~Drei~

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Felicita rieb sich die Hände, nachdem sie die Kälte fühlte, die jede Faser ihres Körpers überschwemmte, als ob der Winter von der einen auf die andere Sekunde über sie hereingebrochen wäre. Eine ihrer Hände ließ sie bedacht in ihre Hosentasche gleiten, dorthin wo sie die anderen vier Marken verstaut hatte. Paranoid zählte sie jede einzelne der, von ihrer Körperwärme aufgeheizten, Metallplatten nach. Eins, zwei, drei und vier. Sie atmet erleichtert aus und zog ihre Hand aus der Tasche zurück in die Kälte der Nacht. Es roch nach Nässe, nach frisch gefallenem Regen und dem feuchten Asphalt der Straße, auf der sie stand. Pfützen zu ihren Füßen, die das LED-Licht der Lampen über ihrem Kopf und zu ihrer Rechten spiegelten. Gekonnt umging sie die tiefsten Wasserlachen und bog in eine kleine Straße ab, die vom fahlen Licht der Laternen erhellt wurde.

Umgeben von kantigen Betonblöcken, mehrstöckigen Hochhäuser, die in jeder Großstadt zu finden waren, schlich Felicita beinahe durch die Gassen. Fenster reihte sich an Fenster und nur in wenigen brannte ein gedimmtes Lichtlein. Die Fassade besaß einige Schäden, sowohl bröckelndes Gemäuer als auch von einem alten Feuer verrußte Steine tauchten auf. Interessiert blickte Felicita hinauf, doch die sie überkommende Dunkelheit verschluckte die ersten Eindrücke mit voller Absicht. Die Laternen standen zu weit auseinander, als dass sie auch nur annähernd genügend Licht spenden konnten. So zwang die Nacht Felicita auf ihre anderen Sinne zurückzugreifen. Obgleich niemand auf dem Weg zu sehen war, fühlte sie sich andauernd beobachtet. Auch das kleinste Geräusch schreckte sie augenblicklich auf und sie hielt inne. Plötzlich erfasste sie ein grelles Licht aus dem eben noch düsteren Himmel. Die Rotorblätter des Helikopters zerschnitten die Luft, erzeugten schrille Laute, die Felicita eine Gänsehaut bescherten. Wie ein schnüffelnder Hund fuhren die Scheinwerfer die Häuserschluchten unter sich ab. Suchten die Seventh jemanden? Aber wen und vor allem warum? Ängstlich kauerte sich Felicita an eine Häuserwand. Zur ihren Seiten lagen eingefallene und vom Regen durchnässte Kartons, deren Inhalt sie nicht erfahren wollte. Es roch nach Schimmel und schwach nach Urin. Ihre Hand verkrampfte sich in den Fugen der Mauer neben ihr, kratze die kleinen Steinchen heraus, welche sich unter ihren Fingernägeln sammelten und unangenehm dagegen drückten. Doch das Dröhnen des Helikoptermotors wurde schnell von dem Grollen eines aufkommenden Gewitters abgelöst.

     „Nicht das auch noch", stöhnte das Mädchen und schlang die Arme um ihre Beine.

Felicita hasste Gewitter seit sie sich zurück erinnerte. Das ohrenbetäubende Donnern, welches sogar die Erde in der Nähe erbeben ließ und die gleißenden Blitze, die einem den Tod bringen konnten. Der Sprühregen setzte ein und zwang sie dazu, einen Unterschlupf zu suchen. Mit erhobenen Händen schützte sie sich eher bescheiden vor dem Nass, das auf sie hinabprasselte. Sie erreichte eine Kreuzung. Einen Moment überlegte sie sichtlich angestrengt, welchen der drei Wege sie einschlagen sollte. Im Zentrum der Arena befand sich die neutrale Zone, in der sie für die nächsten sechs Stunden sicher wäre, vorausgesetzt, sie schaffe es dorthin. Entschlossen lief sie nach links, in eine relativ breite Straße, deren Fußwege von wenigen, flackernden Laternen gesäumt waren. Das Gewitter hielt an, versprach einen heftigen Sturm und Felicita stülpte sich eilig die Kapuze ihres dunkelblauen Hoodies über. Der dicke Stoff würde sie wenigstens für eine gewisse Zeit trocken halten, mehr konnte sie nicht erwarten. Das Prasseln des Regens und das Donnern verschluckten ihre eigenen Schritte. Nicht einmal hundert Meter neben ihr, hinter einer Kurve, leuchteten zwei rote Lichter synchron auf. Sie stoppte, schaute sich danach um, während der ewig wehrende Regen ihre Sicht behinderte und die Kleidung immer schwerer werden ließ. Die Rücklichter des Wagens kamen auf sie zu.

Ohne jede Vorwarnung schrie die eben noch menschenleere Straße unter dem Quietschen der durchdrehenden Autoreifen schmerzerfüllt auf. Felicita sprang zur Seite und um ein Haar hätte sie das Heck des Wagens erwischt. Mit wild schlagendem Herz kroch sie hechelnd von der Straße, bis ihr Rücken gegen etwas Hartes prallte. Sie blinzelte zwei Mal, dann schleuderte jemand die Autotür auf. Ein schmächtiger Mann hielt sich am Griff der Tür fest, ließ sich von dieser auf den Asphalt zerren. Wie ein knochenloses Stück Fleisch klatschte er auf dem Boden auf, sein Gesicht zu Felicita gedreht. Ihre Augen wanderten von ihm zur Fahrerseite des Wagens, von wo aus ein anderer Mann mit gezückter Pistole auf den am Bodenliegenden zukam. Ein Schuss fiel, teilte die Luft scharf und grub sich in das Bein des schmächtigen Mannes, während Felicita nicht wagte zu atmen. Ein lautloser Aufschrei entrann seiner Kehle, danach robbte er vom Auto weg, schleifte sein eines Bein hinter sich her. Wieder ein Schuss. Dieses Mal erwischte der Angreifer das unverletzte Bein ohne eine Reaktion zu ernten. Immer weiter drängte sich Felicita gegen das, was sie im Rücken hatte, als könne es sie verschlucken und vor dem Spektakel beschützen. Ihre Augen weiteten sich als der Mann auf den anderen eintrat. Krümmend vor Schmerzen wandte er sich bei jedem Tritt, konnte jedoch nicht mehr fliehen. Bei dem Versuch zu sprechen, oder irgendein Geräusch zu produzieren, gurgelte er sein eigenes Blut, das sich in seinem Mund sammelte. Felicita hielt sich eine Hand vor den Mund, um nicht kreischen zu müssen. Sie schluckte die Angst, den Schock und die Übelkeit ihre zugeschnürte Kehle herunter. Als sich der Mann nicht länger rührte, versteifte sich der Blick des Angreifers auf das Mädchen. Bibbernd machte sie sich kleiner und kleiner, wollte in der Dunkelheit verschwinden, aber er sah sie. Und er wusste, was sie gesehen hatte. Ein letztes Mal bückte er sich hinab zu seinem Opfer und nahm dessen Marke ans sich. Mit raschem Schritt überwand er die Meter, die ihn von dem Mädchen trennten. Er blickte in das Weiße ihrer Augen, erkannte das Entsetzten darin und musste schmunzeln. Das Adrenalin durchströmte derweilen ihren Körper, als würde man versuchen, einen Strohhalm mit einem Feuerwehrschlauch zu durchspülen. Blitzschnell raffte sie sich auf und rannte in die nächst beste Seitenstraße, um den grausamen Blicken des Mannes zu entkommen. Sie spürte sogleich einen Luftzug an ihrem Gesicht. Das Blei der Kugel verfehlte sie nur knapp, doch diese Ahnung trieb sie nur noch weiter an. In ihr stieg die Panik auf, krabbelte wie Spinnenbeine ihre Beine und Arme hoch, ließ die Härchen kerzengerade stehen. Sie dachte daran, Haken zu schlagen, war allerdings nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Instinkt kontrollierte ihr Denken. Intuitiv schlängelte sich ihr Körper durch die immer enger werdenden, verwinkelten Gassen, denn auf einem Vorplatz wäre sie ein allzu leichtes Ziel gewesen. In einem augenscheinlich leerstehenden Wohnkomplex, bestehend aus mehreren aneinander gereihten Hochhäusern, verschanzte Felicita sich. Mit ganzer Kraft presste sie ihr Körpergewicht gegen die schlecht schließende Tür und horchte aufmerksam. Nach einer gefühlten Ewigkeit schnappte sie nach Luft, bemerkte erst jetzt, dass sie den Atem angehalten hatte, aus Angst jemand könnte sie sonst hören. Doch keine Menschenseele verfolgte sie. Ihre noch immer zitternden Finger lösten sich von der kühlen Metalltür und fuhren ihre eigenen Gesichtszüge nach. Sie massierte ihre Wangen, spürte wie das Blut in ihren Kopf floss und die Woge der Erleichterung sie einnahm.

Blank DreamWhere stories live. Discover now