Teil15

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„Ich geb' dir erstmal was zu trinken", schlug Rufus vor und schlenderte zum Kühlschrank. Er hatte richtig geraten. Der alte Butler hatte den Kühlschrank mit dem Notwendigsten aufgefüllt. Er schnappte sich einen Liter Milch, rieb sich mit der Flasche über die erhitzte Stirn und trank sie dann auf ex aus. Das tat gut und half ihm wieder klar zu werden. Eine zweite Flasche nahm er heraus und brachte sie zu Jeremy. Der machte es ihm gleich und trank auch ohne abzusetzen. Rufus setzte sich zu ihm auf den Küchenboden und lehnte sich an seine Schulter. Jeremy legte ihm einen Arm um die Schulter und wuschelte ihm im Haar herum. „Sag mal, was machen wir hier eigentlich?", fragte er dann.

Rufus war nicht sofort klar, worauf Jeremy hinauswollte. Das Offensichtliche, der heiße, schwule Sex, war wohl nicht die Antwort auf die Frage.

„Du meinst, ob es was bedeutet?" Er schaute unter langen rötlichen Wimpern von Jeremys Schulter zu ihm hoch. 

Der hatte den Blick seltsam in die Ferne gerichtet. Dann suchte er den Blick von Rufus. „Ja genau", sagte er leise aber bestimmt. Wenn du wüsstest, wie ich gerade dabei bin, mich zu verlieben, hier völlig den Kopf zu verlieren... Ich muss wissen, was du von mir willst, sonst muss ich hier ganz schnell weg, bevor es endgültig zu spät ist. Das alles sagte er nicht. Aber vielleicht verstand Rufus auch so. Wenn er ihm in die hellen Augen sah, dann sah er nicht nur einen wachen Verstand, sondern auch große Aufrichtigkeit. Rufus hielt seinem Blick stand. 

„Ich weiß, wie das alles aussieht", begann er dann, „du denkst, weil ich dich an dem Abend aufgerissen habe und weil wir so schnell zur Sache gekommen sind und weil ich so jung, gut aussehend, talentiert und ein reicher Schnösel bin, dass ich es nicht ernst meine. Aber das ist nicht so... Wenn man so ist wie ich, dann hat man schon eine Menge Mist erlebt, bevor man erkennt, was man eigentlich will,... wen man eigentlich will. Unterschätz' mich nicht und dich auch nicht." 

Da war wieder dieser Anflug von Bitterkeit, in dem was er sagte und Jeremy begriff jetzt, dass Rufus von Anfang an nichts als ehrlich mit ihm gewesen war. Keine Schuldgefühle hatte er gesagt. Damit hatte er nicht gemeint, dass er alles nur als Spiel betrachten würde, sondern vielmehr, dass er darin einen neuen Anfang sah. Dieses Mal wollte er es richtigmachen, dann brauchte er keine Schuldgefühle zu haben. Darum hatte er ihm das Taxi gerufen. Was sollte Jeremy jetzt sagen? 

„Ich bin so krass dumm, entschuldige", flüsterte er dann und hauchte Rufus einen Kuss auf die Stirn. Viele Geschichten hatte er gesagt. Offenbar nicht nur gute. „So dumm, so dumm", wiederholte er leise und drückte den jungen Mann an sich. Er nahm sich vor, einfach abzuwarten, bis Rufus bereit war, ihm etwas davon zu erzählen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Jeremy etwas über sich selbst preisgab. Aber wie sollte er das anfangen? Er kam zu keiner Lösung. Er wollte dann doch lieber von etwas Anderem sprechen. „Was hältst du davon, wenn du dir bei nächster Gelegenheit anschaust, was ich so mache?", schlug er vor und versuchte einen leichten Tonfall.

„Du meinst, ich soll mir deine Oper anschauen?" Rufus klang neugierig, nein besser noch: Begeistert.

„Ja. Und vielleicht eine Kollegin kennen lernen. Da kann ich mit dir angeben." Okay. Das war deutlich. Er wollte, dass ihr Zusammensein nicht länger „nur" zwischen ihnen beiden war. Er wollte, dass es June wusste. Er wollte ihn einer Freundin vorstellen. 

Rufus hatte das genau verstanden. „Wann ist eure nächste Vorstellung?"

„Am Montagabend. Aber da musst du doch auch auf die Bühne."

Rufus überlegte kurz. „Ich kann mit meinem Understudy tauschen. Dann trete ich am Mittwoch zweimal auf."

„Du hast echt jeden Tag außer Sonntag Vorstellung?"

„Ja. Bis Ende Juli. Wie lange bist du überhaupt in London?" Darüber hatte sich Rufus also schon Gedanken gemacht.

„Noch drei Wochen, bis Ende Mai." Drei Wochen. Das war zu wenig Zeit. Oder?

„Die drei Wochen lass' ich dich nicht zur Ruhe kommen", sagte Rufus in einem Ton, der nur halb im Scherz gemeint war. Die andere Hälfte deutete sicher, dass er jede freie Minute mit Jeremy auskosten wollte. Und Jeremy ging es genauso. „Wollten wir nicht nach oben gehen?", fragte er jetzt und deutete zur Treppe.

„Stimmt."

Dann ging alles so leicht, als wären sie schon längst ein eingespieltes Team. Rufus stand auf und zog Jeremy auf die Beine. Gleich darauf zog er ihn hinter sich her die Treppe hinauf. Oben angekommen, zog er ihn mit sich auf's Bett. Jeremy ließ sich von der Leichtigkeit, mit der das alles geschah anstecken, bis ihm wieder in den Sinn kam, was Rufus eigentlich von ihm wollte. Er fühlte sich nicht gut dabei. Er küsste ihn und ließ sich küssen, aber dann hielt er inne, bevor sie weiter gingen. Rufus merkte sofort, dass Jeremy irgendwas zurückhielt. 

„Was ist jetzt?", fragte er. Es war schon erstaunlich, wie aufmerksam und direkt er in diesen Dingen war. 

Jeremy würde nicht weniger direkt sein. „Hast du das überhaupt schon mal gemacht? Ich meine alles?"

„Eben in der Küche. Hattest du den Eindruck, ich wüsste nicht, was ich tue?", gab Rufus zurück.

„Das war was völlig Anderes. Und es war richtig umwerfend und sexy und alles. Ich frage, ob du schon mal Analsex hattest." Jeremy kam so die Ahnung, dass das nicht der Fall war.

Rufus tat, als würde ihn die Frage völlig überraschen. „Was soll die Frage? Ich will jetzt welchen, mit dir!"

Also nein. Nein! Nein, verdammt. Warum tat Rufus so erfahren und abgebrüht, wenn das gar nicht so war? Jeremy holte zweimal tief Luft, um die Erkenntnis kurz einsickern zu lassen. Dann nahm er Rufus' Hände in seine Hände und hielt sie fest. Er schaute ihm in die Augen. 

„Hör mal, das ist hier kein Wettrennen oder sowas." Rufus sah aus, als wollte er etwas sagen, dann schwieg er doch lieber. Jeremy fuhr fort. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist und ich will dir auf gar keinen Fall wehtun. Wir warten, bis wir beide unsere Körper besser kennen. Du...bist noch nicht so weit."

„Ich bin nicht aus Zucker."

„Doch, glaub mir, das bist du." Jeremy meinte es wirklich so. Nicht nur, dass Rufus so verführerisch wie reiner Zucker war, bestimmt war er auch ebenso zerbrechlich. Wieso war das dem jungen Mann so wenig klar? Jeremy suchte nach einem Hinweis in Rufus' Gesicht, fand aber keinen. Schauspieler, und ein verdammt guter. Er ließ es für den Augenblick gut sein. Jetzt müsste aber auch irgendwas Schönes passieren, sonst würden sie in getrübter Stimmung zum Tee bei Bruder Richard, dem Duke, erscheinen.

„Wie wär's, wenn wir deine riesengroße Badewanne ausprobieren?", schlug Jeremy vor.

Rufus lächelte aufreizend. Das war dann wohl die richtige Idee.  

No lies, keine LügenWhere stories live. Discover now