Teil79

580 74 14
                                    

Als Jeremy erwachte, wusste er nicht sofort wo er war und er zögerte mit dem Öffnen seiner Augen, weil er auch nicht sicher war, ob er seine Rettung nicht vielleicht nur geträumt hätte. Dann beschloss er, es darauf ankommen zu lassen und stellte erleichtert fest, dass sein eines Auge nicht mehr blutverklebt war. Und er war eindeutig in einem Krankenzimmer. Da waren Geräte, die seine Körperfunktion überwachten und ein Tropf. Wo ist Rufus? Er wollte gerade den Kopf heben, um sich besser im Raum umzuschauen, da beugte sich Rufus über ihn.

„Hey, Großer. Endlich bist du wach. Es wird alles gut", flüsterte er und nahm Jeremys Hand. 

„Was ist passiert?", fragte Jem, nicht ganz sicher, ob er die Antwort hören wollte.

„Du hast eine Kopfverletzung und du warst narkotisiert. Aber es ist nur äußerlich, nicht so schlimm. Die haben dir Haare abrasiert, um die Wunde zu nähen."

Jeremy konnte den Verband an seiner Schläfe und um den Kopf herum vorsichtig ertasten.

„Was ist mit dir?" Jeremy konnte sich daran erinnern, dass er wohl lange in dem Kellerraum gelegen hatte. Wo war Rufus in dieser Zeit gewesen? Wo war er so plötzlich hergekommen? Rufus schien einen Augenblick mit der Antwort zu zögern.

„Ist jetzt nicht wichtig. Ruh dich aus", sagte Ru dann, „ich bleibe hier und passe auf."

Jeremy verstand das alles noch nicht so recht. Rufus strich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und gab ihm etwas zu trinken. Dann ließ er Jeremy sich wieder hinlegen.

„Rutsch ein Stück, dann passe ich mit in dein Bett." Rufus deutete auf ein anderes Krankenbett, in dem er aber selbst noch nicht gelegen hatte. Er trug eins von diesen Krankenhaushemden und einen Bademantel. Jeremy rutschte etwas zur Seite und wartete, bis Ru lag, dann rückte er ganz dicht an ihn heran. „Geht's dir auch gut?", fragte Jem dann, weil er noch immer keine Vorstellung hatte, was passiert war.

„Wenn du da bist, geht's mit gut", lautete die Antwort.

Jeremy legte einen Arm um Rufus. War das in Krankenhäusern überhaupt erlaubt?

„Wie hast du mich gefunden?", brummte er dann leise.

„Ich finde dich überall."

Gleich darauf schlief Jeremy wieder ein. Rufus schlief auch ein, aber erst viel später und glücklicherweise ließ ihn die Erschöpfung durchschlafen, sodass er noch tief schlummerte, als Jeremy gegen Mittag erwachte. Viel Schlaf konnte das nicht gewesen sein, aber er fühlte sich viel besser, als bei seinem ersten Erwachen. Immerhin wusste er gleich, wo er war und dass Rufus bei ihm war. Man hatte sie bisher nicht gestört, was wohl bedeutete, dass irgendjemand sich darum gekümmert hatte. Jeremy tastete nach seinem Kopfverband und versuchte selbst abzuschätzen, wie schlimm es ihn erwischt hatte. Rufus hatte gesagt, es sei nicht so wild. Rufus. Wieso trug der diese Krankenhauskleider? Jeremy versuchte nachzusehen, ohne ihn zu wecken. Rufus lag vor ihm, den Rücken zugewandt und Jeremy hatte noch immer einen Arm über ihm liegen. Jeremy konnte sein Haar am Hinterkopf sehen. Und man sah es nicht sofort, weil sein Haar rot und dicht war, aber da waren Spuren von Jod an der Schläfe und am Scheitel. Was war ihm passiert? Dann, mit einem Mal fiel ihm wieder ein, was er bereits bei ihrer gemeinsamen Flucht aus dem unterirdischen Versteck befürchtet hatte: Rufus hatte sich mit Oliver getroffen und sie hatten wer weiß was getan. Oh nein! Das war zu viel. Ihm wurde bei dem Gedanken schlecht und schwindelig zugleich. Aber so musste es gewesen sein. Oliver war brutal, das stand außer Zweifel und es würde alles erklären. Ganz sicher wäre Rufus danach krankenhausreif. Jeremy versuchte, Ruhe zu bewahren. Es fühlte sich an, als würde er den Verstand verlieren, aber das wäre jetzt keine Hilfe und wenn es so war, dass Rufus mit diesem Oliver Sex gehabt hatte, dann würde er Hilfe brauchen. Vielleicht ist das alles gar nicht so gewesen? Vielleicht gab es eine andere Erklärung für das Jod und den Bademantel? Jeremy rückte noch dichter heran und strich mit einem Finger vorsichtig den Kragen an Rufus' Hals etwas hinunter und fand zwei eindeutige Beweise. Knutschflecken, die nicht von ihm waren und einen Wundverband mit wer weiß was darunter. Jetzt drehte sich alles und Jeremy spürte, wie eine Wut in ihm aufstieg, die er nicht für möglich gehalten hatte. Er würde Oliver umbringen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Kein Zweifel. Und mehr noch war er wütend auf sich selbst. Wie hatte er zulassen können, dass so etwas geschah? In dem Moment merkte er, dass Rufus sich rührte. Er wachte auf. Jeremy zog ihn mit seinem Arm vorsichtig an sich. „Hey, wie geht's dir?", flüsterte er sanft in sein Ohr. Rufus drehte sich ihm verschlafen zu, blinzelte und schaute ihn dann an. „Wie geht's dir?", fragte er zurück.

„Mir? Kopfschmerzen. Das ist alles. Aber du? Was hast du bloß gemacht?" 

Rufus holte tief Luft und sah ihm direkt in die Augen. „Du... weißt es schon. Aber wie?"

„Also ist es ...wirklich so", stammelte Jeremy und merkte, wie sich sein ganzer Leib verkrampfte. Irgendwie hatte er bis jetzt gehofft, er könne sich trotz allem geirrt haben. Dann sprach er langsam und leise, „Es gibt wohl keine andere Erklärung dafür, dass ich hier bin und mir nicht viel passiert ist, aber dir dafür umso mehr." Er suchte nach irgendeinem Hinweis in Rus Gesicht, der etwas anderes sagte, aber es blieb aus. Rufus rang um Fassung. „Es... tut mir leid. Ich wusste keinen Ausweg." Was redete er da?

„Nein, nein, dir muss das nicht leid tun. Du kannst nichts dafür." Jeremy hatte sich noch nie so hilflos gefühlt, wie in diesem Moment. Was könnte er sagen oder tun? Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn es ihn nicht gäbe? Dann wäre Rufus Oliver vielleicht nie wieder begegnet. Wenn er Oliver nicht verprügelt hätte, dann wäre der vielleicht nicht so ausgetickt. Wenn er diesen Preis nicht bekommen hätte, dann hätte Oliver ihn nicht hinter der Bühne niederschlagen können... Jeremy zwang sich dazu, diese Gedanken wegzudrängen. Sie führten nirgendwo hin. Es gab ihn und er war jetzt mit Rufus zusammen und zusammen würden sie mit allem fertig werden. Rufus lebte und er war bei ihm. Das war jetzt das Wichtigste. Jeremy schaute noch immer und bemerkte, dass er gezögert hatte und Rufus die Augen niederschlug. „Nein, bitte, sieh mich an", begann Jem erneut, „wir lieben uns und das ändert daran gar nichts. Wenn es was ändert, dann halten wir jetzt umso stärker zusammen, hörst du?" Er hob Rus Kinn an, um ihm in die Augen zu blicken. Da war etwas in seinen Augen, das Jeremy zuvor noch nie gesehen hatte. Scham? Angst? Jeremy konnte es nicht genau ausmachen. Dann hörte er Rufus leise und mit erstickter Stimme sagen, „Wie kann ich ... jetzt noch stark sein? Wie ... kann ich das?"

„Du kannst das. Wir sind es gemeinsam und wenn ich es kann, kannst du es auch." Jem hatte keine Ahnung, ob seine Worte angesichts der Tatsache, dass Rufus gerade wohl das Schlimmste widerfahren war, was hätte passieren können, nicht unglaublich hohl klangen. Er hoffte, es wäre nicht so und gab Rufus einen Kuss auf die Stirn, ganz behutsam und sacht. Der junge Mann legte jetzt seinen Kopf an Jeremys Brust und wie Jeremy mit einem Mal realisierte, begann er ganz bitterlich zu weinen. Er ließ ihn und hielt ihn und flüsterte irgendwelche Worte in sein Ohr. „Schschht... wird alles gut... ich liebe dich... du wirst gesund... die kriegen ihn... ganz ruhig, Liebster..."

No lies, keine LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt