~Vierzig~

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Es wurde einfach nicht besser. Die Blutlust und die Aggression steigerten sich immer weiter. Jedes Mal, wenn sie es schafften Gian zu fixieren, steigerte sich seine Kraft. Die wenigen Momente, in denen er seinen Verstand zurückgewann, fragte er nach Felicita, doch Antonio und die anderen hatten nichts von ihr gehörte oder gesehen. Sie war verschwunden und das nun seit Monaten. Gian machte es nicht mehr lange und der aufbauende Druck, die Anspannung in ihnen allen war deutlich spürbar. Greifbar.

„So kann das nicht weitergehen", stöhnte Chino. „Ich besuche noch mal meine Kontakte in der Fontana Familie."

„Und du meinst, dass uns das weiterhelfen wird?", hakte Antonio skeptisch nach. „Wenn Luciano sie finden wollen würde, wäre er doch schon längst aktiv geworden. Nein, er wird sich sicherlich anderen Dingen widmen und das mit Recht."

Seitdem die Insassen der Arena ausgebrochen waren, kamen – wie erwartet – einige der Vit C3 Abhängigen frei. Obgleich sie anfangs unbeachtet untergetaucht waren, zeigten sich allmählich erste Anzeichen, dass sie sich an den Bewohnern der Stadt vergriffen. Sei es nun, dass sie das Vit C3 aus einer unbekannten Quelle bezogen und an weitere verkauften, oder die brutalen Morde, welche die Tagesblätter pflasterten. Die Eskalation der Ereignisse stand kurz bevor und Antonio sorgte sich mehr um seinen Freund als um die übrige Bevölkerung. Und die gesamte Stadt. Das Mädchen war vielleicht schon tot. Aber was würde das für Gians Zustand bedeuten?

„Hier herumzusitzen bringt uns auch nicht weiter."

„Denkst du tatsächlich, ich wüsste das nicht?"

„Tse", Chino wand sich von seinem Boss ab. „In letzter Zeit tust du nichts anderes. Klar ist Gian kein schöner Anblick und wir alle leiden mit ihm, doch dein depressives Herumvegetieren, bringt niemandem etwas."

Der Boss hätte ihn für so eine Bemerkung bestrafen können, tat es jedoch nicht. Er wirkte nicht nur ausgebrannt, sondern war es auch. Eine Nacht durchschlafen und sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob Gian ausbrach oder nicht. Das wäre die reinste Wohltat für Körper und Geist, doch es sollte nicht sein. Solange sie kein Gegenmittel auftrieben, gab es für Antonio keine ruhige Minute. Das einzige bekannte Gegenmittel war allerdings verschwunden.

„Dann geh und frag", knurrte er schließlich und Chino stampfte aus dem Zimmer.

Schwerfällig raffte er sich auf und lief den endloslangen Flur entlang, die Treppe hinunter und in den gut gesicherten Raum. Das Gestöhne drang durch die massive Tür zu ihm durch. Die Wachposten machten den Weg frei, aber Antonio zögerte, obwohl er es nicht sollte. Die Überwindung, dieses Zimmer zu betreten, steigerte sich mit jedem Mal.

Das Schloss sprang auf und ein Augenpaar funkelte ihn aus dem finsteren Gesicht an. Wie tief der Schmerz sich in seine Züge gebrannt hatte, war kaum zu beschreiben. Gian sah so alt und verbraucht aus, dass er ihn beinahe nicht wiedererkannte. Ein Knurren durchbrach das Stöhnen und schwere Atmen, aber nun konnte Antonio nicht zurück.

„Hey", begrüßte er seinen Freund monoton, ohne eine Antwort zu erwarten. „Wir konnten sie leider immer noch nicht finden. Es ist keine schöne Vermutung, doch wir müssen davon ausgehen, dass sie es vielleicht nicht geschafft hat."

Plötzlich kehrte das Leben in den Blonden zurück. Die Ketten, nicht länger nur seine Gelenke an Ort und Stelle hielten, sondern mittlerweile um seinen gesamten Oberkörper gespannt waren, rasselten.

„Ich weiß, ich weiß", Antonios Stimme wurde zu einem ruhigen Summen. „Hilft es dir so sehr, an dieser Hoffnung festzuhalten, obwohl die Realität so schrecklich sein könnte? Macht es Sinn, sich selbst in die Irre zu führen?"

„In die Irre führen?", ein verzerrtes Grinsen umspielte Gians Lippen. „Bin ich nicht schon längst verrückt? Möchtest du einen Einblick in meine Gedanken? In das Monster, das seine Spielchen mit mir treibt? Ich kann dir sagen, dass wäre ein unausgesprochener Fluch, der dich in deinen naiven Vorstellungen überrennen würde. Felicita hingegen ist mein einziges Licht ... auch wenn es schnulzig klingt. Solltet ihr je ihre Leiche finden, lasst mich in dem Glauben, sie sei noch immer irgendwo und lebt. Oder setzt meinem Leben einfach ein Ende."

Blank DreamWhere stories live. Discover now