Decipi*aktualisiert

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„Weder noch!", die kalte Frauenstimme ließ Alainns Blut in Eis gefrieren, während ihr Puls bei der Berührung der Schwertklinge an ihrem Hals, zu rasen begann. Die Klinge tippte leicht an ihr Kinn: „Aufstehen!", befahl die Frau.

„A-a-ah! Langsam, hast du mich verstanden kleine Korrigan?! Keine hastigen Bewegungen, sonst ...", die Schwertspitze bohrte sich noch tiefer in ihren Hals. Für einen kurzen Moment drückte sie Alainn die Luft ab. Bevor sie anfing zu würgen, lockerte sich der Griff und Alainns Luftröhre war frei. Sie ist geübt!, dachte Alainn.

Sie hatten sie hier her gelockt. Der Einbruch war nichts weiter, als eine simple Falle gewesen, in die sie getappt war. Alainn hätte am liebsten aufgestöhnt, stattdessen biss sie sich auf die Lippe und ballte die Hände zu Fäusten. Die Frau schien ihre Wut zu spüren, denn Alainn hörte ein leises Kichern. Die Wut auf sich und ihre Dummheit, wurde nur von der Wut auf die manipulative Dame vor ihr übertroffen. Alainn warf den umgefallenen Säcken zornige Blicke zu. Einer der beiden war offen und offenbarte das Diebesgut: eine schwarze Lederhose und ein gleichfarbiges Lederkorsett und dazu: einen schwarzen Umhang. Dinge, die sie noch nie in ihrem Haus gesehen hatte. Das Schwert bewegte sich keinen Millimeter von ihrer Kehle weg, der Druck blieb allerdings gleich und die Frau, die sie nun ans Feuer führte, schien darauf zu achten, sie nicht zu verletzen. Am Feuer wartete die andere Gestalt auf sie, musterte sie unter der Kapuze ohne, dass das Mädchen das Gesicht erkennen konnte. Auch die Frau hinter ihr, die Alainn nur, als solche identifiziert hatte, weil ihre Stimme zu hoch war, als das sie von einem Mann stammen konnte, behielt die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, sodass ein Blick auf ihr Gesicht unmöglich war. Alainn fühlte sich nackt unter den unsichtbaren Blicken der Figuren. Sie stand mit nackten Füßen da, nur bekleidet mit ihrem Nachthemd und dem Dolch. Die verhüllte Gestalt hob die behandschuhten Hände an die Kapuze und zog sie zurück. Alainn stieß ein Keuchen aus. Ihr Herz raste, während sie in das Gesicht sah. In das ihr so vertraute Gesicht.

„MOM?", ihre Stimme zitterte leicht. Caenna Namara sah anders aus. Die akkurate Hochsteckfrisur, die sie normalerweise trug, war verschwunden. Die langen roten Haare steckten in einem kunstvoll geflochtenen Halbzopf, der sich als ein Flechtwerk aus hundert einzelnen Zöpfen herausstellte. Metallene Ösen und Perlen verzierten die Strähnen. Caenna Namara, die sich nie schminkte. Nicht einmal einen Hauch Make-up oder Mascara je angesehen hatte, trug ihre Augen mit schwarzen Kohlestrichen umrandet. Ihre akkurate, präzise, sterile Ärzte- Mutter wirkte wild. Sie wirkte das erste Mal in ihrem Leben wie eine Korrigan, dachte Alainn. Die Schwertklinge löste sich von ihrer Haut. Alainn drehte sich nun zu der Frau um. Erschrocken schrie sie auf, als sie dem Spiegelbild ihrer Mutter gegenüber stand. Sie taumelte nach hinten, stieß gegen einen Stamm und krallte ihre Fingernägel in die Rinde, wagte es aber nicht ihren Dolch fallen zu lassen.

„Hallo...", das Spiegelbild ihrer Mutter lächelte süffisant über die Reaktion des Mädchen, „ Hallo, Nichte!".

„MOM!", schrie Alainn ohne den Blick von ihrer Tante zu nehmen. Ceanna trat auf ihre Tochter zu: „ Das ist Freya!", erklärte sie sanft, was im Widerspruch zu ihrer wilden Aufmachung lag, „ meine Zwillingsschwester!", Alainn drehte den Kopf zu ihrer Mutter. Zornige Tränen standen in ihren Augen: „ ICH. WILL. ANTWORTEN!" Ihre Mutter lächelte, strich ihr sanft über das Haar und Wange.

„Ich weiß, mein Liebling!", Caennas Hand nahm Alainns rechtes Handgelenk und hob ihre Hand empor. Alainn schluckte nervös, als Caenna vorsichtig den Verband löste und das Brandmal des Weltenbaumes zum Vorschein kam: „Du darfst niemals vergessen Alainn, dass ich dich liebe!", sagte ihre Mutter und strich mit der freien Hand wieder über ihre Wange, „ und vergesse niemals, dass ich, dass alles nur tat, um dich zu beschützen!"

„Beschützen vor was?"

„Vor der Welt!", wieder lächelte Caenna Alainn liebevoll an. Alainn fragte sich, wie lange es her war, dass ihre Mutter sie nicht angesehen hatte, als sei sie ihre größte Enttäuschung.

Officium #Wattys2016Where stories live. Discover now