15~Die letzten Momente der Erde

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Die Nacht verlief nicht, wie geplant.
Ich lag verschwitzt in meinem Bett und versuchte zu schlafen.
Ein verzweifelter Versuch, der nun schon seit Stunden scheiterte.
Unruhig wälzte ich mich unter der dünnen Decke, unter der meine kalten Beine eng aneinander gepresst lagen.
Meine Augen waren geschlossen, doch es wollte mir einfach nicht gelingen, die notwendige Ruhe zu finden, um den Körper loszulassen, an dem ich doch so hängte.
Die ganze Zeit musste ich an den bevorstehenden Kampf denken.
Daran wie ich mir Sorgen um meinen Vater machte. Um Luzifer, Raphael und sogar Gabriel, der mich noch nie sonderlich hatte leiden können.
Ich sorgte mich um Mace und Alice, hoffte dass sie nicht sterben würden, da sie die einzigen Freunde waren, die mir noch geblieben waren.
Aber am meisten dachte ich an Deamon und Raziel.
Die zwei Wesen die mir auf dieser Welt am meisten bedeutete und die ich auf gar keinen Fall verlieren wollte.
Die ganze Zeit schlichen sich schreckliche Bilder in meinen Kopf und nisteten sich in meinen Gedanken ein.
Schauer überliefen meinen Körper und ich konnte meinen eigenen, beissenden, Angstschweiss riechen.
Von wegen Helden waren die Ruhe selbst.
Ich war kurz davor, winselnd unter mein Bett zu kriechen. Ich hatte Angst vor dem Tod. Todesangst.
Doch dann hörte ich wie sich der Vorhang meines Zeltes öffnete und Raziel mit seinen Flügeln streifte die Wände, sodass es leise knisterte.
Dann kniete er sich neben meinem Klappbett nieder und ich konnte in seine ruhigen, grauen Augen sehen.
Eine goldene Strähne hing ihm ins Gesicht und ich hätte sie gerne weg gestrichen.
Doch mit meinen schwitzigen Händen wollte ich nicht mal mir selbst zu nahe kommen.
„Ich habe Angst."
Flüsterte ich und Raziel lehnte sich neben mich an den Bettrand.
„Ich weiss."
Meinte er nur und trotzdem strömte langsam ein ruhiges Gefühl durch meine Adern.
„Schlaf Arya. Ich passe auf dich auf."
Seine Worte wurden leiser und ich konnte spüren, wie er meinen Geist langsam aus meinem Körper geleitete und mich in ruhige, sanfte Träume führte.
Träume ohne Angst. Solche in denen ich mit ihm durch den Wald rannte, lachte und ein weisses Kleid trug, welches sich angenehm um meine Beine schmiegte.
Ich konnte Vögel singen hören und die Zweige knackten unter meinen Schritten.
Ich wusste selbst im Traum, dass Raziel es war, der mich das sehen liess. Doch ich wünschte mir so sehr dass es wahr war.
„Na los! Sei nicht so langsam!"
Rief ich lachend und stolperte auf die grüne Wiese.
Morgentau glitzerte darauf und ein leichter Wind strich durch meine Haare.
Ich schloss die Augen und genoss es, das rauschen der Quelle und die langsamen Schritte meines Begleiters.
Als ich wieder hinsah lächelte Raziel.
Ich konnte es nicht glauben, doch er tat es.
Und er sah viel sanfter aus.
Jünger.
„Danke."
Flüsterte ich und fiel ihm um den Hals, während meine Zehen das kitzelnde Gras streiften.
Er antwortete nicht, doch das musste er nicht.
Wir standen einfach nur da. Die ganze Nacht lang. Auf der friedlichen Wiese, in einer engen Umarmung, aus der ich mich auf keinen Fall lösen wollte.
Sie verlieh mir Kraft und Zuversicht.
Sie verdrängte all die Zweifel und die Ängste, die sich beklemmend in meinem
Körper verankert hatten.
Jetzt gab es nur noch uns und die Ruhe.
Doch irgendwann begannen die Konturen der Bäume zu verschwimmen, als hätte Jemand Wasser über ein frisch gemaltes Ölbild geschüttet.
Sie verschwammen und das Gezwitscher der Vögel klang ab.

Ich schlug die Augen auf und atmete tief ein. Ich lag auf der unbequemen Pritsche, die Decke um mich gewickelt und Raziel im Schneidersitz neben mir sitzend.
Da war ich also wieder. In der Welt der letzten Lebenden.
Kein schönes Gefühl. Ich wollte wieder zurück in die Traumwelt, welche doch so sorglos gewesen war.
„Warst du die ganze Nacht hier?"
Fragte ich etwas verlegen und Raziels Mundwinkel zuckten.
„Keine Sorge. Du hast ausnahmsweise nicht gesabbert."
Meine Brauen schossen hoch und ich hoffte sehr, dass ich ihm nicht schon anderes Verhalten gezeigt hatte.
„Nur ganz selten."
Amüsiert erhob sich Raziel und blieb gebückt stehen, um mein Zelt nicht zu zerreissen.
Ein spärliches Frühstück aus hartem Brot und etwas Wasser in einer Schale stand bereit.
Mehr gab es nicht mehr.
Die Erde war verdorben, kein neues Leben gedieh mehr.
„Iss Arya."
Ich befolgte seinen Rat und zog mich dann um.
Vor dem halb zersplitterten Spiegel.
Dann griff ich nach dem Gürtel, an welchem meine Dolche befestigt waren.
Ich atmete leise ein und schnallte ihn mir um die Hüfte, wo er schwer hängen blieb.
„Bist du bereit?"
Fragte Raziel, während ich mir einen Zopf flocht.
Ich schüttelte den Kopf und spürte wie meine Finger zitterten.
„Nicht wirklich."
Langsam schob er meine Hände zur Seite und vollendete den langen Zopf, den er geschickt verknotete.
„Ich schon. Ich freue mich darauf, einigen Titanen in den Arsch zu treten."
Meinte er und blickte übe den Spiegel hin zu mir.
Ich versuchte ein Lächeln, doch es missglückte.
„Hast du keine Angst, zu sterben?"
Fragte ich und Raziel lachte leise.
„Ich bin einige Tausend Jahre alt, Arya. Ich fürchte gar nichts."
Ich wusste dass er log, doch ich schwieg dazu.
Er hatte seine Gründe, wieso er mir nicht seine wahren Gefühle anvertraute.
Er stockte und seine Hände ruhten an meinem Nacken.
Ich konnte in seinen Augen etwas gequältes aufblitzen.
„Nein. Das stimmt nicht. Ich fürchte nur etwas."
Meinte er dann und ich drehte mich zu ihm um.
Seine Hände schwebten leicht neben meinen Wangen, sodass ich mich gleich nach einer Berührung sehnte.
„Das Einzige was ich auf dieser Welt fürchte ist es, dass dir etwas geschieht."
Er hatte die Lippen verzogen, als hätte er gerade Gift gespuckt und in mir blühte etwas auf.
Er sorgte sich um mich. Er mochte mich.
Ich liebe dich.
Ein Schauer fuhr durch meinen Körper, als ich diese Worte in meinem Kopf hörte und wollte etwas erwidern.
Doch da hatte er sich bereits abgewandt und das Zelt verlassen.
Er hatte es wirklich gesagt.
Ungläubig trat ich ebenfalls durch den Eingang und knallte beinahe gegen einen schwarzen Ledermantel.
„Vorsicht, kleine Cousine. Ich hatte die letzte Zeit nicht all zu viel Honig, also fordere mich nicht heraus."
Lucifers rote, brennenden Augen leuchteten mir entgegen und ich musste lächeln.
„Da stimme ich ihm zu.
Wir mussten ihn hungern lassen wie ein Tier, damit er sich dem Kampf anschliessen wollte."
Raphael stiess Lucifer etwas zur Seite und zog mich in eine feste Umarmung.
Raziel stand schweigend hinter den Anderen und beobachtete mich die ganze Zeit.
„Ihr seid hier."
Meinte ich und sah ihn die sanften Augen meines Vaters, der mich fest in die Arme schloss.
„Natürlich. Das ist unser aller Kampf. Du bist nicht alleine, meine Tochter."
Er strich über mein Haar und ich fühlte wie mein Mut stieg, in der Anwesenheit solch starker Erzengel.
„Naja. Ich hätte es trotzdem bevorzugt wenn dein Schützling nicht aufgekreuzt wäre."
Meinte Gabriel kritisch mit einem Blick auf Deamon, der neben seinem Erschaffer stand und mir nur schweigend zunickte.
„Da bist du bestimmt nicht der Einzige, der sich das wünscht, Gabriel."
Verschmitzt zwinkerte mir Lucifer zu und sofort schossen meine Gedanken zu Raziel.
Die Erzengel hoben die Brauen.
Mist.
„Also gut. Dann...sollten wir uns wohl bereit machen."
Räusperte ich mich und lief mit hastigen Schritten an meiner Familie vorbei auf die Jäger zu.
Diese hatten sich ebenfalls bereit gemacht.
Es waren an die vierzig Stück.
Sie alle voll bewaffnet und mit ernsten Gesichtern.
Nur wenige redeten.
Die meisten bereiteten sich wohl gerade mental auf ihr Ende vor.
Sollte ich vielleicht auch besser tun. Aber ich verleugnete es lieber noch etwas.
Alice hielt Mace Hand, als ich auf sie zulief.
Keine bösen Blicke, sogar dafür waren die verbliebenden Jäger zu konzentriert.
„Hei."
Meinte ich leise und Alice zog mich in eine feste Umarmung.
Es tat gut die Nähe meiner Freundin zu spüren. Seit unserer Kindheit kannten wir uns.
„Und so endet es also. Wir sind die Letzten Jäger der Welt."
Alice verzog die schmalen Lippen zu einem gequälten Lächeln und Mace korrigierte sie, während er ihre Schultern massierte.
„Wir sind die letzten Menschen auf dieser Welt, meine Liebste. das hört sich besser an."
Er zwinkerte mir zu und ich bewunderte einmal mehr, seine Gelassenheit.
Alice stahl ihm einen kleinen Kuss und nickte mir dann zu.
„Es war schön deine Freundin zu sein, Arya. Und jetzt lass uns einige Titanen zeigen, wer hier der Boss ist."
Grinste sie und ich lächelte leicht.
„Ja."
Meinte ich und vertiefte ihr Bild in meinem Kopf.
Dann traten die Engel zu uns und die Jäger neigten ehrfürchtig den Kopf.
„Vergesst nicht! Die Waffen verletzen sie, doch töten sie nicht! Überlasst die verletzten Titanen uns, es ist wirksamer, wenn wir sie alle zusammen angreifen."
Michael schwebte etwas über dem Boden, seine reinen Flügel weit ausgebreitet sah er aus wie ein Gott.
Ernst wurde genickt und viele klamme Hände schlossen sich fester um den Griff einer Waffe.
Dann stellten wir uns nebeneinander auf.
Ein kleiner Haufen von Jägern, Schultern an Schultern, sich gegenseitig Halt spendend.
Und einige Erzengel, deren flammende Flügel sich wie ein Schutzschild vor ihnen ausbreitete.
Und mitten zwischen ihnen, ich.
Ich stand zwischen Raziel und Deamon, den Blick nach vorne auf den Wald gerichtet.
Die Bäume standen ruhig und verfault da.
Kein grüner Fleck war mehr übrig geblieben.
Alles war kaputt.
Es war ruhig auf der Lichtung und ich versuchte zu spüren, wie nahe die Titanen sich schon befanden.
Doch sie kamen nicht.
Es kam mir vor wie Stunden, in denen wir mit klopfendem Herzen auf der Lichtung standen, eng zusammen gedrängt.
Niemand kam.
Es war schlimm, hier stehen zu müssen und auf seinen letzten Kampf zu warten.
Untätig zuzusehen, wie das Schicksal seinen Verlauf nahm und es keine Möglichkeit mehr gab, es abzuwenden.
„Es ist definitiv nicht wie in den Filmen."
Meinte Lucifer und zerschnitt mit einer unpassenden Ironie die Stille.
„Ich hätte jetzt einen epische Auftritt erwartet, doch anscheinend fehlt diesen alten Kreaturen das Timing."
Er grinste und kratzte sich am Kopf, sodass seine schulterlangen Haare hin und her wehten.
Dann erklangen Schritte.
Eigentlich waren es mehr kleine Erdbeben, die den Boden unter unseren Füssen zum wackeln brachten.
„Hier hast du deine Epik."
Knurrte Raziel und zog sein gleissendes Schwert.
„Bereit?"
Fragte mich Deamon und ich drückte seine Hand, die meine fest umschlossen hielt.
„Bereit."
Flüsterte ich, mit einem Blick auf Alice und Mace, die konzentriert nach vorne blickten.
Dann brachen die Titanen durch die Bäume.
Sie knallten zu Boden und wirbelten schwarze Asche auf.
Sie hatten nicht mehr die menschliche Gestalt, in der sie sich zu Anfang so gerne gezeigt hatten.
Nein. Sie standen vor uns in ihrer ganzen Grösse.
Die Hitze traf uns wie eine Druckwelle und nur die Flügel der Engel und Deamons festen Griff, schützten die Jäger und mich vor dem Umfallen.
Wenn alleine ihre blosse Anwesenheit das bewirkte, dann wollte ich diesen Kampf nicht miterleben.
Doch das tat ich. Ich stand hier, mit den letzten Überlebenden dieser Erde, bereit bis in den Tod zu gehen.
Ein Fuss knallte einige Meter vor uns auf den Boden und grub sich tief in die Erde.
„Und so beginnt es."
Murmelte Raphael und zog sein Schwert im Einklang mit den anderen Erzengeln.
„Für uns!"
Schrie ich und die Jäger stimmten mit ein.
Unser Gebrüll war leise im Vergleich zu den donnernden Stimmen der Titanen, doch es verlieh mir Mut.
Und diesen konnte ich nun gebrauchen.
Denn jetzt begann der Kampf.
Jetzt begannen die letzten Momente der Erde.

Seid ihr bereit für das Finale? Ich schon! Seid gespannt wie die Reise durch die zwei Bücher endet
Love you und auf bald
Tala

Teufelsengel *beendet*Where stories live. Discover now