~Fünf~

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Gnadenlos hinderten die Kälte der Nacht und die Nässe des Regens Felicita am Schlaf, den sie nach diesem Tag so sehnsüchtig erwartete. Das einhergehende Zittern wurde unerträglich, egal wie viele Laken und Decken sie über sich stapelte. Sie rollte sich auf dem muffig riechenden Sofa von der einen auf die andere Seite, wollte endlich eine gemütliche Position finden, doch die Federn drückten sich durch die Polster. Ihr entfloh ein genervtes Stöhnen und als sie eines der Kissen zu packen bekam, warf sie es gegen den Kamin. Ein lautes Scheppern ließ sie zusammenfahren. Vorsichtig lugte sie über die Lehne des Sofas zum Kamin, wie eine neugierige Katze es getan hätte. Unbewusste krallte sie sich mit den Fingern in den Stoff, unterdrückte die aufkommende Panik. Das geschwungene Gitter vor der Feuerstelle des Kamins vibrierte noch immer. Davor lag das Kissen, welches bei seiner Landung eine Menge alten Staub aufgewirbelt hatte. Die kleinen Partikel schwebten unwirklich leicht durch die stehende Luft, in dem einfallenden Licht der Morgensonne glich es Magie. Felicita rieb sich die müden Augen, gähnte ihre Erschöpfung fort und verließ das Sofa. Die Parketdielen knatschten unter ihren Schritten, obgleich sie bedacht war, keine Geräusche zu verursachen. In den Schubladen einer kleinen Kommode suchte sie nach einer Kette oder Ähnlichem, mit dem sie die Marke an ihrem Hals tragen konnte. Sie entdeckte eine bleiche Kette mit einer Blüte, welche sie abzog und in der Schublade zurückließ. Die Kette selbst band sie sich samt der Marke mit den ineinander verschlungenen Kreisen um.

Plötzlich drangen Stimmen von der Straße hoch in die Wohnungen. Menschen, schoss er Felicita durch den Kopf und sie wurde unruhig. Natürlich gab es Menschen in der Stadt, das war das Normalste der Welt, nur waren Menschen hier gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Sofort entfernte sie sich von den Fenstern, das Treppenhaus erschien ihr jedoch noch zu unsicher. Sie wartete geduldig ab, bis der Lärm von draußen abebbte. In den nächsten Stunden hielt sie sich in den Schatten der Häuser auf, um möglichst nicht gesehen zu werden. Wer sie nicht sah, würde sie schließlich auch nicht angreifen wollen. Sie konnte nicht ahnen, wie weit es zur neutralen Zone war, denn der junge Mann, dem sie begegnet war, verschwand ohne eine Antwort auf diese Frage. Einige Zeit irrte sie mehr oder minder umher, schaute sich um und versuchte sich einige auffälligere Gebäude einzuprägen. Manchmal entdeckte sie andere Leute, meist einzelne Personen, die in etwa so leise und vorsichtig herumliefen wie sie. Diese Tatsache stimmte sie ein bisschen ruhiger, denn nicht nur sie fürchtete sich davor, auf jemanden zu treffen, der es ausschließlich auf ihre Marken oder auf schlimmere Dinge abgesehen hatte. Mit den Händen stützte sie sich an einer Hausmauer ab, die in einer abgerundeten Kurve endete. Auf Zehenspitzen ging sie den Weg entlang, welcher zu einer weiteren Kreuzung führte.

„Nicht schon wieder", seufzte sie.

Der graue Häuserwald um sie herum steigerte ihre Nervosität deutlich, da sie nicht erahnen konnte, was sich hinter der nächsten Ecke befand. Ihr Herzschlag setzte immer mal wieder aus, nur um dann wie ein holpriges Getriebe auf ihre Brust einzuhämmern. Vor ihr tat sich auf einmal eine freie Fläche auf. Die Sonne bahnte sich unerbittlich einen Weg herunter auf den Asphalt, weshalb Felicita einen Arm vor ihre Augen halten musste, um nicht blind umher zu tapsen. Die Stimmung auf dem Markplatz erschien ihr so surreal. Menschen unterhielten sich freundlich, tauschten Gegenstände aus oder kauften Nahrungsmittel an kleinen Ständen ein. Nichts von alle dem spiegelte das wahre Leben in der Arena und doch fühlte sich Felicita augenblicklich leichter. Die Wärme der Sonnenstrahlen taute ihre schmerzenden Muskeln langsam auf und auch ihre Kleidung klebte nicht mehr an ihrer Haut. Dennoch wusste sie, dass sie diesem Schein von Sicherheit keinen Glauben schenken durfte. Die neutrale Zone glich einem Paradies in Mitten der Hölle.

Felicitas Blick haftete sich rasch an ein niedliches Bürogebäude, vor dem eine Schlange stand. Zuerst setzte sie sich auf eine kleine Bank in der Nähe, um ihre Beine zu entspannen und diese Situation richtig einzuordnen. Es war gerade 09:28 Uhr, sie konnte hier also genau bis 15:28 Uhr bleiben. Das durfte sie nicht vergessen, andernfalls würde sie sich noch mehr Probleme einhandeln und darauf konnte sie verzichten. Das Murmeln der Gespräche berauschte und versetzte sie ein paar Tage in der Zeit zurück, wo sie noch unbeschwert nach einem Job suchte. Damals hatte sie auch vor einem solchen Haus gesessen, stand in der Schlange und wartete in einem Zimmer auf ihre Beraterin. Zusammen filterten sie aus Zeitungen einen einfachen Job heraus, der Felicita zusagte. Zwei Tage später stellte sie sich dem betagten Mann vor, der einen Süßwarenladen führte und wurde auch eingestellt. Ihre Freude war bescheiden, da sie eigentlich einen anderen Traum verfolgte, doch sie musste Geld verdienen, um zu überleben. Ein in Selbstmitleid badendes Lächeln verzog ihr eigenes Gesicht. Geld spielte hier in der Arena keine Rolle mehr, denn auch mit Scheinen und Münzen würde man keinen Tag länger überleben. Sie knotete sich die Haare am Hinterkopf zu einem Dutt zusammen, ließ sie jedoch wieder auffallen, da sie kein Zopfband besaß. Dann raffte sie sich auf, zog ihren Hoodie zurecht und stellte sich ans Ende der Schlange. Vielleicht war es Gewohnheit, oder aber dieser Funke Neugier, der sie dazu bewegte sich dazu zu gesellen.

Blank DreamWhere stories live. Discover now