Kapitel 35: Der Albtraum wendet sich

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Kapitel 35

Langsam öffne ich meine Augen. Wie sollte man sich erholen, wenn einem das Leben dauerhaft ins Gesicht schlug. Ich wusste nicht, wie lange ich wieder geschlafen hatte, aber auch diesmal empfand ich es nicht als erholsam. Wie lange sollte dieses Spiel noch gespielt werden? Wann hatte das endlich ein Ende? Ohne die Augen zu öffnen, rollen mir schon einige Tränen die Wagen hinunter.

„Bist du wach, Sprotte?", höre ich eine vertraute Stimme sagen.
„Ja. Wann hört dieser Schmerz endlich auf, Frieda?"
„Hoffentlich bald, aber vielleicht sogar heute."
Schnell öffne ich meine Augen und schaue sie verdutzt an.
„Wie meinst du das?", will ich genauer wissen.
„Fred steht vor der Tür und würde gerne mit dir reden. Aber nur wenn du möchtest."
„Er braucht heute nicht noch einmal mein Herz heraus zu reißen. Einmal reicht mir vollkommen."
„Was heißt hier noch einmal?", fragt mich Frieda perplex.
„Er war doch schon einmal da!", gebe ich etwas lauter als beabsichtigt von mir.
„Nein, Sprotte. Er hat mich gebeten zu warten bis du wach bist. Er kommt nur herein, wenn du es möchtest."
„Heißt das, ich habe diesen Mist nur geträumt und Fred hat gar keine andere und liebt mich noch?"
„Wie kommst du nur immer auf solche Ideen? Natürlich liebt dich Fred. Und was soll er bitte mit einer anderen? Er hat dir einen Antrag gemacht und keiner anderen."
„Und warum ist er dann ausgezogen?"
„Wenn du die Antwort hören möchtest, schicke ich ihn dir rein, okay?"
„Ja, bitte. Und danke, Frieda. Du bist die Beste!"
„Das Kompliment gebe ich gerne zurück. Ich rufe ihn und warte vor der Tür. Wenn etwas ist, ruf mich einfach."

Mit diesen Worten geht sie aus meinem Zimmer und lässt die Tür einen Spalt offen stehen. Ich höre die beiden vor der Tür miteinander reden, kann aber nichts genaues verstehen. Es dauert noch einige Augenblicke bevor Fred durch die Tür kommt und sie von innen schließt. Er fährt sich nervös mit der linken Hand über den Nacken und die Rechte hat er in der Hosentasche vergraben. Die Haltung liebe ich einfach an ihm. Ich hoffe inständig, dass er mich noch liebt.

„Hey, Oberhuhn. Alles gut bei dir?", stammelt er vor sich hin.
„Hi. Nicht wirklich. Ich liege im Krankenhaus und der Mann, den ich über alles liebe, packt einfach seine Sachen, geht und redet kein Wort mit mir."
Er schaut beschämt auf den Boden. Ich weiß, dass mir das kein Stück weiter hilft, aber ich musste es einfach loswerden. Er muss wissen, dass er mich sehr verletzt hat mit seinem Verhalten.
„Es tut mir so leid. Ich kann dir das erklären.", spricht er weiter und schaut mich erwartungsvoll an. Ich blicke nur zurück und hoffe er erklärt alles.
Es dauert einen weiteren Moment bis er weiter spricht.
„Ich weiß, dass ich ein vollkommen hirnverbannter Idiot bin. Und es tut mir wirklich leid. Ich hätte von Anfang an direkt zu dir kommen sollen und es nicht auf diese Weise machen sollen. Du fragst dich bestimmt, was los ist."
Ich nicke ihm nur zu, damit er sich weiter erklären kann.
„Also. Weißt du. Ja, also. Die Sache ist so. Mann, das ist gar nicht so leicht."
„Fred, atme tief durch und sprich mit mir."
„Ja, ich versuche es. Das ist aber für mich wirklich nicht einfach. Aber ich muss es dir jetzt endlich sagen. Weißt du noch, als du mir sagtest, dass du dir irgendwie gewünscht hättest das du schwanger bist?". Ich nicke ihm zu. Das weiß ich noch ganz genau.
„Ich hab mir natürlich auch meine Gedanken dazu gemacht. Es hätte schon so oft passieren müssen. Wir zwei sind ja auch nicht wirklich die Besten was das Thema Verhütung angeht."

Er grinst mich wieder mit seinem typischen Fredgrinsen an und auch ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Dabei sind wir beiden wirklich nicht gut.

„Aufjedenfall bin ich dann zu meinem Arzt und habe mit ihm darüber gesprochen." Fred schluckt und schaut wieder nervös zu Boden. Es fällt ihm wirklich nicht leicht, mir das zu erzählen. Das merkt man ihm an.
„Er hat ein paar Tests gemacht. Die Ergebnisse habe ich an dem Tag erhalten, an dem ich so spät nach Hause kam und nicht mit dir gesprochen habe. Auch dafür muss ich mich bei dir entschuldigen, Ich hätte dich nicht so anmotzen dürfen. Das tut mir sehr leid."

Die Ergebnisse standen wohl in dem Brief, den ich am Baumhaus an seiner Tasche gesehen habe.
Er nimmt tief Luft und ich sehe, wie seine Augen glasig werden. Er versucht nicht zu weinen. Ich frage mich, ob ich die Geschichte wirklich weiter hören möchte.

„Der Arzt hat herausgefunden...bitte versprich mir eins bevor ich es sage."
„Alles was du möchtest.", sage ich schneller, als mein Kopf darüber nachdenken kann.
„Hass mich bitte nicht. Ich könnte verstehen, wenn du mich verlässt, aber bitte Hass mich nicht."
„Warum sollte ich dich hassen oder sogar verlassen, für ein Ergebnis des Arztes? Dafür kannst du ja nichts."
Er atmet etwas erleichtert aus und spricht dann weiter: „Ich bin zu 95% zeugungsunfähig. Du wirst wahrscheinlich nie Kinder mit mir haben können." Danach bricht er in Tränen aus und steht hilflos an meinem Bett. Ich sitze einen Augenblick regungslos im Bett und lasse die Worte in mich eindringen. Nie Kinder haben können. Genauso schnell wie die Worte bei mir ankommen, springe ich aus dem Bett und gehe zu Fred. Ich stelle mich einfach hinter ihn und Schlinge meine Arme von hinten um seine Taille, während er sich am Fußende des Bettes festhält. Er dreht sich zu mir um und wir stehen einfach dort und halten uns fest. Ohne ein Wort zu sagen. Das ist das einzige was wir beide jetzt brauchen.

Die Worte brennen in meinem Kopf. Ich habe mir immer Kinder gewünscht mit Fred. Aber ihn verlassen, wenn dies nicht klappt? Das wäre nie eine Option für mich. Wir haben schon einiges überstanden und ich weiß, dass ich ihm das nur nochmal klar machen muss. Auch diese Hürde werden wir zusammen meistern! Denn ich liebe ihn.
Ich hebe meinen Kopf und küsse ihn zärtlich, damit er spürt, dass wir zusammen gehören und wir alles schaffen können. Denn weglaufen ist keine Lösung!

Weglaufen kann eine Lösung sein - Muss aber NichtWhere stories live. Discover now