~Vier~

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Diese Antwort näherte sich nicht einmal ansatzweise dem an, was sie sich erhofft hatte. Vergessen, wer sie war? Doch ihre Existenz, ihre Vergangenheit blieben das einzig Beständige in ihrem nun völlig auf den Kopf gestellten Leben. Wie sollte sie diese Dinge verdrängen, sie in eine Ecke ihrer dunkelsten Gedanken verbannen? Sie waren das, was sie ausmachten, weshalb sie zu dem Menschen wurde, der sie jetzt ist. Das Leben im Waisenhaus hatte seine guten und schlechten Phasen gehabt, aber so gestaltete es sich immer. Natürlich musste sie sich mit Fremden auseinandersetzten und beneidete die Kinder, die adoptiert wurden, ertrank an manchen Tagen an der Eifersucht in ihrem Herzen. Dennoch stärkten sie diese Gefühle, sie lernte damit umzugehen und dass oft andere Dinge wesentlich wichtiger waren, als die eigenen Wünsche. Sachte schüttelte sie den Kopf, weigerte sich diesen einen, vielleicht sogar gut gemeinten Rat zu befolgen.

Seine Augen huschten suchend über ihre Gesichtszüge, verharrten kurz aus eigener Neugierde auf ihrem schlanken Körper. Ihr rechter Fuß tippte nachdenklich, oder auch nervös auf das Parkett, welches von zahlreichen Kratzern durchzogen war. Ihre langen, viel zu hell wirkenden Haare wellten sich langsam, da sie in der wärmeren Umgebung des Hausflures trockneten. Bei ihrem Anblick dachte er daran, dass es so etwas wie Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit an diesem Ort nicht gab und merkte, wie sehr es manchmal selbst vermisste. Na ja, eventuell existierte etwas Ähnliches. Er entschied sich endlich zu gehen, das Mädchen allein zurückzulassen, da er nichts für sie übrig hatte und Verantwortungsgefühl war ihm ohnehin fremd. Nie war er in den Genuss gekommen, elterliche Führsorge oder die Geschwisterliebe zu empfinden, da sein Vater ihn früh verließ und so sorgte er sich auch nicht um diese junge Frau. Die Erinnerungen an seine Mutter waren schwach, getrübt von einer nebligen Wand, die ihm den Schmerz des Verlustes ersparte. Sie kam bei einem Feuer um, er selbst war gerade vier Jahre alt geworden als die Flammen sie verschluckten. Wie gesagt, seine schleierhaften Fragmente des Vergangenen setzten sich nicht allzu gut zusammen und er verwarf wie so oft den Entschluss, diese zu flicken. Seine Zieheltern begleiteten ihn bis zu seinem achtzehnten Geburtstag und sie waren der Grund, weshalb er hier war.

    „Tschau", gab er von sich und verschwand ins andere Zimmer, aus dem er gekommen war.

Nach einer Weile folgte Felicita auf leisen Sohlen. Die milchigen Fenster verdeckten schwere Vorhänge, die von Motten zerfressen worden waren und einige Glassplitter verteilten sich auf dem Boden. Hin und wieder ächzte der Boden unter ihren Füßen, doch Felicita schien von diesem großen und spärlich möblierten Raum fasziniert. An der Wand geradeaus prangten die beiden langen Fenster, die wie gierige Augen aussahen und nur wenig Licht von außen hereinließen. Die Tapeten blätterten in großen Fetzen ab, kräuselten sich lustig an den Enden, oder waren gänzlich abgerissen worden. Sie hob den Kopf, blickte an die Decke wo ein kleiner Kronleuchter thronte, dessen gläserne Lämpchen allesamt erloschen waren. Spinnenweben verzierten seine Arme, die Tierchen hatten sich Brücken gebaut und es wirkte, als seien diese dünnen Fäden das Einzige, was den alten Leuchter an der Decke hielt. Es roch nach abgestandener Luft und alten Laken, Staubkörnchen gerieten in ihre Nase, sodass sie fast niesen musste. Links auf ihrer Höhe befand sich ein alter Kamin mit einem wunderschönen Eisengitter, das wohl einst vor dem Feuer schützen sollte und auf dem Sims stand ein Gemälde. Es zeigte eine alte Frau mit einer Katze auf dem Schoß, die munter zu dem Maler gesehen haben musste. Ihre Augen strahlten in einem Olivgrün, das sie zuvor noch bei keinem Lebewesen vorgefunden hatte. Vor dem Kamin stand ein ledriger Sessel, ganz braun und mit vielen dunklen Stellen. Der junge Mann riss einen Vorrang zur Seite und das kalte Mondlicht drängte sich eifrig an ihm vorbei ins Zimmer, zauberte einen langen Schatten auf die Erde. Er fasste sich an den Kopf, ehe er die Scharniere des Fensterrahmens mit einem gezielten Tritt löste und so einen Weg hinaus schaffte, was Felicita fast unnötig vorkam, da die Scheibe bereits zersprungen war.

Blank DreamWhere stories live. Discover now