Beherrschung

1.3K 35 1
                                    

Ich starre immer noch auf das grobkörnige Bild. Ein Baby war ein abstrakte Theorie, etwas, was ich mir nie vorstellen konnte oder mit mir in Verbindung bringen konnte.

Es aber zu sehen, den kleinen Kopf, die Umrisse und die Gewissheit zu haben, dass nun ein Kind in Ana heranwächst, das uns für immer aneinander bindet und in ein paar Monaten auf uns angewiesen ist, löst die unterschiedlichsten Empfindungen in mir aus.

Zu meinem eigenen Erstaunen ist Freude eins der Gefühle, welches überwiegt. Anas Fehlgeburt war etwas, was für mich bisher – wie auch die erste Schwangerschaft – ein theoretisches Konstrukt war, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ihr dabei wirklich gehen muss. Und sie hatte ja noch nicht wirklich viel Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Das jetzt fühlt sich für mich so real an, wie es nur sein kann. Diese Situation hier lässt es wirklich werden.

Das neue Baby – will sie es überhaupt? Und zehnte Woche? Dumpf höre ich Dr. Greene die Worte sagen. Das bedeutet, es ist quasi direkt nach der Fehlgeburt passiert, am Anfang meiner nicht sehr rühmlichen Zeit des Kontrollverlustes. Wird Ana mit diesem Wissen klar kommen?

So sehr ich mich auch bemühe, ich kann meinen Blick einfach nicht von dem grobkörnigen Beweis der Schwangerschaft lösen. Ich halte Anas Hand, die leise weint und weiß, dass ich etwas sagen sollte, aber mein Kopf ist mit dem Erfüllen dieser Anforderung an mein Sprachzentrum überfordert. Ich bekomme zwar alles mit, fühle mich jedoch wie betäubt. Und euphorisch-panisch.

So viele Dinge sind geschehen, und nun auch noch ein Baby. Wie werden wir jetzt unsere Probleme in den Griff bekommen? Wird es Anas Gesundheit schaden? Oder wird diesmal alles gut gehen?

Und wie soll ich nur ein Kind erziehen? Ich habe schon in meiner kurzen Ehe mehr Fehler gemacht, als ich mir vorstellen konnte, ich habe Angst, es bei einem Baby erneut zu vermasseln.

Dr. Greene verlässt den Raum und Ana entzieht mir ihre Hand. Verwirrt blinzle ich und sehe auf.

Sie sieht mich vorsichtig an.

„Alles in Ordnung?", fragt sie leise und defensiv.

Ich nicke nur, zu mehr kann ich mich nicht durchringen und werfe ihr einen ebenso vorsichtigen Blick zu. Sie hat aufgehört zu weinen, aber ihren Gesichtsausdruck kann ich nicht deuten.

„Und bei dir?", bringe ich hervor und meine Stimme klingt irgendwie zittrig.

„Nur schwanger", murmelt sie und ich kann sehen, wie sehr sie auf irgendeine Reaktion von mir wartet.

Was soll ich sagen? Beglückwünscht man seine eigene Frau? Nein, eher nicht.

„Gut."

Gut? Gott, wie kreativ. Ana sieht mich zweifelnd an und ich kann sehen, wie eine unnatürliche Röte über ihr Gesicht zieht, während sie sich hinter den Paravent begibt und aus meinem Blickfeld verschwindet. Es passt mir nicht, aber sie muss sich anziehen, obwohl ich am liebsten jetzt den Blickkontakt aufrecht erhalten würde.

Hinter dem dezent gemusterten Paravent kommen erstickte Geräusch hervor. Ach du Scheiße, ich habe wieder total versagt, oder?

Mit wenigen Schritten bin ich bei Ana, die eine Hand vor ihren Mund presst und ein Lachen zu ersticken versucht. Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.

„Ana, was ist los?", frage ich und ich kann ein wenig Gereiztheit nicht verleugnen.

Sie macht mich mit ihren Reaktionen wahnsinnig. Und trotzdem, genau das ist es, was mich an ihr fasziniert.

„Gut", lacht sie und schüttelt den Kopf.

„Ich bin schwanger, und alles was du sagst, ist gut?", gluckst sie und ich sehe, dass meine Frau kurz vor dem Überkochen ist.

50 Shades of PainWhere stories live. Discover now