13 | Come va?

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Der restliche Teil des Flugs fing damit an, dass Sangster mich zu meinem Platz am Fenster zurückzerrte und mich für die nächste halbe Stunde mit dem Gurt an den Sitz quetschte, sodass ich mich fast schon nach seinem Arm sehnte. Aber nur fast.

Anschließend kauften sich ein paar Jungs im Airport Sandwiches, während ich und mein angeblich kaputter Magen komplett vergessen wurden. Also hatten sie wohl vor, mich verhungern zu lassen! Toll, dann musste ich mich wenigstens nicht mehr davor fürchten, dass Sangster von meiner Lüge erfuhr, weil ich dann schon ein mageres Skelett war.

Sangster hatte fast jede Minute ein Handy am Ohr und schien so viel ich mitbekam uns Hotel und Transport zu sichern. Hilfesuchend sah ich mich um. Die Jungs hatten mich umzingelt, Mr. Honigblond hielt mein Handgelenk fester, als Aussenstehende es dachten und irgendjemand hinter mir hatte mir warnend die Hände auf die Schulter gelegt. Unter seiner Handfläche spürte ich, wie er etwas spitzes an meiner Haut ansetzte, weshalb ich mich so ruhig wie möglich verhalten zu versuchte.
Merkte denn niemand, dass das hier Sangster höchstpersönlich war? Schaute hier niemand die Morgennachrichten oder las Zeitung? Mal ehrlich!

Als wir aus dem riesengroßen Flughafen hinaustraten und vor den unzähligen Autos standen, hupte uns eines auffällig an. Ich verengte die Augen, um die Person in dem schwarzen BMW besser erkennen zu können. Der Typ sah aus wie ein dicker Albaner, doch er könnte genauso aus Sizilien oder Italien stammen. War der von der Mafia? Hatte Sangster schon solche Kontakte?

,,Tommy, ciao! Come va?" rief er, nachdem er vor uns das Fenster heruntergefahren hatte. Aus dem Inneren des Autos schlug mir eine Mischung aus Kaffe- und Tabak-Geruch entgegen. Ich sträubte mich instinktiv dagegen, auch nur einen Fuß in diesen Wagen zu setzen, doch ungefähr zehn Sekunden später wurde ich auf die Rückbank "geschleudert", was dem Wort Schleudertrauma eine neue Bedeutung verlieh. Sangster und seine Freunde stiegen erst ein, als ich mich Sir Blackhair und Gunther Fuchs (Ihr erinnert euch doch noch an meine Gynäkologen?) aufrichteten.

Unser Hotel war in jeder Hinsicht gigantisch, sodass ich mit dem Gedanken spielte, mich öfter entführen zu lassen. Als hätte ich eine Wahl gehabt...
Blumen und Palmen so weit das Auge reichte und ein wunderschöner Rasen, bei dem man keine Kuh zu sein brauchte, um ihn lecker zu finden. Die Wände waren orange gestrichen, sonst bestand fast alles aus Glas, das dem Hotel die luxuriöse Fassade schenkte.
,,Grazie, Marco!" hörte ich Sangster dankend murmeln, dann schlug er die Autotüre so fest zu, dass sich ein paar vorbeigehende Passanten zu uns undrehten. Lag wahrscheinlich daran, dass es in diesem Viertel sonst so ruhig war.
Anscheinend erkannten diese Menschen Sangster auch nicht. Hatten sie wirklich noch nicht in die Nachrichten geschaut, oder interessierte es sie einfach nicht, dass ein sehr, sehr berüchtigter Mörder und Anführer einer "Mafia-Freunde-Gang" aus New York sich in Chicago aufhielt? Nö, anscheinend nicht., meldete sich die Grinsekatze.

Laut meiner früheren Psychiaterin fand ich das Leben einfach manchmal zu langweilig, sodass ich mir etwas buntes in meinen grauen Alltag hineinzauberte.
In diesem Fall tat ich es aus Verzweiflung, weil ich nicht wusste, was mir anderes übrig blieb, außer mich unauffällig durch den zweiten Eingang geknebelt an der Rezeption vorbei zerren zu lassen! Und aus Langweilie.

Sangster und ein zweiter Junge mit schottischen Akzent wollten für uns alle die Zimmer buchen, also mussten wir (beziehungsweise die Jungs; ich war ja nur das Handgepäck) warten. Nevös zupfte ich an meinem Rocksaum. Wie lange konnte ich noch gepackt, gezerrt, verfrachtet, entführt und versteckt werden, bis man mich endlich rettete? Hatte die Polizei vielleicht aufgegeben? Schnell verwarf ich diesen Gedanken. Das durfte die Behörde bestimmt nicht!

Weißt du noch, was der Tisch immer gesagt hat?, lallte der Hutmacher. Offensichtlich hatte er eine Tasse Kamillentee zu viel getrunken. Oder war es der Kuchen?
,,Nichts ist unmöglich? Aber das hast du doch gesagt!" antwortete ich flüsternd.
Willst du damit sagen, ich bin ein Tisch?!, erwiderte er pikiert.
,,Nein, du bist der Hutmacher." verdrehte ich die Augen.

,,Wie?!" fragte mich Murat plötzlich. Ich hatte vergessen, leiser zu sprechen. Innerlich ohrfeigte ich mich gerade. Die restlichen Jungs, die neben uns an der Wand lehnten, oder sich auf das schwarze Sofa gesetzt hatten, kicherten.
,,Dich meine doch gar nicht!" protestierte ich schnell.

,,Ach, und wen dann?" zischte er, weil er sich angegriffen fühlte. Also, Hutmacher genannt zu werden ist doch keine Beleidigung!, schimpfte Alice neben meinem Ohr, sodass es mir schwer fiel, mich zu konzentrieren. Und das, obwohl das meine Hirngespinste waren!
,,Ähm... den Tisch." erklärte ich geistreich, wie ich nunmal war.
Sag ich doch!, meinte der Hutmacher kopfschüttelnd und rührte mit dem Finger in einer leeren Tasse. Ob er merkte, dass kein Tee mehr darin war?

Mit einem Blick zur Rezeption, die so plaziert war, dass ich sie hinter der Ecke gerade noch sehen konnte, stellte ich fest, dass Sangster mit dem Schotten zurückkam. Bei seinem Anblick lösten sich Alice und der Hutmacher mit einem "Puff", das wahrscheinlich nur ich hörte, in Luft auf. Nur die Grinsekatze grinste mich noch etwas länger an. ,,Ladies and Gentlemen, wir haben unsere Zimmer!" verkündete der Kater. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Nein, das konnte nicht sein.
Erst, nachdem Sir Blackhair mich am Arm packte und Murat nach seinem Schlüssel fragte, bemerkte ich, dass Sangster das gewesen war und die Grinsekatze schon längst verschwunden war. Schade!

Gunther Fuchs verteilte die Schlüssel, während Sangster Sir Blackhair beim "Ruby-Mitzerren" ablöste und mit mir in einen Aufzug stieg. Anfangs freute ich mich, dass noch ein Ehepaar und ein Kleinkind einstiegen, und ich so nicht alleine mit dem Typen war, doch dann legte sich meine Freude sofort, bevor wir auch nur im ersten Stock angekommen waren.

Das Ehepaar stritt sich, ob sie nun im dritten oder im vierten Stock untergebracht waren und der kleine Junge konnte so unbemerkt auf mich zu kommen, während ich mir gerade überlegte was von "Hilfe, dieser junge Mann hat mich entführt und bedroht!" und "Das hier ist Mr. Sangster, los rufen sie die Bullen!" besser klang.
Da streckte der kleine Junge mit den blauen Augen seine Hand neugierig aus und griff direkt auf meine Brüste.

Besser konnte dieser Tag auch nicht verlaufen.

Gangsterboy | TBSWhere stories live. Discover now