~Dreiundzwanzig~

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Antonios Wunden pochten zwar noch immer, doch er musste nicht länger bei jeder Bewegung das Gesicht verziehen. Vor wenigen Minuten war Chino hereingestürmt und konnte sich kaum zusammenreißen. Die Worte, die Antonio dem Gestammel entnommen hatte, bedeuteten, dass Gian vielleicht doch noch nicht verloren war. Felicitas Blut linderte seine Symptome offensichtlich für einen gewissen Zeitraum, aber das würde auch keine Dauerlösung darstellen. Er müsste zu einem Arzt außerhalb dieser Mauern und sich einer Therapie unterziehen, falls es dafür noch nicht zu spät sein sollte. Sein momentanes Verhalten verhieß jedoch Hoffnung.

Abwarten kam nicht in Frage. Sie mussten jetzt handeln, solange es noch etwas gab, das es zu retten lohnte. Er trommelte seine Männer zusammen, wollte Luciano einen Besuch abstatten und seine Leute zurückholen. Dabei war er dem Boss der Herde wirklich dankbar für dessen Unterstützung, die er in diesem Fall nur genoss, da dieser Felicita mochte. Andernfalls würde sich Luciano niemals so leichtsinnig eine Gefahr ins eigene Haus holen.

Als er ins Auto einstieg, schlug sein Herz schneller und ein ungutes Gefühl überkam ihn. Wurden sie beobachtet? Hastig blickte er sich um, konnte jedoch keinen erkennen. Seine eigene Unruhe schlug auf seine Untergebenen um, die nun auch die Gegend absuchten. Nach jemanden, der vielleicht gar nicht hier war.

Trotz dieser inneren Nervosität setzte sich Antonio in den Wagen und ließ Chino fahren. Der Weg war nicht weit, doch angesichts der momentanen Umstände in der Arena, wollte Antonio keine Risiken mehr eingehen. Von A nach B zu gelangen, sollte sie nicht das Leben kosten, obgleich das in dieser Stadt nicht einmal ungewöhnlich gewesen wäre.

Die marode Straße schlängelte sich durch die Häuserruinen, die von den Insassen neu belebt wurden, hinunter an der großen Mauer entlang. Auf dem oberen Rand blitzte der Stacheldraht auf, als seien es gebleckte Raubtierzähne und in gleichmäßigen Abständen blinkte wiederum das rote Licht einer Überwachungskamera. Sie würden den nächstgelegenen Turm, auf dem einige der Seventh stationiert waren, nicht erreichen, sondern zuvor links abbiegen und dann immer weiter Richtung Westen fahren. Dort stand, umringt von vielen leerstehenden Bürogebäuden, eine Einkaufspassage. Sie diente der Herde einst als sicheres Versteck, aber seitdem nicht nur Antonio uns seine Leute davon wissen, sind sie umgezogen. Über die größtenteils zugemauerten und überschwemmten U-Bahnschachts, so erzählen es sich die Menschen auf der Straße. Allerdings zweifelte Antonio an dieser Geschichte.

Die ausgeblichene Fassade des Einkaufzentrums kam in Sicht. Alte Plakate und Werbetafeln klebten in Fetzen an den Wänden. Die Fenster waren eingeschlagen und alles, was nicht fest montiert gewesen war, hatten sie mitgenommen. Schon vor Jahren, bevor Luciano oder Antonio hierher gebracht wurden. Nun standen die Läden ausgeräubert da, niemand interessierte sich mehr für sie oder gab ihnen einen anderen Zweck.

Der Wagen drosselte sein Tempo, um in eine der vielen, engen Seitengassen einzubiegen. Die Mauern berührten beinahe die Außenspiegel. Selbst wenn sie abbrachen, würde sich keiner darum scheren. Die Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die auf der Welt herrschten, waren hier ausgeschaltet und die Seventh kontrollierten nur diejenigen, von denen sie etwas erwarten konnten. Eine Gegenleistung oder Insiderinformationen. Auch Antonio geriet vor einem Jahr in eine ähnliche Situation. Diese so genannten Wachposten meinten, er besäße einige pikante Informationen über eine Mafiafamilie, die sich trotz der strengen Kontrollen noch immer in Freiheit befand. Die Seventh lagen nicht einmal falsch, aber Antonio hätte diese Familie nicht verraten. Für nichts auf der Welt.

Das Dach eines weiteren Gebäudes, sehr unscheinbar und von einer langgezogenen Allee verdeckt, lugte aus dem Blätterdach hervor. Sie parkten in der Einfahrt, stiegen aus und wurden wenige Sekunden später von einigen Männern abgefangen, die Marken mit einem Stierkopf trugen. Lucianos Leute, stellte Antonio nüchtern fest und gab seinen Männern ein Zeichen, die Waffen wegzustecken.

Blank DreamWhere stories live. Discover now