7 | interessanter Boden

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Ich wachte noch im Auto auf.
Da ich gefesselt und geknebelt war, beschränkte sich meine Blickrichtung auf den grauen Sitz vor mir. In den Actionfilmen versuchten die Agenten immer, sich unbemerkt zu befreien, was auch klappte. In den Filmen.

In Real-Life wackelte ich etwas mit den Händen und meiner Hüfte und hoffte, dass ich das auch schaffte. Vergebens. Stattdessen kicherte jemand leise, vermutlich Sangster, und ich begann zu würgen. Ob es an ihm oder dem Tuch lag wusste ich nicht.
Die Fahrt verlief still. Nach einiger Zeit rauchte jemand neben und vor mir, was einen erneuten Kotzanfall bei mir auslöste.
Als der Wagen plötzlich hielt, kippte ich nach vorne. Dabei fiel mir auf, dass meine Beine nicht zugebunden waren. Vielleicht sollte ich das als Fluchtmöglichkeit werten?

Die Türe neben mir wurde aufgerissen. Einer der Jungen von vorhin griff wortlos nach mir und zerrte mich nach draußen. Er sah kurz Sangster an, als wartete er auf ein Zeichen.
Das sah ich als meine Chance.
Ich trat dem Schwarzhaarigen zwischen die Beine, der sogleich aufkreischte. Erinnerte mich irgendwie an die Opfer aus den Horrorfilmen...

Allerdings hatte ich mein Plan nicht gerade gut durchdacht. Zwei Andere rannten auf mich zu und packten mich. Einer von ihnen richtete eine Waffe auf mich. Der Typ, dem ich die Eier zerqutscht hatte, kam hastig auf mich zu. Er drückte mich brutal zu Boden hatten anscheinend vor, mich am dreckigen Asphalt fortzuschleifen, so wütend wie der aussah. Die anderen Jungs waren Gott sei Dank nicht so aggressiv und hoben mich hoch. Sangster schlenderte wie der entspannteste Mensch auf ein Gebäude, das Kino, zu und setzte seine Sonnenbrille ab.

Er sperrte die Eingangstüre auf und trat mit mir und den Jungs gefolgt ein. Der finstere Gang war mir bereits bekannt, doch das Passwort hatte er geändert, wie ich sah, als er die Zahlen eintippte.
,,Ladies first!" murmelte er, als wir in dem großen Raum standen.

Die drei Jungen schubsten mich hinein. Dann ging die Türe zu. Ich war alleine unter ihnen. Ausgeliefert an den gefährlichsten Jungen dieser Stadt, der meiner Meinung nach keinen Grund hatte, mich am Leben zu lassen. Das hier war das reale Leben.
Gerade stellte ich fest, dass mir die Realität etwas zu realistisch war.

Jemand löste mir das Seil von dem Mund. Aber nicht von den Händen.
Ich wurde grob auf den Beinen gehalten, bis jemand mir regelrecht einen Stuhl unter den Arsch drückte. Meine Beine wurden von einem Klebeband zusammengehalten. Ich hatte Angst, mich zu wehren, aber es machte mich ebenso wahnsinnig, nichts dagegen tun zu können.

,,Lasst uns alleine." befahl Sangster. Seine "Freunde" nickten gehorsam und verschwanden durch eine andere Türe, als aus der wir hier herein gekommen waren.

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ehrlich gesagt hatte ich nicht besonders viele Möglichkeiten, als einfach sitzen und atmen. Hoffentlich konnte ich das mit dem Atmen noch lange. Sangster starrte mich an, wobei mir auffiel, wie interessant der rote Fußboden doch sein konnte. Ein weißer, kuscheliger Teppich würde hier noch gut hineinpassen.

,,Ich möchte hier einige Dinge klarstellen, bevor wir anfangen." begann Sangster.

Der Boden war immer noch interessant.

,,Zuerst : Ich hasse es, wenn Opfer versuchen sich zu wehren. Manchmal finde ich es auch lustig, aber nicht heute. Und deshalb wirst weiterhin brav zuhören und dich kaum bewegen. Verstanden?"

Erst jetzt fiel mir auf, dass der Boden an einer Stelle ein dünkleres rot besaß. Ich hoffte inständig, dass daran der Schatten des Stuhles schuld war.

,,Zweitens : Du wirst sofort getötet, falls du es wirklich schaffen solltest, zu entkommen. Oder wir stecken dich zu den Anderen. Aber glaub mir, da willst du nicht hin."

Wer wohl auf die Idee kam, den Boden rot zu färben? Wie machte man das eigentlich, mit den Böden? Bemalte man die, oder klebte man die einzelnen Teile einfach auf den Asphalt?

,,Und Drittens : Ich rate dir, alle Fragen, die ich dir Stelle, ehrlich zu beantworten."

Ein Klicken ertönte. Nicht das, einer Pistole, sondern etwas Anderes.
Der Boden kam mir noch immer interessanter vor. Auch wenn er ohne Teppich kahl wirkte.

,,Weißt du, was ich mich gerade frage?"

,,Ob der Boden nicht auch so einen kuscheligen, weißen Teppich von Ikea vertragen könnte?" gab ich das Erste, was mir einfiel zurück.

Zu meiner Enttäuschung lachte er nicht. Wobei, dann hätte ich wahrscheinlich noch mehr Angst vor ihm. ,,Wie es sich wohl anfühlen muss, das da im Körper zu haben." Bei das da löste ich meinen Blick widerwillig vom Boden und sah stattdessen, was Sangster meinte. Nun, er meinte ein aufgeklapptes Taschenmesser, das in seiner Hand noch bedrohlicher erschien. ,,Möchtest du das für mich herausfinden?" Jetzt lächelte Sangster. Unter anderen Umständen wäre das eigentlich ein ganz nettes Lächeln gewesen, doch jetzt wünschte ich mir nur, dass ein Ziegelstein in sein Gesicht fiel und ihm sein Lächeln ausradierte.

,,Also eigentlich nicht, nein. Möchte ich nicht." stammelte ich dämlich vor mich hin.

,,Schön. Dann sag mir, was ich wissen will und es kommt nicht in deine Nähe." erklärte er gleichgültig. Also eigentlich, dachte ich, ist ein Meter Abstand schon nahe genug. Das bedeutet, das Messer ist schon in meiner Nähe, du Vollidiot!

Anstatt ihm genau zu erklären, was ich dachte, nickte ich. "Also..." fing Sangster an.

,,...Janson Rattingman hat einen besonderen USB-Stick, wie wahrscheinlich weißt..."

Nein, das weiß ich nicht!, dachte ich verzweifelt.

,,...er trägt ihn immer bei sich und bis jetzt konnten wir den Mann noch nicht ausfindig machen. Du aber, du weißt wo er ist, nicht wahr?" Seine Stimme hatte einen freundlichen Ton angenommen, was offensichtlich aber nicht nett gemeint war.

Nope, Dude, das weiß ich definitiv nicht!

Erst, als er einen Schritt auf mich zu machte und das Messer auf mich zeigte, merkte ich, dass ich etwas sagen sollte. Nur was? Die Antwort auf seine Frage. Tja, nur leider wusste ich die sowas von überhaupt nicht. Von Janson Rattingdings hatte ich noch nie etwas gehört. Würde Sangster mir glauben? Wenn Ja, dann würde er mich vermutlich töten, weil ich für ihn nicht mehr nützlich war. Also musste ich lügen. Und was? Irgendwas, was mir gerade so einfiel.

,,Er ist in einem Hotel." antwortete ich schnell. Sangster blieb stehen. "Wir haben auf jeder Website die Namenliste gehackt und nichts von ihm gefunden." gab er genervt von meiner Lüge zurück.

,,Weil er seinen Namen geändert hat." erklärte ich. Innerlich kaute ich fieberhaft an meinen Nägeln.

,,Wo ist das Hotel?" fragte er.

,,In...Chicago."

Sangster schwieg und starrte mich an. Lange. Für eine halbe Ewigkeit. Der Boden wurde plötzlich so interessant wie noch nie. In Gedanken überlegte ich, was der Boden wohl zu meiner Situation sagen würde. Vielleicht sowas wie ,,Du kannst nicht lügen." Erschrocken fuhr ich hoch. Der scheiß Boden hat mit mir gesprochen! Nein, das musste ich mir nur eingebildet haben...

Oh! Was wenn das Sangster war? Ich musste schnell protestieren, bevor er verdacht schöpfte.

,,Es stimmt aber! Wenn du mir nicht glaubst, kann ich dir nicht weiterhelfen." Zu meiner Überraschung klang ich stur und selbstbewusst. Ha! Der Boden/ Sangster hatte unrecht. Ich hatte es richtig drauf.

,,In Ordnung. Chicago. Welches Hotel und welcher Name?"

Sollte ich wieder lügen? Ich versuchte es mit der Wahrheit.

,,Okay, das ist jetzt unfair!"

Er runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen etwas nach oben.

,,Ich meine, woher soll ich das denn wissen?"

Sangster sah mich wieder normal an und verriet keine Miene, was mir Angst machte und Panik aufkeimen ließ. Er durchbohrte mich praktisch mit seinen Blicken. ,,Gut." Gut? Er machte einen Schritt und stand mit dem Taschenmesser nun direkt vor mir. Nein, definitiv nicht gut.

,,Dann müssen wir wohl nach Chicago fliegen."

Gangsterboy | TBSWhere stories live. Discover now