~Neununddreißig~

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Ein Schwall aus roter, warmer Flüssigkeit spritzte ihm entgegen, besudelte seinen nackten Oberkörper. Übersäht mit Kratzern und frischen Wunden neigte er seinen Kopf, blickte auf den Mann unter sich. Ihm fehlte ein Arm. Abgerissen. Ein hämisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Blonden aus, dessen Hand die Kehle des Sterbenden umschloss. Nur einmal zudrücken, dann wäre es vorbei. Aber es so schnell enden zu lassen, erschien ihm langweilig. Lieber bohrte er seine Faust in den blutigen Stumpf und riss sich seine eigene Haut an dem geborstenen Knochen auf. Der Schmerz, er war nicht länger existent und so machte er weiter. Immer weiter, bis der Mensch unter ihm elendig dem Leben absagte. Seine Augenlider flackerten, dann verdrehte er die Augen und seine Brust hob sich zum letzten Mal.

Gians warmer Atem zeichnete sich in dünnen, kaum sichtbaren Schlieren in der Luft ab. Den Blick starr auf den Leichnam unter sich gerichtet, verharrte er so eine Weile. Er wartete, bis auch der letzte Tropfen Blut den Körper verlassen oder an diesem getrocknet war. Der Tod fühlte sich verlockend an, nur dass er sich seinen eigenen wünschte. Wenn sein Leben endete, endeten auch die Schreie in seinem Kopf. Dann müsste er sich selbst nicht länger dabei beobachten, wie er Unschuldige abschlachtete.

Wie in Trance erkannte er weitere Gestalten, sie auf ihn zukamen. Schnell. Sie riefen sich gegenseitig etwas zu, aber seine Ohren nahmen keinerlei Worte mehr wahr. Für ihn hörte es sich nach Gemurmel an. Töne, die in einem Rauschen erstickt wurden.

Plötzlich packte ihn jemand von hinten, riss ihn von dem Toten. Sein Angreifer schlug mit dem Griff einer Pistole mehrfach gegen den Schädel. Gian spürte jedoch nichts. Es erschien ihm so, als gehöre dieser Kopf gar nicht zu ihm. Geist und Körper waren voneinander getrennt. Seine Seele, die Gefühle und Wahrnehmungen eingesperrt hinter einem gläsernen Vorhang, den er nicht passieren konnte.

„Du Volltrottel!", brüllte ein Mann ihm entgegen und trat ihm in den Magen. „Komm endlich zu dir!"

Antonios Gesicht wurde deutlicher, schnitt sich den Weg durch den Vorhang hindurch bis zu Gians Innerem. Er begann zu zittern, wollte sich übergeben, aber sein Magen war leer. Seit Tagen hatte er nichts gegessen, nicht geschlafen. Langsam sackte er zusammen. Die Schmerzen seiner vielen Wunden blieben dennoch weg, was ihn verunsicherte. Wieso konnte er nichts spüren? Keine Emotionen, keine körperlichen Schmerzen. Er war ein Monster, gemacht um zu töten.

„Verdammt!", wieder verpasste Antonio ihm einen Faustschlag. Dieses Mal ins Gesicht. „Soll ich dir erst alle Zähne ausschlagen, bis du Vernunft annimmst?"

Gian wurde weiter geschüttelt, seine Sinne trübten sich aber immer wieder. Seine Partner, seine einzige Familie in Gefahr zu bringen, könnte er sich nicht verzeihen. Weshalb erschossen sie ihn nicht einfach hier und jetzt. Seine Leiche würde niemanden stören.

„Wir müssen Felicita finden, verdammt", redete Antonio weiter auf ihn ein und endlich regte sich etwas in Gians Innerem. Etwas, das rausgelassen werden wollte. „Hey Kumpel. Falls du sprechen kannst, sag was."

Der Blonde hob eine Hand, um seinem ehemaligen Boss zu signalisieren, dass er sehr wohl anwesend, wenn auch nicht in der Lage zu sprechen war. Erleichtert und gleichzeitig skeptisch ließ Antonio ihn zu Boden sinken. Die Übrigen hielten ihre Waffen bereit. Ein halbes Dutzend hatte er im Schlepptau.

„Erst mal bringen wir dich in Sicherheit."

„Was ...", Gian musste sich räuspern und hustete einige Male, bevor er die Worte quälend herauspresste. „Was ist mit ihr?"

Blank DreamWhere stories live. Discover now