Teil44

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Jeremy rief bald darauf kurz bei Peter an, um ihn zu bitten, ins Hotel zu kommen. Mehr wollte er am Telefon nicht erklären und dann ging die Fahrt auch schon los in Richtung Central London. Sie nahmen das Motorrad. Beide. Wenn sie jemand sehen würde, dann wäre es eben so. Rufus fuhr wie immer zu schnell, aber das machte nichts, denn Jeremy hielt sich gut fest und Rufus stand drauf, wenn er sich so an ihn schmiegte. Vielleicht fuhr er auch etwas schneller als sonst, weil er sauer war. Was war mit seinem Karma nicht in Ordnung, wenn ihm sein skrupelloser Ex- Freund so über den Weg lief? Und wie konnte der so eine miese Aktion starten? Irgendeine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass Oliver womöglich nur eins im Sinne hätte und das wäre ganz sicher nicht Geld. Das hatte Olivers Familie auch mehr als genug. Also ging es um Macht. Aber Macht über wen oder was? Rufus wollte nicht weiterdenken. Oder war das alles nur ein Spiel? Wie sollte er das alles bloß erklären und wie würde Jeremys Manager es aufnehmen, dass sie beide so unvorsichtig gewesen waren? Das alles ist nicht seine und auch nicht meine Schuld, versuchte er sich klar zu machen. Das hat nichts mit uns zu tun. Er fuhr zügig, rasant und nahezu auf Autopilot und hielt schließlich in rekordverdächtiger Zeit vor Jeremys Hotel.

Als sie oben an Jeremys Zimmer ankamen, hatte der Portier ihre Ankunft bereits gemeldet und Peter und June warteten schon vor der Tür. Natürlich waren beide da, es ging sie ja auch beide etwas an. Trotzdem hätte Rufus gern auf June verzichtet. Warum war sie immer gleich dabei und in erster Reihe? Er konnte sich zudem nicht gegen das Gefühl wehren, dass sie ihn nicht leiden konnte. Vielleicht fand sie aber auch nur die ganze Situation nicht in Ordnung.

„Hi June, hi Peter", begrüßte Jeremy die beiden.

Rufus nickte ihnen zur Begrüßung einfach nur zu. Er war nicht in Stimmung für Konventionen.

„Was gibt es denn so Dringendes, dass es keine Zeit hat bis zur Vorstellung?" platzte June direkt heraus. Rufus bemerkte sofort die Ungeduld in ihrer Bemerkung. Jeremy schien davon ziemlich unbeeindruckt.

„Gehen wir 'rein, ich erklär's euch dann", sagte er ganz ruhig. Dann ging er vor und wartete, bis June und Peter es sich auf Sesseln bequem gemacht hatten, bevor er sich zu ihnen setzte. Rufus schüttelte den Kopf. Er würde lieber stehen bleiben. Nur mit einem Blick gab er Jeremy zu verstehen, dass der lieber erst das Reden übernehmen sollte. Jeremy verstand und holte tief Luft. „Es ist etwas Unvorhergesehenes passiert, womit keiner rechnen konnte", begann er und hasste selbst, wie defensiv das klang.

„Was soll das sein?", fragte Peter neugierig und auch ein wenig besorgt.

Jeremy warf Rufus erst noch einen Blick zu. „Wir sind wohl zu unvorsichtig gewesen. Es gibt ein Foto, das uns zeigt. Und jemand hat es heute Morgen mit der Post geschickt." Das war kurz und knapp und wahr.

„Was soll das heißen? Was sieht man darauf?", verlangte Peter zu wissen. Er schien noch immer hauptsächlich besorgt und professionell mit seiner Frage. June dagegen wirkte jetzt deutlich genervt und nervös.

Jeremy holte das Foto aus einem Rucksack hervor. „Eigentlich harmlos. Wir küssen uns."

„Also sieht man, dass ihr ein Paar seid", folgerte Peter.

„Na großartig! Genau das haben wir gebraucht!", fuhr June dazwischen. Sie warf einen Blick auf das Bild und seufzte übertrieben. Der Sarkasmus in ihrer Stimme gefiel Rufus gar nicht.

„Ist jetzt nicht zu ändern", bemerkte Peter besänftigend, „aber von wem kommt das? War das ein Klatsch-Fotograf? Woher weiß der von euch? Gibt es einen Brief oder sowas?"

Das war wohl Rufus' Stichwort. „Ich denke, dass das von einem Ex-Freund von mir kommt. Der war auf der Gala und ist mir wahrscheinlich gefolgt. Und ich denke, dass er weiß, wie wichtig es ist, dass jetzt nichts Jeremys Image in der Öffentlichkeit schadet." 

Peter nickte verständig und begann, verschiedene Szenarien in der Theorie durchzugehen. „Also haben wir drei Möglichkeiten. Erstens: Wir tun gar nichts und falls die Wahrheit ans Licht kommt, warten wir ab, wie die Jury reagiert. Zweitens: Wir gehen auf eventuelle Forderungen von deinem Ex- Freund ein und stellen ihn zumindest lange genug ruhig, um die Preisverleihung nicht zu gefährden. Oder, drittens, wir gehen in die Offensive und starten unsererseits Gerüchte über die glückliche Opernromanze von Jeremy und June." Peter blickte sich um, um herauszufinden, wie die drei auf seinen Vorschlag reagierten. Jeremy pfiff resigniert durch die Zähne. Rufus nickte nachdenklich. June rollte entnervt mit den Augen.

Jeremy sprach als Erster. „Ich habe keine Lust auf weitere Lügen. So viel ist sicher."

Rufus stimmte dem voll und ganz zu. Erfahrungsgemäß machten Lügen immer alles schlimmer. Wenn sie gar nicht erst so ein Versteckspiel angefangen hätten und gemeinsam auf der Gala gewesen wären, hätte ihnen das diesen Ärger erspart. „Jem hat Recht. Und ich denke, dass die Leute erst recht so wirklich empört sind, wenn man ihnen etwas vormacht."

„Und was wird dann aus dem Preis?", fragte June, „Wenn wir jetzt zugeben, dass wir gelogen haben, dann sind die Jury und die Leser ganz sicher stinksauer."

„Ist denn dieser Preis wirklich so wichtig?", wandte Jeremy ein.

„Vielleicht nicht für dich und mich, aber ganz sicher für das Royal Opera House und die anderen im Team. Der Maestro, der Regisseur...", fuhr sie fort.

„Und wenn wir mit denen reden?", schlug Jeremy vor.

„Stimmt", fand Rufus, „habt ihr die mal gefragt, was sie von der ganzen Sache halten? Da sind doch bestimmt welche dabei, die auf unserer Seite sind. Im Haus ganz sicher."

„Eure Seite?", warf June ein, „Welche Seite genau ist das? Ist das wirklich notwendig, bei jeder Gelegenheit eine Kampagne für Gay Rights zu starten? Ihr nehmt euch und eure Seite viel zu ernst."

„Was soll das denn jetzt? Der eigentliche Skandal ist doch wohl, dass der schwule Sänger-Darsteller überhaupt zur Diskussion steht!", Jeremy brauste jetzt so richtig auf: „Hast du eine Ahnung, auf wie vielen Demonstrationen David und ich gewesen sind? Und immer noch spukt das in den Köpfen einiger Leute herum, dass jemand wie ich nicht...", er zögerte kurz, um nach Worten zu suchen, „normal ist oder gesellschaftsfähig oder gleichwertig! Ich habe da echt kein Verständnis mehr für so eine Borniertheit!"

Rufus mischte sich ein. „Da muss ich ihm zustimmen. Es ist geradezu lächerlich, dass er sich überhaupt rechtfertigen oder verstecken muss."

June sah das anders. „Das wäre überhaupt kein großes Ding und nicht mal relevant, wenn du", sie blickte beinahe zornig zu Rufus, „nicht wie aus dem Nichts aufgetaucht wärst um ihn zu..."

„...zu was?" Rufus stoppte sie, bevor sie zu weit gehen konnte. Er sah sie erbost an.

„Na, was schon?! Ihr haltet doch nicht bloß Händchen...", begann sie,  aber auch Peter ging jetzt dazwischen.

„Wir sollten uns alle wieder beruhigen", sagte er, „so kommen wir nicht weiter."

„Was schlägst du vor?", fragte nun Jeremy, der sich deutlich um einen ruhigen Ton bemühte.

Peter überlegte kurz. „Vielleicht ist es das Beste, erstmal abzuwarten. Wir wissen gar nicht, ob es von diesem Ex-Freund von Rufus kommt und wenn, was er will. Bleiben wir ruhig und sehen wir, was als Nächstes passiert. Dann können wir immer noch reagieren und auch die Polizei einschalten. Erpressung ist immerhin eine Straftat." Er wandte sich an Rufus. „Du traust diesem Typen das wirklich zu?"

„Ja." Rufus nickte ernst. Er würde nicht sagen, dass er Oliver nicht nur das, sondern auch viel mehr zutraute.

„Das ist echt unglaublich", zischte June reichlich giftig.

„June, bitte lass jetzt", kam es von Jeremy. Sein Blick appellierte deutlich an ihre Freundschaft, sodass sie nun etwas bockig die Lippen schürzte, aber den Mund hielt. „Dann machen wir es so", sagte er dann. „Wir warten ab. Und wenn es wirklich auf Erpressung hinausläuft, gehen wir zur Polizei." Er schaute Rufus an, der ihm bestätigend zunickte.

„Also gut. Ich bin dabei." Rufus und Jeremy schauten jetzt zu June.

„Na wenn es denn sein muss. Aber reißt euch bloß zusammen."

„Dann haben wir vorerst eine Lösung", sagte Peter.

Damit war die Sache zumindest bis auf Weiteres besprochen und es gab so etwas wie einen Plan. 

No lies, keine LügenWhere stories live. Discover now