Teil16

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Die Badewanne war wirklich riesig, um nicht zu sagen herrschaftlich und das heiße Wasser tat gut. Die beiden wuschen sich abwechselnd das Haar und blieben irgendwann einfach eine Weile so im Wasser liegen. Jeremy lehnte an der Wanne und Rufus lehnte sich zurück an ihn. Mit den Armen hielt der kräftigere Mann den jüngeren umfangen und aus irgendeinem Grund, vielleicht, weil das jetzt so ungemein entspannend war, fing er an, leise vor sich hinzusummen. Er hätte im Nachhinein nicht einmal sagen können, was es war. Vielleicht etwas Romantisches von Schubert oder etwas von Beethoven. Hymne an die Nacht könnte es gewesen sein. Rufus hörte andächtig zu und schien ganz in den Moment versunken. Schließlich war es soweit, sich für den Besuch „auf der anderen Seite" fertig zu machen. Jeremy küsste Rufus an die Schläfe und flüsterte, dass es Zeit wäre. Rufus nickte und bald darauf waren sie angezogen und auf dem Weg zum Herrenhaus. Sie nahmen das Motorrad, denn der See war nicht gerade klein und zu Fuß würden sie bereits zu spät kommen. Je näher sie zum Haus kamen, desto riesiger wurde es. Das letzte Stück zum Haus führte durch eine Allee mit großen, alten Kastanienbäumen und die halbrunde Auffahrt, noch aus der Zeit, als man dort mit Kutschen vorfuhr. Rufus parkte das Motorrad direkt vor dem Haupteingang.  Sommerford St. Aubyn Manor selbst war ein riesiger Kasten im Stil des englischen Barock und Jeremy fragte sich laut, wie viele Menschen wohl darin wohnen würden. Rufus überlegte kurz und meinte, es wären in erster Linie natürlich sein Bruder mit Familie, also Richard, seine Frau Miranda, ihre zwei Töchter und zudem etwa zwanzig weitere Bewohner, Hausangestellte und Gärtner mit Familie. Mit dieser Auskunft beantwortete er gleichzeitig die sonst wohl nächste Frage, ob es noch Eltern oder Großeltern gäbe. Offensichtlich nicht. 

Kurz bevor Rufus und Jeremy die Tür erreichten, öffnete ihnen Hopkins und führte sie hinein. "Sie kommen spät", murrte er. Rufus lächelte nur, was ihm der Butler als Entschuldigung durchgehen ließ. Die riesige Eingangshalle war mit Marmor ausgelegt und eine einigermaßen riesige Treppe führte nach oben. An der Decke war ein farbenfrohes Gemälde mit irgendwelchen Figuren aus der klassischen griechischen Mythologie. Jeremy staunte nicht schlecht.  Er würde jetzt wirklich einen englischen Duke kennen lernen. An so etwas wie einer Gemälde- oder Ahnengalerie vorbei, führte Hopkins die beiden dann in den von Sonne durchfluteten Wintergarten. Dort saß ein Mann am Tisch, der ganz eindeutig Familienähnlichkeit mit Rufus hatte. Ebenfalls groß, schlank, rötliches Haar, aber deutlich heller als das von Rufus, keine Locken, helle Augen. Er musste vielleicht Anfang dreißig sein. Seine Frau saß neben ihm. Eine sehr zierliche, blonde Frau. Vielleicht knapp dreißig. Beide standen auf und kamen ihnen freudestrahlend entgegen. "Rufus, das wurde aber auch Zeit!" Richard umarmte seinen jüngeren  Bruder herzlich und hieß auch Jeremy herzlich willkommen. Miranda wartete kurz ab, bis sich die Brüder begrüßt hatten, dann umarmte sie Rufus ebenfalls und reichte Jeremy die Hand. Rufus begann, Jeremy vorzustellen. „Also das ist Jeremy Harrison. Wir haben uns auf der Premierenfeier kennengelernt."

„Dann bist du auch Schauspieler?", fragte Miranda neugierig.

„Nein, nein, ich bin Sänger. Wir waren zufällig im selben Pub."

„Rufus, du wolltest uns doch Karten besorgen. Wir möchten dich unbedingt sehen",  mischte sich Richard dazu.

„Er ist toll", kam es von Jeremy, „ich habe ihn gestern gesehen."

„Ja, ich bin auch wirklich stolz auf meinen kleinen Bruder. Die Kritiken in der Times sind hervorragend. Und was singst du?"

„Jeremy singt an der Oper. An dem Abend hat er aber die englische Hymne gesungen."

„Waaaas? Nicht echt?" Jeremy konnte sich natürlich nicht erinnern. 

„Doch und dann die andere, die von euch." Rufus grinste. Was war dem Sänger wohl noch alles entfallen?

„Er hat seine Yankee-Hymne in einem Londoner Pub gesungen?" Richard war nicht wenig erstaunt. 

Jeremy auch. „Also eigentlich bin ich gar kein Yankee", setzte er zu erklären an, was aber nicht viel half. 

Als Hopkins mit dem Tee und Kuchen kam, waren alle schon mitten in Gesprächen über Shakespeare, die viel zu geringe Kulturförderung in England und die völlig sinnlose Idee, eine neue Brücke an der Southbank zu bauen. Rufus erklärte kurz mit einem Naserümpfen, dass sein Bruder in der Politik sei. Richard meinte, das sei überhaupt kein Grund die Nase zu rümpfen, alle Sommerford St. Aubyns seien immer politisch aktiv gewesen. Irgendwann kamen die beiden Mädchen noch dazu. Sie erzählten begeistert von ihren Pferden, die natürlich der Grund für die Verspätung seien. Und sie erzählten, sie hätten mit ihrer Lehrerin auch schon über Shakespeare gesprochen. Die Kleinere fand es unfair, dass ihr Daddy sie für zu jung für einen Theaterbesuch hielt. Jeremy fand das süß und musste erklären, dass er als Opernsänger ohne Mikrofon singen könnte. Das wollte die Größere nicht glauben. Und so kam Miranda auf die Idee, er solle es direkt  beweisen. 

„Rufus geh doch an den Flügel und spiel die Nationalhymne", schlug Richard vor. Er deutete auf einen Steinway, der Jeremy schon längst aufgefallen war. 

„Welche?", wollte Rufus noch wissen und sprang auf.

„Na, welche wohl. God save...", weiter kam Richard nicht, denn Rufus war im Nu am Flügel und begann „The Star-Spangled Banner". Jeremy stieg sofort mit ein, „Oh, say can you see by the dawn's early light..." Er war mehr als nur freudig überrascht, dass Rufus Klavier spielte und sang jetzt voller Begeisterung. Hopkins hatte inzwischen den Wintergarten verlassen, aber die Sommerfords und ihr Gast blieben noch eine ganze Stunde zusammen beim Tee. Erst als die Sonne begann unterzugehen, wollten Rufus und Jeremy sich langsam verabschieden. Richard ließ Rufus noch in die Küche gehen, um einen Picknickkorb mit Abendessen zu holen, dann kam er zu Jeremy herüber. 

„Er bringt nicht jeden seiner Freunde hierher, weißt du das?" So wie Richard das sagte, klang es wie ein Kompliment. 

„Nein, also, ich habe gar nicht darüber nachgedacht", musste Jeremy zugeben. Richard nickte zur Bestätigung. Er hatte fast alles gesagt. „Pass auf ihn auf", setzte er dann noch hinzu und schaute Jeremy in die Augen. Jetzt nickte Jeremy. Natürlich würde er das tun. Aber was für eine seltsame Bemerkung war das? Er wollte gerade nachfragen, da hörten sie Rufus ungeduldig in der Halle rufen.

„Wo bleibst du denn? Der Korb ist schwer!"

„Ich komme!"

Jeremy verabschiedete sich von Miranda und den Kindern, dann ging er mit Richard zu Rufus und mit ihm hinaus auf den Hof. Dort fuhren die zwei ab und Richard winkte ihnen noch nach.

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