~Achtzehn~

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    „Lauf!", hörte Felicita Gian noch rufen und gehorchte.

Ihre Beine trugen sie schnell über den quietschenden Linoleumboden und die freistehende Treppe hinab. Sie nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Einige Männer waren ihr entgegengekommen, doch sie machten sich offenbar nicht allzu viel aus ihr und ignorierten die Flüchtende. Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren, die stampfenden und nachhallenden Schritte der schweren Stiefel ebenso. Sie wünschte sich, dass ihr jemand erklärte, was hier vor sich ging. Warum musste sie weglaufen? Gian zurücklassen?

In der großen Halle tummelten sich die Leute Isabellas und dachten gar nicht daran, Felicita durchzulassen. Egal welchen Weg die junge Frau einschlug, einer war immer bereit und fing sie ab, sodass sie wieder zurückweichen musste. Denn sobald einer der Männer sie gepackt hatte, würde sie hier nicht mehr wegkommen können, das war sicher.

Obgleich sie gerade versuchte, diesen Ort zu verlassen, ergaben sich aus den Informationen, die ihr Isabella ausgebreitet hatte, so viele neue Dinge. Ihr Leben stellte sich mit einem Mal auf den Kopf. War sie wirklich diejenige, die sie all die Jahre in sich selbst sah? Oder stellte sich jetzt heraus, dass sie in einem Schein lebte, den ihr Unterbewusstsein zu ihrem eigenen Schutz aufgebaut hatte? Felicita wollte nur noch weg. Raus aus diesem Gebäude, raus aus der Stadt und aus ihrer eigenen Haut. Allein der Gedanke daran, dass dieses Blut in ihren Venen floss, bereitete ihr Magenschmerzen und ließ die Galle ihre Kehle aufsteigen. Sie sollte also gegen die Droge Vit C3 immun sein, aber was bedeutete das jetzt genau für sie und ihr Leben in der Arena?

Eine raue und trockene Hand haschte nach ihrem Arm, aber sie konnte ausweichen und trippelte geschickt außer Reichweite. Links von ihr erhoben sich die Tore der Lagerhalle. Ihr Ausgang. Sie sprintete voraus, duckte sich bei jeder Hand, die nach ihr griff und war selbst erstaunt, dass sie am Tor ankam. Allerdings würden sich die Eisentüren nicht bewegen. Dafür reichte ihre Kraft nie im Leben aus. Sie blickte sich eilig um und erkannte weitere Männer auf sie zustürmen, ihre Waffen in die Höhe haltend. Wie versteinert beobachtete Felicita sie und presste ihren Körper gegen den Teil des Tores, wo sich die beiden Türen berührten. Ein Knacken schreckte sie auf und plötzlich öffnete sich ihr Weg in die Freiheit.

Als der Widerstand nachgab, stolperte Felicita nach draußen und benötigte ein paar Meter, bevor sie wieder aufrecht stand. Die anderen brüllten, schimpften und sprachen lauthals Drohungen aus. In ihrem Nacken glaubte sie, den Atem ihrer Angreifer zu spüren, doch nachdem sie um die Ecke eines Mehrfamilienhauses die Straße herunter bog und einen Blick über die Schulter warf, schien sie allein. Die Sorgen um Gian klangen jedoch nicht ab. Sie hatte ihn einfach dagelassen. Inständig hoffte sie, dass Isabella ihm nicht noch mehr antun würde.

Außer Atem suchte sie nach dem Rückweg. Das Rudel würde sie immerhin auch ohne Gian aufnehmen, sie gehörte ja nun mehr oder weniger dazu. Mit ihrer Hilfe könnten sie Gian vielleicht befreien, falls Isabella ihn denn zufrieden lassen würde.

Felicita ballte ihre Hände zu Fäusten, dass die Fingernägel sich in ihre Haut bohrten. Die Schmerzen halfen ihr, die Konzentration aufrecht zu erhalten und die markanten Stellen der Häuser, die sie passierte, zu finden. Nur daran konnte sie sich orientieren, denn die Arena war ihr immer noch fremd, was nach ihrem Empfinden kein schlechtes Gefühl darstellte. Sie wollte sich hier nicht heimisch fühlen, sie langte weiterhin nach dem Wunsch, irgendwann aus der Stadt der Mörder zu entkommen.

Am Himmel zogen dunkle Wolken auf und da in der Stadt nur an ausgewählten Plätzen noch Strom zur Verfügung stand, erschrak Felicita. Die Dunkelheit kam einher mit dem Regen, der auf sie niederprasselte. Sie beeilte sich noch mehr, doch nun musste sie wirklich aufpassen, um den Weg nicht aus den Augen zu verlieren.

Durchnässt und schwer atmend strauchelte sie an einer Hauswand entlang. Sie entdeckte die vom Licht goldumrahmten Fenster der Unterkunft des Rudels. Ihr war kalt und die Erschöpfung riss sie beinahe zu Boden. In dem Eingang sah sie bereits die ersten Männer, die lässig rauchten und sich mit einander unterhielten. Es waren Wachen, die Antonio vorsichtshalber an allen Zugängen ihres Versteckes postiert hatte. Als sie Felicita erkannten, rannte ihr einer entgegen, der andere ins Haus.

Blank DreamWhere stories live. Discover now