„Runter damit", lachte sie.

Der Sauerstoff in meinem Zimmer schien plötzlich viel weniger geworden zu sein. Es war so schön, sie nach diesem Gespräch wieder lachen zu sehen. Sie war so schön. Aber ich machte mir Sorgen. „Ally...", murmelte ich. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. Was sollte ich verdammt noch mal tun? Wie konnte ich sie glücklich machen? Ich wollte ihr Lächeln einfangen, es für immer in ihrem Gesicht verankern. War ich dazu in der Lage? War ich genug?

„Es geht mir gut, okay, Hunter?" Ich wusste nicht, ob ich ihr das glauben durfte. Aber sie sah mich aus ihren blauen Augen so liebevoll und zugleich so verführerisch an, dass ich im nächsten Moment vergaß, wie mein Gehirn funktionierte.

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„Dad? Kann ich mit dir reden?", fragte ich. Es war kurz nach Mitternacht und Ally schlief bereits in meinem Bett, aber meine Gedanken waren zu aufgewühlt, um noch länger liegen zu bleiben. Wie eine Gewitterwolke hingen die Fragen über mir und donnerten auf mich herab.

„Was gibt's, Ben?" Er stand am Küchentisch und schrieb irgendwas in sein Notizbuch – vermutlich Einkäufe, die erledigt werden mussten, oder Ideen für neue Backrezepte. Er war ein Meister in seinem Gebiet und er liebte seine Arbeit viel zu sehr, um jemals deswegen zu jammern.

„Wieso hast du mir nie gesagt, dass du einen Bruder hattest?" Es war viel leichter, mit ihm über seine Vergangenheit zu reden als mit Ally. Wir gingen schon immer sehr direkt miteinander um. Weshalb mich seine Verschlossenheit zu diesem Thema noch mehr wunderte.

Er seufzte, fuhr sich durch sein allmählich grau werdendes Haar und mir wurde plötzlich bewusst, dass er älter war, als ich immer dachte und auf seinem Gesicht zeichneten sich viel mehr Falten ab, als ich für gewöhnlich sah. „Ich rede nicht gern darüber."

„Wieso tust du das dann heute, während du dich mit einer Halbfremden unterhältst?" Ich hörte die Wut in meinen Worten mehr als ich sie fühlte. Irgendwie war mir mehr nach Weinen zumute, aber ich schluckte das ungute Gefühl hinunter. Dieser Tag war einfach so viel gewesen. Aufwühlend. Ermüdend. Und ich machte mir Sorgen. Um Ally und um meinen Vater. Zudem fühlte ich mich nutzlos. Ich wollte diesen Menschen, die mir so verdammt wichtig waren, helfen – aber wie?

„Es tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht, wie du dich dabei fühlst", gab er zu, bevor er gestand, dass er das gleiche Motiv wie ich selbst hatte. „Ich wollte Ally nur helfen."

„Helfen?" Jetzt war ich kurz davor, ihn anzuschreien. „Wie soll es ihr bitte helfen, eine Geschichte über den verstorbenen Bruder eines fremden Mannes zu hören?" Von dem ich selbst nichts wusste.

„Ich wollte ihr Vertrauen erwidern. Ich wollte, dass sie sich verstanden fühlt. Dass sie weiß, dass sie nicht allein ist und auch mit uns reden kann, wenn sie möchte." Er klang ganz ruhig und stützte sich mit dem Arm am Küchentisch ab, während ich verloren im Raum stand. „Hör zu, Ben. Es tut mir leid, wenn ich sie in eine unangenehme Lage gebracht hab. Aber ich hab ihr angesehen, welchem Druck sie standhalten muss. Das war bei mir nicht anders."

„Aber du..." Ich verstummte. Mir gingen die Worte aus.

„Sei einfach für sie da. Sie braucht es, so wie ich zu der Zeit deine Mutter gebraucht hab."

Ich atmete schwer. Wieso durchschaute mein Vater Ally so viel besser als ich selbst? War seine Jugend wirklich mit der von Ally vergleichbar? Und wie sollte man jemandem beistehen, der alle Türen zu seinen Problemen verschloss? Jemandem, der einem versicherte, dass diese Probleme nicht bedeutend waren?

Es hatte keinen Sinn. Mein Kopf rauchte und doch würde ich so auf keinen grünen Zweig kommen. Ich fühlte mich völlig ausgelaugt. Aber in diesem Moment schien mir Schlafen so unvorstellbar schwer, dass ich mich nicht vom Fleck rührte.

„Wie war dein Bruder denn so?", fragte ich Dad schließlich. Endlich war auch ich um einiges ruhiger. Ich würde mit meinen Gedanken in dieser Nacht ohnehin nicht mehr vorwärts vorkommen. Alles, was ich sah, war eine Sackgasse. Aber ich wollte mehr über den Mann wissen, der mich großgezogen hatte.

„Setz dich. Ich mach uns Tee", forderte Dad mich auf und die Lachfalten in seinem Gesicht tanzten. Ich wusste, wir würden noch länger hier sitzen und ich fühlte mich wieder, als wäre ich dreizehn und das eine Mädchen aus meiner Klasse, Shelby Grinsh, hätte mir erneut das Herz gebrochen. Damals war ich auch mit Dad hier gesessen und er hatte sie als Shelby Grinch beschimpft.

Heute, jetzt, nahm Dad neben mir Platz und erzählte mir von Eric. Dem Helden. Dem einfühlsamen, charismatischen Kerl, dem alles leicht fiel. Dem Traum jeder Mutter. Dem besten großen Bruder, den man haben konnte.

Und von seinem Tod und dem Loch, das er in das Leben meines Vaters gerissen hatte. Seine ganze Jugend lang war er wie verrückt davon besessen, es für sich und für die anderen zu stopfen – ohne zu bemerken, dass er sich dadurch selbst nur noch mehr zerriss.

Doch letztendlich stoppte er die Erzählung mit dem Sprichwort: „Die Zeit heilt alle Wunden." Ich fand es irgendwie abgedroschen, aber ein klein wenig Optimismus keimte in mir auf. Es würde sich schon alles einrenken.

„Danke, Dad."

Es war kurz vor zwei Uhr morgens und wir beide schwiegen nun schon eine Weile.

Er nickte bloß und murrte dann: „Morgen werde ich dich dafür verfluchen, dass wir so lang wach waren." Gähnend schlurfte er in die Küche und räumte unsere Teetassen weg. „Aber jetzt mal gute Nacht."

„Schlaf gut."

Für mich war er ein Held, auch wenn er es selbst nicht sah. 

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Und mal wieder ist mir bewusst geworden, wie gern ich mich in Nebenhandlungen und Details verzettele... xD PzF ist jetzt 45988 Wörter lang, hat 31 Kapitel und ich hab noch eeeeeeeeeiniges in Planung, das ich irgendwie zusammenquetschen und unter den Handlungshut (existiert dieses Wort? Egal.) schieben möchte. Trotzdem kommen wir der Sache schon etwas näher xD

Meinungen werden natürlich immer gern gelesen! <3

~KnownAsTheUnknown

Pistazieneis zum FrühstückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt