Teil89

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Die späte Morgensonne tat beiden richtig gut. Jeremy und Rufus. Jeremy half es, sich von der Kälte des Kellers zu erholen und Rufus spürte, dass er etwas spüren konnte, außer Schmerz. So blieben sie denn auch auf der Terrasse sitzen, als sie schon längst mit dem Frühstück fertig waren. Rufus hatte lediglich versucht, etwas mehr zu essen als am Abend, aber Jeremy kam es so vor, als müsste er alle Energie, die sein Körper in diesem kalten Keller verbraucht hatte, unbedingt dreifach wieder ausgleichen. Sie redeten zunächst nicht viel, nur Belanglosigkeiten wie „gibst du mal das Salz" oder „wo hat Hopkins das alles nur her ", doch dann wurde das Thema wieder ernst. Oliver war nicht gefasst, also war die Gefahr noch nicht vorbei. „Richard würde uns benachrichtigen, wenn es etwas Neues gäbe", begann Rufus und es war klar, was er meinte. Jeremy nickte. „Er hat dafür gesorgt, dass nichts in die Presse kommt. Das ist einerseits gut, andererseits, hilft es nicht gerade bei der Fahndung. Am liebsten würde ich riesige Plakate von diesem Schwein aufhängen. "Gesucht: Lieber tot als lebendig..." Leider war das nicht witzig, sondern bitterer Ernst. Womöglich könnten sie nie sicher sein, wenn Oliver nicht gefasst oder besser noch, auf der Flucht erschossen würde. Jeremy war nicht sicher, was die englischen Gesetze überhaupt vorsahen für Erpressung, Entführung und brutale Vergewaltigung. Er würde nicht warten wollen, bis Oliver wieder zuschlug. Vielleicht sollte er sich die Armeepistole von Hopkins ausleihen oder eine eigene besorgen. Richard könnte das bestimmt arrangieren.

"Ich weiß, woran du denkst", sagte Rufus und Jeremy wusste nicht, wie er das verraten haben könnte. 

„Was meinst du?"

„Oliver. Mach dir keine Sorgen, beim nächsten Mal bringe ich ihn eher um."

Jeremy schluckte schwer. Auf gar keinen Fall dürfte es ein nächstes Mal geben. „No way, vergiss es! Sobald du dich halbwegs erholt hast, lass uns nach New York verschwinden. Zumindest so lange, bis die Polizei hier ihren Job erledigt hat."

„Dein Gesicht hat eben was Anderes angedeutet." Rufus schaute ihm in die Augen. Er kannte ihn so verdammt gut.

„Stimmt", gab Jem zu, „Aber keiner von uns sollte wegen dieses Perversen ins Gefängnis gehen."

„Das hier ist England und kein Sommerford St. Aubyn geht hier ins Gefängnis, für jemanden wie Richard oder mich gibt es andere Regeln."

„Ist das dein Ernst?" Jeremy war nicht sicher, ob er das glauben konnte, aber andererseits wunderte ihn bei Richard auch nichts so wirklich.

„Du hast doch gerade erklärt, dass er die Presse mundtot gemacht hat. Darauf hätten wir viel früher kommen sollen, bevor..." Rufus sprach nicht weiter. Er war vergewaltigt worden. Was immer Oliver vor Jahren getan hatte, war nicht ganz dasselbe gewesen. Damals hatte der ihm eingeredet, dass er es auch wollte, Oliver hatte ihm Drogen gegeben, die ihn gefügig oder willenlos machten und Rufus war nicht sicher, ob er jemals klar und deutlich „Nein" gesagt hatte oder ob das nur ein Schrei in seinem Kopf war. Dieses Mal gab es keinen Zweifel. Die Brutalität der Tat und die Brutalität dieser Erkenntnis, schienen unaussprechlich, zumindest in diesem Moment, an einem sonnigen Morgen. „New York soll sehr schön sein", begann er stattdessen.

„Mit dir ist es das ganz bestimmt. Von da wo ich wohne, kann man den Central Park sehen und bis zur Met ist es nicht weit. Oder bis zum Broadway. Wenn du denn arbeiten kannst... Wenn du nicht kannst, mache ich auch 'ne Pause und bleibe bei dir."

„Das sind noch Wochen. Bis dahin wird es gehen."

„Wir werden sehen. Da fällt mir ein, ich sollte Peter anrufen und June. Sie verdient 'ne Erklärung und Peter auch."

Rufus nickte und schaute hinüber zum Haus seines Bruders, auf der anderen Seite des Sees. Dort sah man einen Wagen in der Auffahrt. Wahrscheinlich unternahm Richard gerade schon etwas, was er ihnen später erklären würde. Jeremy telefonierte jetzt und ging ein paar Schritte zur Seite, damit es Rufus nicht störte. Als ob er aus Zucker wäre. Trotzdem bekam er natürlich einige Gesprächsfetzen mit. June schien beinahe hysterisch zu reagieren, zumindest konnte Rufus ihre Stimme hören und Jeremy gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen. Ja, es ist schlimm, richtig schlimm, aber er wird wieder.... Nein, mir geht es schon wieder ganz gut... Ich kann jetzt nicht zu irgendwelchen Proben... nein... mir tut es auch leid... Sag' doch bitte den Leuten im Haus Bescheid, dass es mir gut geht und ich lasse grüßen...

Rufus musste kurz eingenickt sein, denn als Nächstes bekam er Gesprächsfetzen mit, die eindeutig auf Peter hinwiesen. Danke, dass du daran schon gedacht hast... ja, für den Tannhäuser... ich weiß nicht recht... er ist sehr schwach, aber tapfer...

War er tapfer? War er nicht eher furchtbar dumm gewesen? Oh, fuck!

Hopkins kam jetzt mit einer Teetasse und stellte sie auf den Tisch. „Ihr Bruder wird gleich da sein", bemerkte er nur.

„Danke, Hopkins." Dann fiel Rufus noch etwas ein. „Ach, Hopkins?!"

„Ja, Sir?"

„Sie haben nicht zufällig an Himbeerkaugummi gedacht? Sie wissen schon..." Rufus versuchte zu lächeln.

„Doch, Sir, habe ich." Er kramte kurz in der Tasche seines Anzugs und holte eine Packung von Rufus' Lieblingssorte heraus. „Hab' ich bei Miss Rowena für Sie geklaut."

„Danke Hopkins, was würde ich nur ohne Sie machen."

„Nicht der Rede wert, Sir. Sie wissen doch, ich bin immer auf alles vorbereitet."

Rufus nickte. Natürlich war Hopkins genau das.


No lies, keine LügenWhere stories live. Discover now