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Nach einem anstrengenden Arbeitstag lies ich mich wieder in mein Auto plumpsen und fuhr mir mit meiner Handfläche über mein Gesicht. Es war bereits dunkel geworden, doch die Luft war noch von der Sonne aufgewärmt.
Als ich gerade meinen Motor startete kam auch schon das nächste Ereignis.
Aus dem Nichts klopfte Harry auf einmal an meine Fensterscheibe, das mich zum Aufkreischen brachte.
Außer Atem saß ich da und starte Harry in sein Gesicht. Als ich mich wieder beruhigt hatte kurbelte ich mein Fenster hinunter und sah ihn dadurch etwas besser.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken" entschuldigte er sich erneut und stemmte seine Hände am offenen Fenster ab.
„Alles gut" versicherte ich ihm und hob fragend eine Augenbraue.
„Ich wollte dich noch etwas fragen, doch dann warst du so schnell weg" lachte er und fuhr sich kurz durch seine Haare. „Ich weiß, dass das Essen gestern nicht unbedingt das beste war, deshalb möchte ich dich noch einmal einladen"
Geschockt saß ich da und schluckte kräftig. All dieses Drama noch einmal? Ich war froh, als dieser Abend endlich zu Ende war. „I-Ich weiß nicht recht" murmelte ich schüchtern und versuchte diesen Blickkontakt zu unterbrechen, denn es war mir einwenig unangenehm. Ich mochte Harry zwar, doch das er auf einmal aus dem Nichts an meinem Auto stand, war etwas zu viel für mich.
„Ich meine ein Essen ohne Dylan und Christian" verbesserte er schnell seinen Vorschlag, das mich überraschte. „Immerhin bin ich dein Stiefvater" lachte er und diese Aussage erinnerte mich sofort an meine, als ich mit Dylan in der Schule sprach. „Ich habe mit deiner Mutter darüber schon geredet, und sie findet diesen Vorschlag gut" versuchte er mich weiterhin zu überreden.
„Also-" begann ich zu stottern, doch Harry unterbrach mich schnell.
„-Du musst nicht. Es war nur so eine Idee"
Kopfschüttelnd lächelte ich leicht. Ich hatte keine Ahnung ob man mein Gesicht überhaupt sehen konnte, doch als Harrys Gesicht mein Lächeln erwiderte war ich mir etwas sicherer.
„Warum nicht" sagte ich zu diesem Essen zu. Ich wusste nicht einmal, warum ich solange gezögert hatte. Harry war mein Stiefvater und überaus freundlich zu mir. Er hatte keine Abweisung verdient. Ich merkte doch wie er sich bemühte diese schräge Familie gerade zu biegen.
„Okay" antwortete er begeistert und klopfte leicht auf das Blech vom Auto. „Ich hol dich morgen um sechs ab"
Langsam verschwand er im Dunkeln und ich kurbelte meine Fensterscheibe wieder nach oben.

Auf den Weg nach Hause fiel mir etwas merkwürdiges am Straßenrand auf. Ich hörte ein lautes Kreischen und Schluchzen und konnte eine weibliche Gestalt erkennen.
Langsam fuhr ich mit dem Auto zum Straßenrand und parkte dort. Als ich ausstieg und näher zu dieser Person hin ging erkannte ich auch schon wer dieses weinende Mädchen war. Diese roten Haare stachen in meine Augen. Was machte sie hier?
„Nora?" Fragte ich aufgeregt und legte eine Hand auf ihre Schulter. Verweint sah sie mich an und begann nur noch mehr zu weinen. „Was ist passiert?"
Ich merkte das sie fast keine Luft bekam, denn sie wedelte nervös mit ihren Arm in der Luft herum. „I-Ich bin Schuld!" Keuchte sie laut.
Ich verstand in diesem Moment gar nichts. Kopfschüttelnd wischte ich ihr die fetten Tränen von den roten Wangen.
„Ich wollte das alles gar nicht!" Versuchte sie sich zu verteidigen, doch ich wusste nicht einmal noch, über was sie sprach.
„An was bist du Schuld?" Fragte ich sie und kam einen weiteren Schritt auf sie zu.
„Ich hätte es wissen müssen" anstatt mir zu erzählen was geschehen ist, sprach sie weiterhin mit sich selbst.
„Nora!" Brüllte ich sie nun schon an und begann sie zu rütteln, damit sie wieder halbwegs in Vernunft kam.
Kurz atmetet sie tief durch und schloss kurz ihre Augen. „I-Ich hab dir bei der Party n-nicht alles erzählt" beichtete sie und lies schlapp ihren Kopf hängen.
„Wusste ichs doch" schnaufte ich und hob mit meinen Finger ihr Kinn an. Nora weinte nie, wenn ein One-Night-Stand nicht funktionierte, warum also dieses eine mal schon?
„Was hast du getan?" Fragte ich mit einem misstrauischen Ton.
„Bitte halte mich für kein Monster" bat sie mich. Von Sekunde zu Sekunde wurde sie immer schüchterner und weniger Nora. „Ich musste es tun!" Schrie sie erneut auf, das mich erschreckte.
„Als ich bei diesem Simon war, hatte uns nicht seine Freundin erwischt..." rückte sie endlich mit der Sprache heraus. „Dieser Typ ist ein scheiß Psychopath!" Brüllte sie erneut. Obwohl ich mehr wusste als zuvor, war ich immer noch verwirrt.
„Wir hatten auch Sex... Als w-wir fertig waren und ich gehen wollte, kam er nicht damit klar" Tränen kullerten weiterhin ihr Gesicht hinab.
„Er hielt mich Anfangs nur fest, doch dann versuchte er mich wieder auf sein Bett zu zerren.." Ihre Stimme wurde immer brüchiger und Schiefer.
Geschockt stand ich da und wusste nicht was ich tun, oder sagen sollte. „H-Hat er dich„ kurz räusperte ich mich bevor ich zu Ende sprach -„v-vergewaltigt?"
„Nein" zischte sie hastig und zappelte am Platz umher. „Doch hätte ich es nicht getan, schon"
Und schon wieder waren wir bei dem Thema, das sie etwas getan hatte, was man nicht dürfte. Mittlerweile begann ich ebenfalls schon wegen der Nervosität zu zittern.
„Was hast du denn gemacht?" Dieses mal versuchte ich es noch zärtlicher auszudrücken, als vorhin.
„E-Er legte sich auf mich darauf, dass ich mich nicht viel währen konnte, d-doch am Nachttisch lag eine Schere und..." nun zerbrach sie komplett in sich ein. Fassungslos und aufgelöst verlor sie ihr Gleichgewicht und lies sich auf den harten Gehsteig fallen. Mittlerweile konnte ich mir zusammen rätseln was sie getan hatte, und es war schrecklich dies mit anzuhören, doch es war Notwehr. Sie konnte nichts dafür. Aber Nora? Nora eine Mörderin? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
„Nora" seufzte ich ebenfalls schon mit Tränen in den Augen und setzte mich neben sie auf den Boden.
„Simon ist tot!" Krächzte sie mucksmäuschenstill und versteckte ihr Gesicht in meinem Genick. Ich konnte die Feuchtigkeit, dank ihren Tränen an meiner Haut spüren.
„Was ist mit seiner Leiche?" Schoss es frech und neugierig aus mir heraus, doch zum Glück sah sie diese Frage als Routine.
„Er liegt noch in seiner Wohnung" murmelte sie in meinen Hals, das ihre Stimme abdämpfte.
„Wir müssen zur Polizei" schlug ich vor und schob sie einwenig von mir weg.
Mit aufgerissenen Augen schüttelte sie panisch den Kopf und kroch einwenig von mir weg. „Niemals! Ich will nicht in den Knast!"
Mit zusammengebissenen Zähnen starrte ich verkrampft an Nora vorbei, in die Ferne und überelgte. Würden wir es nicht tun, wären wir nun beide Kriminelle Personen. Die Polizei wird doch sicher verstehen, das Nora nicht vergewaltigt werden wollte. Sie war doch noch so jung und zart. Wie hätte sie diesen Jungen von sich hinunter stoßen sollen?
„Vielleicht kommst du mit Sozialarbeiten davon" versuchte ich sie weiterhin zu überreden, den ohne professionelle Hilfe funktioniert das alles garantiert nicht.
„Das steht das für immer in meinen Akten" wehrte sie sich weiterhin stur, allerdings wurde ihre Stimmer wieder fester und überzeugender.
„Du bist verrückt!" brüllte ich nun schon in die Stille vor Wut und Aufregung. Wieso verstand sie nicht, das es eines Tages so und so jemand heraus bekommen würde. Wir leben nicht mehr im Zeitalter, wo man so einen Mord nicht auflösen könnte. Simons Leiche wird eines Tages zum stinken beginnen und seine Nachbarn riechen dies doch. Und seine Freunde und Verwandten werden ihn auch eines Tages als vermisst melden. So unbeliebt sah er auf der Party nicht aus.
„Bitte nicht.." schluchzte Nora erneut und verlor einen weiteren Schub von ihren Tränen in den Augen.
Mit einem plötzlichen kriminellen Denken atmete ich tief durch. Ich wollte doch bloß Nora verteidigen und beschützen. Sie war meine beste Freundin und wollte sie nicht verlieren. Mindesten in einer Woche wäre ich selbst zu ihr gegangen, hätte sie mir bis dahin nicht von alleine erzählt, was sie getan hatte.
„Führ mich zu seiner Wohnung" schoss es mit einem mitfühlenden Ton aus mir.
Geschockt sah sie mich auf einmal an und riss verwundert die Augen auf. „Was hast du vor, Jasmin?" fragte sie mich misstrauisch, allerdings finde ich, hatte sie kein recht nun über mich schlecht zu denken. Immerhin versuchte ich ihre Hände, die mit fremden Blut übergossen waren, zu retten.
„Vertraust du mir?" fragte ich sie zu erst, bevor ich aufstand und mich mit einem schweren Atem aufrecht hin stellte.
Nickend sah sie zu mir auf und stand ebenfalls wackelig auf, das wir auf Augenhöhe waren. „E-Er wohnt 'Silentstreet' 13, im 2. Stock, die rechte Tür"
antwortete sie mir stotternd. „Wirst du mir jetzt verraten was du vor hast?" fragte sie mich noch einmal und nahm meine Hand, die eiskalt war, in ihre.
„Ich-"
-Mit einem lauten Ton raste auf einmal ein schwarzes Auto an und vorbei, das mich ohne Ende erschrak. Mit einem kurzen Schrei sprangen wir beide auf die Seite und starrten das schnelle Auto hinterher.
„Arsch!" schrie Nora wütend und richtete sich mit Zornesfalten ihr Shirt zurecht.

Rote UnterwäscheWhere stories live. Discover now