~Zweiundvierzig~

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Die Wachposten vor der Villa entdeckten sie sehr schnell. Einer stürmte ins Haus, der Rest nahm sie vorerst in Gewahrsam. Felicita konnte nicht mehr. Ihre Beine schmerzten und ihr Kopf dröhnte ununterbrochen. Allmählich übermannte sie die Müdigkeit, die sie in den letzten Tagen verdrängt hatte. Als sie die Stufen zur Tür hinaufstieg, schwankte sie gefährlich und suchte an dem Geländer Halt.

Rasch brachten die Männer sie in die Villa, in ein Zimmer im Erdgeschoss, wo sie warten sollte. Erschöpft fiel sie auf den einzigen Stuhl, der vor einem leeren Schreibtisch stand. Die Vorhänge waren zugezogen und nur die Deckenlampe spendete Licht. Sie fühlte sich fremd und dieses Gefühl gab ihr paradoxerweise ein gewohntes Gefühl. Immerhin fühlte sie sich hier nie heimisch, also alles wie gewohnt.

Eine Übelkeit machte sich in ihrem Magen breit und gleichzeitig sprang die Tür auf. Remi trat herein, setzte ein gefälliges Grinsen auf. Er trug einen feinen Anzug mit passender Krawatte. In einer Zeit, in der die Menschen auf offener Straße von der Regierung umgebracht wurden. Galle stieg ihren Hals hinauf und der säuerliche Geschmack war unerträglich.

„Felicita", begrüßte er sie fröhlich und deutete eine Umarmung an, die er natürlich niemals umgesetzt hätte. „Wie erfreulich, dass es dir gut geht. Wenn du schon einmal hier bist, möchtest du doch sicherlich erfahren, wie es deinem Vater ergangen ist, nicht wahr?"

Eigentlich konnte er sich diese aufgesetzte Freundlichkeit sparen, dachte sie zynisch und schnaubte abwertend. Es interessierte sie allerdings schon ein wenig, ob ihr Vater dem Tod erlegen ist oder seine Verletzungen überlebt hatte. Also blieb sie still und hielt den Blicken Remis Stand.

„Zu unserer Überraschung, hat sich mein Bruder wieder unter die Lebenden gemischt. Ich meine, er sieht lange nicht mehr so gut aus wie vor einigen Jahren, aber was will man nach einem Koma erwarten? Jedenfalls ist er fern ab der Stadt, in einem Krankenhaus an der Südküste. Das bedeutet, ich habe hier das Sagen, Kleine und du tätest gut daran, dein Verhalten dementsprechend anzupassen."

„Alle Männer befolgen deine Befehle?", hinterfragte Felicita skeptisch.

„Selbstverständlich", kam als Antwort, gemischt mit einem Geräusch, das einem Knurren ähnelte. Plötzlich klopfte es an die Tür. Remi wandte sich genervt von dem Mädchen ab. „Was ist? Ich dachte, ich hatte mich klar ausgedrückt. Keine Störungen!"

Dennoch öffnete er selbst die Tür. Erschrocken rutschte sie vom Stuhl und rannte beinahe um den Schreibtisch, der ihr Schutz bieten sollte. Alles hätte sie erwartet, bloß ihn nicht. Ihr Herz erwachte aus dem Halbschlaf, in dem sie sich seit Stunden befand und raste aufgeregt in ihrer Brust. Wieso war Luciano in der Villa ihres Vaters?

Auch der junge Mann wirkte überrumpelt. Zwei Wachen begleiteten ihn in das Zimmer und trotzdem zeigte er keine Anzeichen von Furcht. Als wollte er hierher kommen. Sein Blick traf ihren und eine Gänsehaust überzog ihren Körper. Felicitas Finger bohrten sich in den Lack des Tisches. Sie wollte ihn nicht sehen und schon gar nicht mit ihm reden.

„Wieso ...", Luciano konnte nicht einmal einen vollständigen Satz herausbringen. Seine Augen waren weit aufgerissen und er kam schnellen Schrittes auf sie zu, bis Remi sich ihm in den Weg stellte. „Remi, warum ist sie hier?"

„Weil sie Familie ist", erwiderte dieser trocken. „Das hat nichts mit dir zu tun."

„Doch!"

„Bitte, wie du willst, aber heute kannst du leider nicht mit ihr sprechen. Wir haben noch einiges zu klären und ich kann und will dich nicht hier haben", Remi kratzte sich am Kinn, ehe ihm etwas einfiel. „Einen Moment. Du bist nicht wegen ihr gekommen. Was führt dich zu mir?"

Blank DreamWhere stories live. Discover now