~Siebenundvierzig-Ende~

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Er zerrte sie an seiner Hand durch den Wald. Seine Haut brannte auf ihrer, ein unheimlich starker Kontrast zur kalten und vor allem feuchten Nachtluft. Einige Male blinzelte sie in die Dunkelheit, konnte kaum etwas erkennen, doch Gian rannte voraus, als würde er diesen Weg zum tausendsten Male laufen.

Ihr Magen entspannte sich allmählich. Der Kampf hatte ihr die Luft zum Atmen geraubt. Jeder Moment, jedes noch so kleine Bild schwirrte ihr noch vor Augen. Die Angst um die beiden Männer, die sich hätten umbringen können, war noch frisch sowie das Gefühl der Erleichterung, das sie eingenommen hatte, sobald Gian von Luciano abgelassen hatte. Dennoch fühlte sie sich wie paralysiert, folgte Gian ohne Widerwehr. Es war beinahe so, als müsste man sie aufwecken und erneut das Leben in ihre Fasern spinnen.

Einen kurzen Blick über die Schulter wagte die junge Frau dann doch. Keiner verfolgte sie, was nach Gians Prahlen und Einschüchterungen auch nicht verwunderlich war. Das Vit C3 hatte ihn verändert, aber er schaffte es offenbar, die Sucht und Nebenwirkungen auf ein Minimum zu reduzieren. Und er lebte, was an sich schon an ein Wunder grenzte.

„Alles klar?", erkundigte er sich nach weiterem minutenlangem Joggen durch den Wald.

„Wo gehen wir hin?", konterte sie rasch und atemlos.

„Warte", er hatte ihre Erschöpfung nun auch bemerkt und platzierte einen Arm um ihre Taille, den anderen unterhalb ihres Pos. Mit einem Ruck schwebte sie kurz in der Luft, dann drückte er sie fest an sich. „So ist es leichter", entgegneter er ihrem erschrockenen Blick. „Obwohl es etwas paradox ist, wenn ich dich tragen muss."

„M-Musst du nicht", stammelte sie. „Ich kann selbst laufen."

Gian hörte ihr schon nicht mehr zu und sprintete weiter durch die Kiefernbäume hindurch. Der Boden unter seinen Füßen war von ihren gelb verfärbten Nadeln gepflastert. Es kehrte Ruhe ein, eine Kleinigkeit, die ihnen fremd geworden war und falls es einmal ruhig geworden war, folgte darauf etwas Schlimmes. Auch jetzt schenkte das Mädchen dieser vermeintlichen Ruhe große Beachtung. Konnte es sein? Waren sie in Sicherheit? Und was bedeutete Sicherheit in dieser Welt noch?

Gian bedeutete Sicherheit für sie, so unpassend es in ihren Gedanken auch klang. Er war derjenige, der sie immer beschützte selbst vor denjenigen, denen sie ihr Vertrauen geschenkt hatte. Zwar bedeutete er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit kein beschauliches Leben in einer sicheren Wohnung, behütet von ihren Familien, aber wer hoffte nach all dem Chaos in dieser Stadt auf ein solches? Sie schaute in sein ernstes Gesicht, dessen Schwellungen blau und lila herausstachen. Sie traute sich nicht, ihn zu berühren, obgleich sie wusste, dass ihm die Schmerzen nichts ausmachten.

„Wenn du nicht mit mir kommen willst", setzte er an und schluckte schwer. Seine Augen richteten sich auf den überwucherten Weg. Die dicht stehenden Bäum lichteten sich allmählich. Auf einem kleinen Plateau, das eine weite Landschaft mit vereinzelten Siedlungen in der Fern preisgab, machte er schließlich Halt und sprach weiter. „Falls du mich satt haben solltest, ist das hier der Ort, an dem wir uns trennen müssen. Es sei denn, du möchtest weiterhin bei mir sein."

„Das klingst weniger nach einer Frage als mehr nach einer Bedingung."

„Was?", er wirkte tatsächlich überrascht und suchte ihren Blick.

„Du sagst es so, als würden wir uns nie wiedersehen, sollte ich mich jetzt gegen dich entscheiden."

„Weil das auch so wäre", sie starrte ihn ahnungslos an. Eine Eigenschaft, die sie für ihn nur noch verführerischer machte. „Ohne dich bin ich nichts."

Blank DreamWhere stories live. Discover now