Teil76

540 70 18
                                    

Als sich die Tür öffnete, zuckte Jeremy zusammen und rechnete mit dem Schlimmsten. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Er war eiskalt und seine Muskeln steif und er konnte nicht sofort erkennen, was passierte und ob es tatsächlich Oliver war, der jetzt den Raum betrat. Jeremy hatte Mühe überhaupt etwas zu sehen, so benommen war er noch immer von dem Schlag auf den Schädel und seine schnelle Bewegung, als er jetzt erschrocken hochfuhr, machte es nicht besser. „Wer? Was?...", brachte er mit ächzender Stimme hervor und richtete sich mit dem Rücken zur Wand auf, damit er wenigstens etwas Halt hätte und vielleicht könnte er nach dem Entführer treten. Der Mann kam jetzt zu ihm herunter auf die Matratze am Boden. „Jem, bleib ganz ruhig, ich bin's, Ru..." hörte Jeremy, so als wäre er unter Wasser. Trotzdem erkannte er sofort Rus Stimme, aber wie war das möglich?

„Ru?!" Jeremy versuchte, nicht hysterisch zu klingen.

„Ja, es ist vorbei, bleib ruhig, ich bin's."

Jeremy blinzelte und sah den Mann an. Ja, das rote Haar, die Größe, die Hände, die jetzt vorsichtig nach seinem Kopf griffen, das war Ru, kein Zweifel. Jeremy kamen die Tränen, so erleichtert war er. „Was machst du hier, wie kommst du hierher?"

„Schhhht, schhht, das ist jetzt nicht wichtig", redete Ru beruhigend auf ihn ein. „Was hast du am Kopf? Kannst du aufstehen? Kannst du laufen?"

Jeremy blinzelte und spürte, wie eine von Rus Händen vorsichtig das Haar über der Wunde berührte, mit der anderen hielt er ihm zwei Finger vors Gesicht. „Wie viele siehst du?"

„Zwei."

„Gut. Ich mache jetzt die Fessel ab und dann versuchen wir, ob du aufstehen kannst. Okay?"

„Ru, ich, wie...?" Jeremy hatte noch nicht verstanden. Rufus begriff jetzt aber umso besser und nahm ihn erstmal in seine Arme, so als wolle er ein Kind trösten. „Ist schon gut. Alles wird gut. Hat er dir wehgetan?"

„Am Kopf..."

„Ich seh's. Ist viel Blut, aber nicht tief und du verstehst mich und siehst nicht doppelt. Sonst scheinst du nichts abgekriegt zu haben. Wir stehen jetzt auf und gehen hier weg, okay?" Rufus nahm sein Kinn in seine Hand und schaute Jeremy in die Augen, um sicher zu gehen, dass er alles mitgekriegt hatte. „Warte, ich helfe dir..." Rufus stand jetzt langsam auf und half Jeremy auf die Beine, der etwas zu taumeln schien. Tatsächlich kam es ihm vor, als würde der Boden schwanken und Rufus nahm einen von Jeremys Armen über seine Schulter und hielt ihn fest, seinen anderen Arm legte er ihm um die Hüfte und stützte und hielt ihn so. „Okay. Jetzt langsam, einen Fuß vor den anderen, ich sage dir, wenn wir an der Treppe sind..."

Jeremy konnte es noch immer nicht glauben, aber der warme Körper, die warmen Arme, die ihn jetzt hielten, das war Rufus. „Wie... hast du mich gefunden?"

„Ist jetzt nicht wichtig, komm weg..." Rufus' Stimme klang beruhigend, aber auch extrem angestrengt. Jeremy fluchte, weil er so schwerfällig und unkoordiniert gestützt werden musste, aber nach der Fesselung von offenbar mehreren Stunden waren seine Beine eingeschlafen und erst langsam bekam er wieder Gefühl darin. „Okay, Achtung, Treppe geht los...und hmmmph", presste Rufus hervor, dann hob er Jeremy mit an. Die nächste Stufe, die übernächste. Rufus stöhnte. „Warte, es geht gleich besser", keuchte Jeremy und sie hielten kurz an. „Okay."

„Lass mich an die Wand lehnen..."

Rufus half ihm an die Wand, ließ aber kaum locker. Sie atmeten etwas durch und Jeremy hatte wieder Gefühl in den Füßen, also nickte er Rufus zu. „Komm, jetzt den Rest", sagte er und lehnte sich wieder mehr auf Rufus' Schulter. Da war ein seltsamer Geruch an Rufus. Nicht wie sonst. Der zischte plötzlich wie im Schmerz durch die Zähne. „Was ist?", wollte Jem erschrocken wissen. „Nichts, du bist nur schwer so. Los komm", gab Ru zurück und wieder nahmen sie ein paar Stufen. Endlich oben angekommen, schienen sie in einer Art Geräteschuppen oder Garage zu sein. Da hingen Schaufeln und Spitzhacken und Gartengerätschaften an den Wänden und Fässer, Eimer und eine Schubkarre standen herum. „Wo ist das hier?", fragte Jeremy ungläubig und dann, als sie aus der Tür kamen, staunte er noch mehr. „Das ist der alte Teil vom Friedhof in Kensal Green, das Haus vom Friedhofswärter", erklärte Rufus. Er schien sich hier auszukennen. Wie konnte das sein, dass er ihn hier gefunden hatte? Jeremy kam ein furchtbarer Gedanke. Nicht gefunden. Abgeholt, nachdem Oliver bekommen hatte, was er wollte... Gerade wollte Jeremy fragen, was das war, als er blaues, flackerndes Licht bemerkte, das immer näherkam. „Gut, da kommt der Krankenwagen", hörte er Rufus sagen, „Ich hab die gerufen, weil ich wusste, dass du blutest."

„Woher?"

„Ich hab' dich in der Albert Hall gesucht."

„Und wie konntest du mich hier finden?"

„Nicht jetzt. Sie kommen... Hey, hier sind wir!", rief Rufus und sogleich waren zwei Sanitäter bei ihnen, die Jeremy vorsichtig halfen, sich auf den Rasen zu legen. Rufus ging daneben erschöpft auf die Knie und schaute zu, wie die Männer damit begannen, Jeremy zu untersuchen, den Puls fühlten, in die Augen leuchteten und ihn vorsichtig auf eine Trage legten. Erst dann ließ er sich auch aufhelfen. „Sir, haben Sie uns gerufen?", fragte einer der Sanitäter.

„Ja. Er blutet am Kopf."

„Was ist mit Ihnen?"

„Geht schon. Habt ihr was zu trinken?"

Der Mann schaute, als würde er Rufus das nicht glauben, holte dann aber sogleich eine Dose Cola von vorn aus dem Krankenwagen. „Hier bitte, Sir, aber wir schauen im Krankenhaus sofort auch nach Ihnen."

Rufus nahm die Dose und machte sich gierig darüber her. Als er ausgetrunken hatte, ging er neben Jeremys Trage. Jeremy schien bereits wieder halb ohnmächtig. „Es wird alles gut", sagte er zu ihm. Jeremy versuchte ein Lächeln. Dann lud man ihn in den Krankenwagen und Rufus stieg schwankend mit ein. 


>>>> Kurze Anmerkung zu Kensal Green. Der Ort ist tatsächlich sehr schön und die Leute dort, der Friedhofswärter, sehr nett. Er hat erklärt, dass Freddy Mercurys Grab nicht mehr dort ist. Seine Familie hat ihn nach Sansibar gebracht. Es ist nur der Frust über Freddys Abwesenheit, den ich hier ablasse;););) Wikipedia hat das noch falsch.

No lies, keine LügenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu