34 | Haare zum Frühstück

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Das Erste, was mir auffiel, als ich aufwachte, war, dass die Anderen ebenfalls eingeschlafen waren (bis auf den armen, übermüdeten Fahrer, der trotz des Kaffees ums Wachbleiben kämpfte). Allerdings hatte sich die Sitzordnung ein wenig verändert, seitdem ich das letzte Mal die Augen geöffnet hatte.

Ich lag - Arme und Beine von mir gestreckt - jetzt ganz auf Sangster und musste feststellen, dass wir beide meine Haare im Mund hatten. Irgendwie hätte ich mir das Aufwachen auf einem Jungen anders vorgestellt; eigentlich hätte ich vorgehabt, entweder graziös oder niedlich auszusehen, aber ich tat keins davon. Ich fühlte mich wie ein Vogel mit einem Nest auf dem Kopf, der vom Himmel geschossen wurde.

Mein Entführer selbst hatte seine Hände locker um meinen Bauch geschlungen (den ich deshalb extra einzog). Er lag halb auf öliges-Haar-und-Akne-Eric, der ihn von hinten wie ein Koala umarmte und unbewusst an seinen Haaren luschte.
Der schnarchende Siegmund Freud am Beifahrersitz war der einzige Schlafende, der keine Haare im Mund hatte.

Langsam, sodass Sangster nicht aufwachte, versuchte ich Strähne für Strähne aus seinem Mund zu ziehen und sie an seinem Hemd abzuwischen.
Gerade, als ich bei den letzten Haaren angelangt war, verschluckte sich Russischer Gandalf an seiner Pfeife (er hatte offensichtlich zu stark daran gezogen) und erlitt einen lautstarken Hustenanfall, der den Rest der Besatzung weckte.

Die ersten Sekunden blinzelten der Obergangster und ich uns an, während ich die Haarsträhne hielt, die noch zwischen seinen Lippen lag.

Dann zog ich sie, ohne meinen Blick von ihm zu lösen, langsam heraus. Auch er schaute nicht weg, sah aber leicht irritiert aus. Es schien als, wollte er etwas sagen, fand aber nicht die richtigen Worte.

Nachdem ich fertig war, wandte ich mich ab und starrte provokant auf meine Schuhe.
Es dauerte einen Moment, da wusste mein Entführer endlich, was er sagen sollte.

,,Warum sind deine Haare in meinem Mund gewesen, Kleine?" Er klang gefasst.

,,Andere Frage: Warum sind deine Haare in meinem Mund, Boss?", meldete sich öliges-Haar-und-Akne-Eric, der sich immer noch wie ein Koalababy an Sangster klammerte. Er klang nicht gerade begeistert.

Sein Boss fasste sich sofort an den Hinterkopf und befingerte seine Haare. Danach sah er so aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. ,,Bäh... Eric, du hast mich vollgesabbert!"

,,Ja, und ich bereue es. Weißt du eigentlich, wie deine Haare schmecken?"

,,Niemand hat gesagt, dass du sie in den Mund nehmen sollst!", gab Sangster pikiert zurück.
Darauf äffte ihn öliges-Haar-und-Akne-Eric angepisst nach, doch sein Boss achtete gar nicht drauf. Stattdessen fragte er Russischer Gandalf: ,,Wie weit noch, Nikolas?"

,,Nicht weit. Dauert höchstens zwanzig Minuten.", antwortete der Fahrer.

Was ist denn in zwanzig Minuten?, fragte Alice und nahm den Hut vom Hutmacher, um darin nach Keksen zu suchen. Sie wurde fündig.

,,Da kommen wir zurück. Beim Kino.", erklärte ich ihr so leise wie möglich.

Welchen Film sehen wir uns denn an?, wollte sie aufgeregt wissen.

Ich überlegte. Welcher Titel wäre passend für diesen Abschnitt meines Lebens? Ich wurde entführt und in Gangsterkram verwickelt. Mein Hauptentführer schüchterte mich auf eine gewisse Weise ein, hatte mich geküsst und ließ meine Haut manchmal kribbeln, wenn er mich berührte.
In meinem Leben ging es zwar um mich, aber er spielte darin momentan eine sehr große Rolle.

Hmm... wie wär's mit "Gangsterboy"?, fragte ich Alice.

Das ist ein blöder Titel!, bestimmte der Hutmacher und nippte an seiner leeren Tasse. Zucker fehlt, meinte er dann.

Gangsterboy | TBSWhere stories live. Discover now