10 | Plätze am Fenster

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Unter anderen Umständen hätte ich mich vor lachen kaum mehr eingekriegt, aber ich war hier das Mädchen, das man im Kofferraum des Autos von einem Entführer vergessen hatte.
Außerdem ging es mir gleich noch beschissener, als mir auffiel, dass ich nach Chicago musste, weil mir sonst nichts anderes eingefallen war. Wenn sich dieser Rattingdings nämlich nicht dort befand -was sehr, sehr wahrscheinlich war-, dann....

Okay, ehrlich gesagt wusste ich das nicht genau, aber mein Problem würde sich dann noch um 2617% steigern. Ich war am Arsch. Und zwar sowas von!

Sangster wartete schon mit fünf anderen Jungs. Meine "Bodyguards" gaben verlegen zu, dass sie mich in dem Auto fast für immer verrotten ließen. Das war ihm natürlich egal. Er lachte und ich wusste sofort, dass er das öfter tun sollte. Auch wenn er als "Bösewicht" damit etwas psychopathisch rüber kam. Andererseits war er das offensichtlich schon.

Ein Junge mit Problemhaut und grünen Haaren löste mir die Fesseln, damit wir nicht auffielen. Augenblicklich kam mir in den Sinn, dass Sangster sicherlich Waffen dabei haben musste und die waren nicht erlaubt. Außerdem kannte man dank meinen Eltern wahrscheinlich schon im ganzen Land sein Gesicht, weshalb er gleich geschnappt werden würde und das gute Rotkäppchen von einem heißen Polizisten nach Hause gefahren werden würde. Ja, so musste es ablaufen. So und nicht anders!

Die Jungs bildeten eine Art Mauer um mich herum, während wir durch den Airport gingen. Sie schienen zu wissen, wohin wir mussten, obwohl wir seltsamerweise keine Passkontrollen oder sonstiges durchmachten, wie normale Flughafengäste. Eine dunkle Vorahnung überschattete mich.

Meine Vorahnung bewahrheitete sich teilweise.

Durch eine Art Hinterausgang kamen wir direkt auf einen, wie ich es nannte, Flugzeugparkplatz. Von dort aus sah ich begeistert, wie eines der Maschinen gerade abhob und ein anderes landete.

Sangster steuerte zeilstrebig auf eines zu, dann, kurz vor den Stufen zur Türe des Flugzeuges bedeutete er mir mit einem Kopfnicken voran zu gehen. Nein!, schrie ich in Gedanken. Plötzlich vernahm ich etwas kühles an meinem Nacken. Liebend gerne! - mit diesem Gedanken hastete ich die Treppe hinauf, dicht gefolgt von den anderen Jungs.

Die Stewardess lächelte mich breit an. ,,Boarding Pass, bitte!"

,,Ähm..."

Hinter mir standen nun die Anderen. ,,Sie gehört dazu."

,,Ich brauche die Pässe, Sir." wiederholte die Stewardess noch einmal. Ihr Lächeln musste ihr vor langer Zeit mal steckenblieben sein, denn sie hörte nicht auf.

,,Schon gut, Clara. Lass sie durch!" befahl ihr jemand. Ein Mann in Anzug, der Sangster seinem Blick nach zu urteilen sofort erkannte, nachdem er hinter Clara aufgetaucht war.
Diese nickte. ,,Einen schönen Aufenthalt!"

Während Sangster sich mit seinen Freunden an mir vorbei drängte, schloss der Mann in Anzug die Türe; ich war wieder gefangen. Meine Fluchtchancen standen nie gut, aber jetzt waren sie endgültig vorbei.
,,Danke." flüsterte ich der Stewardess im Vorbeigehen zu, um zu zeigen, dass sie nicht um sonst ihren Mund beim Lächeln so strapazierte.

Ich trottete hinter Sir Blackhair her, der sich dann zu zwei seiner Freunde setzte. Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Reihe, in die ich mich setzen sollte. Sangster wartete bereits dort mit einem der Jungs (der Türke), die mich beinahe im Kofferraum vergessen hatten.
,,Komm schon! Du darfst sogar am Fenster sitzen." grinste Sangster.

Wir beide wussten, dass ich nur dort sitzen musste, weil meine Fluchtmöglichkeiten noch kleiner wurden, als sie ohnehin schon waren. Am liebsten hätte ich deshalb losgeheult. Doch das war nicht der einzige Grund. Sangster und Murat machten keine Anstalten aufzustehen, also musste ich mich an ihnen vorbeiquetschen, was mir (und da war ich wahrscheinlich die einzige von uns dreien) überhaupt nicht passte.

,,Mach schon!" murmelte Murat genervt und legte sein Handy weg, als würde er für die folgenden Sekunden seine volle Konzentration brauchen.
Ich unterdrückte den Drang, "Rotkäppchen will aber nicht!" zu rufen und mich mit verschrenkten Armen mitten auf den Gang hinzusetzen, sondern hob brav ein Bein nach dem anderen (Ich sah definitiv wie eine Neandertalerbraut aus).
Ich stieg Murat, der meine Hüfte fast ins Gesicht bekam (es schien ihn nicht zu stören) auf seine bestimmt neugekauften Nikes und stolperte deshalb fast auf Sangster's Schoß, konnte mich aber noch an dem Sitz vor ihm festhalten.
Die Jungs schnauften belustigt.

Ich versuchte nicht daran zu denken, was ich hier machte und konzentrierte mich auf meine Beine. Leider nur auf die Beine, denn plötzlich vergaß ich wo meine Hände hin mussten. Verzweiflelt stützte ich mich noch rechtzeitig an Sangster's Brust ab, der in diesem Moment froh sein konnte, dass er keine Frau war.
Dank meiner Tollpatschigkeit (Ich hasste mich langsam selbst dafür) vergaß ich dieses Mal meine Beine komplett und fiel über Sangster's Knie mit dem Kopf voran auf meinem Sitz.

Am Ende lag ich nun mit den Zehnspitzen auf Murat, bis zu meinem Solarplexus auf Sangster und mit dem Gesicht da, wo mein Hintern hätte sein sollen.
Sangster und Murat lachten jetzt lauter. Ich konnte spüren, wie die beiden währenddessen zuckten, was mich endgültig rot werden ließ.

Die Durchsage des Piloten hörte man endlich durch das Flugzeug sagen, weshalb die Jungs endlich die Klappe hielten. Ungeschickt rappelte ich mich auf und rutschte mit dem Knie beinahe auf die Stelle zwischen Sangster's Beine, krallte mich Gott sei Dank aber noch an der Armlehne fest. Aus Angst, noch einen Fehler zu begehen, tapste ich jetzt auf allen Vieren auf den Jungs herum, denen das bald auch nicht mehr gefallen würde.

,,Bist du dann fertig?" ätzte Sangster, während Murat, der schon "von mir befreit" war, uns auslachte.

,,Du musste deine Beine ja nicht unbedingt so weit wie möglich ausstrecken." gab ich gereizt zurück. Stolz auf mich, dass ich endlich Mut gefunden hatte, ihm meine Meinung zu geigen, versuchte ich gerade meinen linken Oberschenkel vorsichtig zu heben, ohne auf Sangster's Schoß umzukippen.

,,Wenn du gerne auf mir sitzen bleiben willst, musst du doch keine Ausrede suchen." erwiderte Sangster. Mir fiel auf diesen Kommentar nichts mehr ein, also murrte ich wütend vor mich hin.

Da begann das Flugzeug plötzlich schneller zu rollen.

,,Ich würde mich jetzt anschnallen, oder du fällst uns bald durch die gesamte Kabine." grinste Murat.
Gehetzt krabbelte ich auf meinen Sitz und suchte den Gurt, den ich schnell gefunden hatte.
Leider steckte der zwischen den Sitzen fest.

Gangsterboy | TBSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt