53

4.7K 130 3
                                    

Ein letztes Mal betrachtete ich mich im Spiegel und sah langsam an mir herab. Mein schwarzes, knielanges Kleid, das mir Harry gekauft hatte, saß wie maßgeschneidert an mir. An der Taille besaß es einen breiteren, dunkelgrauen Ledergürtel, das vom schwarzen Stoff selbst abhob.
Harry hatte sich seit dem Tod meiner Mutter sofort um die ganze Beerdigung gekümmert. Mir wäre nicht einmal aufgefallen ihn je schlafen gehen, gesehen zu haben. Er saß Tag und Nacht in seinem Arbeitszimmer und organisierte alles. Lud alle Verwandten ein, kaufte einen teuren, schönen Sarg und mietete ein edles Restaurant für den Leichenschmaus.
Und was tat ich in dieser Zeit? Trauern? Nicht einmal das. Ich saß gelangweilt und regungslos in meinem Bett und starrte in die Leere. Doch eigenartigerweise fühlte ich mich nicht schlecht deswegen. Mir war es eigentlich egal. Immerhin ist Mutter doch schon längst tod, oder nicht? Sollte sie mich anschreien, wie damals, das ich faul sei? Nein. Kann sie ja nicht mehr.
Schweratmend schloss ich für einen kurzen Moment meine Augen und fuhr mit meiner Hand seitlich meine Körperstatur entlang. Der Stoff fühlte sich Seidenmäßig an, obwohl es keine Seide war, denn mein Kleid schimmerte keine bisschen.
Um mich war es still. Ich konnte nichts hören außer das taktvolle Ticken meiner Uhr. Es war halb sechs. Normalerweise würde mich Mutter um diese Uhrzeit zum Abendessen rufen. Doch heute war alles anders.

Auf den Weg nach unten, hörte ich bereits lautes Geplauderer von einer Menschenmenge. Als ich schließlich unten ankam, blickte ich kurz in das Wohnzimmer wo tatsächlich mindestens dreißig Leute standen und saßen und sich miteinander unterhielten. Ich hatte nicht einmal bemerkt, das sie überhaupt das Haus betreten hatten.
Alle waren schwarz formell Gekleidet und hatten ein Glas Champagner in der Hand. War das hier eine Beerdigung oder ein Fest?
Verwirrt machte ich den ersten Schritt in das Wohnzimmer und betrachtete alle noch genauer. Die meisten kannte ich, weil sie entweder zur Verwandtschaft gehörten, oder Arbeitskollegen meiner Mutter waren. Allerdings waren mir ebenfalls drei-vier Gesichter fremd.
„Jasmin!" rief plötzlich eine bekannte Frauenstimme erschrocken meinen Namen auf. „Wie geht es dir?" fragte mich eine ältere Dame, um die Neunzig und kam mit ihrem braunen, hölzernen Gehstock langsam auf mich zu. Sie war meine Urgroßmutter. Sie trug einen langen schwarzen Rock und ein schwarzes Jacket. Ihre weißgefärbten, kurzen Haare sahen aus, als wären sie gerade frisch vom Friseur gekommen und ihre dünne, silberne Brille rutschte ihr noch wie damals immer wieder leicht von der Nase.
„Gut.." flüsterte ich und sah ernst auf sie herab.
„Sowas ist... ist... einfach schrecklich!" schluchzte sie und presste ihre schmalen Lippen die von Falten umgeben waren, aneinander. „Mein Beileid" fügte sie erschüttert noch hinten daran und legte mir eine Hand auf meinen Oberarm.
Nickend stimmte ich ihr schweigsam zu und lies meinen Blick weiter durch den vollen Raum schweifen. Harry stand neben der Bank bei zwei weiteren Männern, die ich nicht kannte und Nora bei Dylan und Christian, die beide einen schwarzen Anzug trugen. Selbst Dylan, der Anzüge normalerweise hasste, hatte einen an.
„Wenn du mich entschuldigst?" sprach ich zu Großmutter und deutete kurz auf Nora. Geradewegs steuerte ich auf die drei zu. Sie waren auch die einzigen in meinen Alter hier.
„Hey" begrüßte mich Christian und schenkte mir ein bemitleidendes Lächeln. Währenddessen standen Dylan und Nora einfach nur da und sahen mich mit großen Augen an. Ich spürte wie sie bloß auf den Moment warteten, das ich in Tränen zusammen breche und ihnen mein Herz ausschüttere, allerdings rührte sich nichts in mir. Ich hatte weder ein Bedürfnis alles heraus zu lassen, noch einen Drang wieder die alte Jasmin zu werden.
"Ist der gut?" fragte ich alle drei und schnappte mir die noch volle Champagnerflasche vom kniegroßen Tisch, neben uns.
„Ja" antwortete Dylan sofort und nahm ein frisches Glas vom Regal, hinter sich, doch bis er mir überhaupt das Glas überreichen konnte, nuckelte ich auch schon an der Flasche und exte die Hälfte auf einmal.
„Verdammt tut das gut!" jubelte ich laut auf und wischte mir das Nasse mit dem Handrücken von meinem Kinn. Erschrocken sahen mich meine Tante und mein Onkel, die gleich neben uns standen an und musterten mit Tränen in den Augen meine Statur. Doch ich ignorierte ihre Blicke so gut ich konnte.
„Tu das nicht" zischte Dylan sauer und riss mir die Champagnerflasche aus der Hand.
„Bist du jetzt mein Babysitter, oder was?" knurrte ich mit Falten auf der Stirn und ergatterte mir die Flasche wieder zurück.
„Nein. Aber schließlich beerdigen wir deine Mutter auch nicht jeden Tag!" rutschte es plötzlich lauthals aus ihm heraus und versuchte erneut nach der Flasche zu greifen, doch bevor er sie auch nur berühren konnte, schmiss ich sie wütend mit all meiner Kraft auf den Boden, sodass sie in tausend Stücke zerbrach und der restliche Champagner darin nun am Boden herum floss.
„Jasmin!" kreischte Nora erschrocken auf und schlug sich reflexartig die Hände vor den Mund.
Die ganze Aufmerksamkeit lag nun bei uns.
„Du bist so ein Arschloch!" brüllte ich aus mir heraus und rannte so schnell ich konnte durch die Menge, Richtung Küche und nahm den erstbesten Alkohol, den ich finden konnte in die Hand und setzte auch schon meine Lippen an die Öffnung, um die Flüssigkeit in meinen Körper zu leeren.
„Was ist passiert?" hörte ich auch schon Harrys besorgte Stimme hinter mir. Mit einer gehobenen Augenbraue drehte ich mich um und stützte mich dabei an der Thekeninsel in der Mitte ab.
„Dei Sohn izt ein arschiger Arsch!" lallte ich langsam schon vor mich hin.
„Leg bitte die Vodkaflasche weg" bat er mich ruhig und kam vorsichtig einen Schritt näher auf mich zu.
Verwirrt sah ich auf meine Hand herab und bemerkte, das ich gerade puren Vodka wie Wasser in mich hinein geschüttet hatte. Leicht grinsend klatschte ich die Flasche auf die Theke, das einen lauten Pumperer erzeugte und stieß anschließend einmal kurz auf.
„Du bist wie sie" sprach er aus dem Nichts zu mir und kam einen weiteren Schritt auf mich zu, das er ca. nur noch ein Meter von mir entfernt war. „Deine Augen" Mit feuchten, rötlichen Augen sah er mich tiefgründig an. „Und deine feinen Haare" Langsam streckte er seinen Arm aus und nahm meine Spitzen zwischen seine Finger. „Alles wie sie es hatte"
Schielend sah ich auf seine Finger herab und zuckte bloß mit den Schultern. Ich hatte nie äußerliche Gemeinsamkeiten mit meiner Mutter gefunden.
„Du hast so schöne Lippen, Olivia" stöhnte er krächzend auf und packte auf einmal meinen Hinterkopf, um meine Lippen an seine befeuchteten zu pressen. Mit aufgerissenen Augen versuchte ich mich von ihm los zu reißen, doch sein nüchterner Griff an meinen betrunkenen Körper war zu stark.

Rote Unterwäscheजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें