu hohen Zahl existieren, wollten wir sie herauslocken. Boudicca braucht fünf Opfer, noch ist Zeit sie aufzuhalten und den Krieg zu verhindern!" Stille trat nach ihren Worten ein. Nachdenklich sah Freya sie an:" Hinter dir steckt mehr als ich gedacht habe!", sie lächelte und holte ihr Schwert hervor:" willst du eine wahre Korrigan zu werden, Alainn Namara? Ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft? Mit allen Pflichten und Regeln?", unsicher sah Alainn ihre Mutter an. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nie etwas anderes gewollt, als das hier.

 Caenna Namara stand still und blass neben ihrer Schwester. Sie nickte, aber Sorge überschattete ihr Gesicht:" entschlossen sah Alainn ihre Tante an und packte den Schwertknauf, denn sie ihr hinhielt:" Ja, ich will!"

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt