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Es war bereits Abend. Die Ärzte schnippelten bereits den ganzen Tag an ihren sowieso bereits so schwachen Körper herum. Schafften sie es nicht ihren Job zu erledigen und sie zu retten?
„Iss was" sprach Dylan plötzlich zu mir und hockte sich mit einem Muffin in der Hand vor mich. Kopfschüttelnd lehnte ich ab. Mein Magen verspürte keinen Hunger.
„Ein Hungerstreik hilft deiner Mutter auch nicht" versuchte er mich weiter zu überreden und hielt mir den Muffin knapp unter die Nase, das ich den Schokoladengeruch roch. Allerdings wurde mir nur übel davon. Jähzornig nahm ich ihn in die Hand und schmiss ihn anschließend auf die Seite, auf den Boden.
Zornig sah mich Dylan an. Mir war bewusst, dass das nicht ganz nett von mir war, doch ich hatte besseres zu tun, als mich zu zwingen zu essen.
Mit einem tiefen ein- und ausatmen setzte er sich neben mich und sah mich an.
„Hör auf damit" murmelte ich und richtete meinen Blick geradeaus.
„Mit was denn?" fragte er mich mit einem leichten Lächeln. Ich wusste das er mich bloß aufmuntern wollte, allerdings war mir das bereits zu viel.
„Denkst du ich bin gut aufgelegt?" schrie ich aufeinmal laut los, das Dylan mich einfach bloß geschockt ansah. Nun hatte ich die ganze Aufmerksamkeit von jeden hier. Harry saß auf der Wartebank zusammen mit Mary, währenddessen die Eltern von ihr neben dem Kaffeeautomaten standen.
Mich überraschte mein gereiztes Temperament selbst. Still sahen wir uns beide an. Er schien nicht sauer auf mich zu sein, sondern eher Mitleid mit mir zu haben.
„Gut so!" rief er plötzlich auch lauter. „Schrei mich nochmal an!"
Irritiert musterte ich sein Gesicht. Und er meinte es tatsächlich ernst.
„Lass deinen Schmerz heraus" ermutigte er mich weiter.
„Nein" weigerte ich mich und verschränkte stur meine Arme. „Mum ist noch nicht tot. Doch ihr tut alle so!" knurrte ich, das Dylan verblüffte. „Es gibt noch keinen Schmerz zu empfinden!" belog ich mich selbst. Ich wollte nicht schreien, doch ich musste. Doch nicht weil es Dylan vorschlug, sondern weil ich mittlerweile Wut gegen alle hier bildete.
„Jeder starrt wie eine Leiche seit Stunden in die Luft, als hättet ihr alle Hoffnungen verloren, das sie es überleben könnte!" hielt ich allen vor. „Noch lebt sie! Und sie hat es nicht verdient, währenddessen sie noch auf der Erde weilt, das ihr alle an ihre verdammte Beerdigung oder sonst was denkt!" Zornestränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln, die entkommen wollten. Doch ich stoppte sie noch rechtzeitig, indem ich sie mit meinen Fingern weg wischte.
Dylan hatte längst den Augenkontakt mit mir abgebrochen. Leicht nickend sah er auf seine Hände.

Gleich nachdem ich dies aussprach, öffneten sich auch schon die Metalltüren, wo zwei Ärzte hinaus kamen:„Mr. Hockman?" fragte der ältere mit einer etwas betrübten Stimmlage nach Harry.
Neugierig sprangen wir alle auf.
„Ich bin Dr. Phillips und das hier ist mein Kollege Dr. Morris. Wir haben ihre Geliebte Ms. Grieben operiert" stellte er sich vor und reichte Harry mit einem bemitleidenden Lächeln die Hand. Nun war ich ganz Ohr. Ich spürte wie mein Atem schneller wurde und mein Körper zum Zittern begann.
„Geht es ihr gut?" fragte ich eifrig und stürmte zu ihnen hin.
Beide Ärzte sahen sich skeptisch an und pressten ihre Lippen aneinander.
„Anfangs waren wir guter Hoffnung,.. doch-"
„Nein!" schrie Harry Dr. Phillips ins Wort.
„-Sie hatte zu starke Wunden. Es tut mir leid Mr. Hockman. Sie hat es nicht geschafft" vollendete er mit einer angeschlagenen Tonlage den Satz.
Schockiert schüttelte ich Still den Kopf. Ich fühlte mich von einer Sekunde uf die andere von allen guten Geistern verlassen. Als würde man mir den Boden unter den Füßen weg reißen. Ich konnte nicht glauben was ich da hörte. Ich fühlte mich so dumm. Gerade eben hatte ich noch von etwas Leben gefaselt und in Wirklichkeit war sie schon längst tot. Ich spürte wie mir übel wurde.
Sofort rannte ich zu dem silbernen Metallkübel und kotzte in die Dunkelheit hinein. Hustend umklammerte ich fest die Tonne, als wäre sie mein Eigentum.
Ich spürte wie mir dabei meine offenen Haare von einer Person nach hinten geklemmt wurden. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich auf und blickte direkt in Marys Gesicht. „Mein Beileid" flüsterte sie betrübt und reichte mir ein Taschentuch, das ich mit einem dankbaren Nicken annahm. Mit brennenden Augen wischte ich mir den Mund ab. Ich fühlte mich, als ob mir jemand tausend Mal in dieselbe Wunde, mit einem scharfen Messer hinein stechen würde. Innerlich flehte ich voller Qual, das der Schmerz aufhören solle, soch äußerlich schien ich noch okay. Ich drohte zu ertrinken, ohne das es jemand bemerkte.
„Ich kann jetzt leider nicht die Standartmoralprädigt halten, das ich weiß was du gerade fühlst. Denn das tu ich nicht" sprach Mary mit einer freundlichen Stimme. Doch es war nicht die gleiche nervende Tonlage wie sonst, sondern eine angenehmere. Ihr Satz überraschte mich. Ins Positive. Normalerweise laberten die Menschen immer das sie wissen was ein Mensch, der gerade eine wichtige Person im Leben verloren hat, sich fühlt. Und in Wirklichkeit wissen sie nichts über Trauer.
„Doch eines sollst du wissen" fuhr sie fort. „Selbst wenn ich noch nie eine Person in meinem Leben verloren habe, bin ich eine gute Partnerin fürs Zuhören"
Nach diesem Satz schenkte sie mir noch ein letztes schüchternes Lächeln und machte sich wieder auf den Weg zu ihren Eltern, die gerade Harry trösteten. Er war am Boden zerstört. Wie ich. Doch ich konnte meine Gefühle nicht so offen wie er zeigen. Vielleicht lag es daran, das die Hälfte meiner Gefühle nachdem Tod meines Vater bereits abgestorben waren.

„Fuck. Das tut mir alles so leid!" zischte Dylan hervor, der geradewegs auf mich zu kam. Er sah fertig aus. Das Funkeln in seinen Augen war erloschen.
„Du kannst doch nichts dafür" tuschelte ich und wandte den Blick von ihm ab.
Nickend schnappte er meine Hände und legte sie sanft auf seiner wärmenden Brust ab.
„Du bist eiskalt" stellte er fest und kam einen weiteren Schritt näher an mich, das sich unsere Körper berührten. Er versuchte mich zu wärmen, doch das funktionierte nicht. Mir war nicht von außen kalt, sondern von innen. Als hätte man die Wärme meine Bluts ausgeschalten.
„Die Ärzte sagten, das man Olivia nochmals sehen kann, wenn man möchte" teilte er mir mit und hob mein Kinn mit seinen Fingerspitzen an, das ich gezwungen war in seine Augen zu sehen.
„Aber nur wenn du bereit dafür bist" hang er hinten daran und hob seine Augenbrauen an. „Harry sagte, das er es nicht schaffen würde"
„Ich möchte" flüsterte ich heiser und sah einen kurzen Blick zu Harry, der bereits zerstört am Boden saß und sein Gesicht in seinen Händen vergrub.

Rote UnterwäscheWhere stories live. Discover now